50 Jahre EU: Einer wird gewinnen

Sperrbezirke, Sperrklausel und schwache deutsche Männer

Sperrbezirke, Sperrklausel und schwache deutsche Männer

Sperrbezirke, Sperrklausel und schwache deutsche Männer

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Nordschleswig/Kopenhagen
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Der Streit in der oberen Etage der Minderheit eskalierte 1964: Schmidt-Oxbüll, Marquardsen und Stehr. Foto: Der Nordschleswiger

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1964 war mit dem Sturz des Abgeordneten Hans Schmidt-Oxbüll und dem Verlust des Folketingsmandats für die Schleswigsche Partei nicht nur für die deutsche Minderheit ein bedeutendes Jahr. Seniorkorrespondent Siegfried Matlok ist in der Serie „50 Jahre EU“ beim 9. Teil angelangt.

Als Stadtrat ist Stephan Kleinschmidt Teil des Verwaltungsvorstands im Flensburger Rathaus. Dieser ist so etwas wie die Stadtregierung Flensburgs. Ihm gehören neben Kleinschmidt der Oberbürgermeister Fabian Geyer, Bürgermeister Henning Brüggemann als sein Stellvertreter und Dezernentin Karen Welz-Nettlau an.

Während der Oberbürgermeister direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt gewählt wird und Dezernentin Welz-Nettlau eine Laufbahn-Beamte auf Lebenszeit ist, werden der Bürgermeister und der Stadtrat für eine Amtszeit von sechs Jahren von der Ratsversammlung gewählt.

In Nordschleswig herrschte Tollwut, Sperrbezirke wurden eingeführt und die Jagd mit Hunden wurde im Frühjahr 1964 verboten. Es war jedoch eine andere Meldung, die nach Ansicht des von der Sperrklausel bedrohten Folketingsabgeordneten Hans Schmidt-Oxbüll einen Sperrbezirk verhängte. Einen politischen Sperrbezirk, der ihn in der deutschen Volksgruppe nach einem Putsch zum Sturz und zum Rücktritt zwang. 

Am 17. April meldete „Der Nordschleswiger“ – aber nur einspaltig – auf Seite 1: „H. Schmidt-Oxbüll kandidiert nicht mehr“.

Dem Hauptvorstand des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) hatte bereits am 25. März auf einer Sitzung ein Brief Oxbülls mit seinem Verzicht vorgelegen, obwohl Hans Schmidt noch zwei Tage zuvor auf einer Delegiertenversammlung des BDN in Tingleff (Tinglev) erneut als Folketingskandidat nominiert worden war: gleichberechtigt neben Jef Blume und Chefredakteur Jes Schmidt.

Unzufriedenheit schon vor 1960

Der Bauer Hans Schmidt aus Oxbüll auf Alsen war 1953 als „Kandidat außerhalb der Parteien“ für die deutsche Volksgruppe ins Folketing gewählt worden und hatte danach im Parlament offiziell die Schleswigsche Partei angemeldet.  Er wurde 1957 und 1960 wiedergewählt, doch schon 1960 gab es erste Hinweise auf Unzufriedenheit an der Basis.

Auf der Delegiertenversammlung bekam der Leiter der Deutschen Nachschule Tingleff, Dr. Paul Koopmann, bei der Nominierung überraschend die meisten Stimmen, doch da „Slesvigsk Parti“ (SP) mit einer geschlossenen Liste antrat und Schmidt-Oxbüll wieder auf Platz eins gesetzt worden war, konnte er sein Mandat doch erfolgreich verteidigen.

Die Gesamtstimmzahl der SP war jedoch seit 1953 von bis 1960 leicht zurückgegangen.
1953: 9.721
1957: 9.202
1960: 9.058

Oxbüll siegte 1960 zwar deutlich mit 3.866 persönlichen Stimmen vor Dr. Koopmann (1.172), aber gegenüber 1957 (4.177) hatte er auch persönlich Verluste hinnehmen müssen.

Was führte zu seinem Sturz 1964, warum ging die Volksgruppe ohne ihren bisherigen bekannten Spitzenmann in diese so lebenswichtige Wahl?

Hans Schmidt war nach neun Jahren als BDN-Vorsitzender 1960 durch den Bauer Harro Marquardsen aus Fauerby abgelöst worden, doch schon Jahre zuvor hatte es geknirscht.

BDN dementiert Oxbüll In Loyalitäts-Frage

In einer Rede auf dem Deutschen Tag 1955 in Sonderburg hatte Oxbüll plötzlich die Loyalität des Bundes Deutscher Nordschleswiger von 1945 mit der Anerkennung der Grenze in Zweifel gezogen, was in der dänischen Presse und Politik zu heftigen Reaktionen und neuen Zweifeln am Kurs der Minderheit führte.

Männer, wie der Vorsitzende des Deutschen Pressevereins Matthias Hansen und der ehemalige Chefredakteur Ernst Siegfried Hansen, die 1945 bei der Loyalitätserklärung federführend waren, zeigten sich empört, empfanden die Oxbüll-Rede als Dolchstoß.

Oxbüll fühlte sich missverstanden und betonte in einer Erklärung schon wenige Tage später, „er denke gar nicht daran, an der Loyalitätserklärung zu rütteln“.

Der Hauptvorstand des BDN ließ jedoch keine neuen Zweifel aufkommen:  Er verabschiedete am 17. November einstimmig eine Erklärung, die darin gipfelte: Die Gründungserklärung des Bundes bleibt „unverändert in Kraft“.  

Botschafter Duckwitz fürchtet Radikalisierung

Im Februar 1957 berichtete der deutsche Botschafter in Kopenhagen, Georg-Ferdinand Duckwitz, an das AA in Bonn, „die weitere Entwicklung innerhalb der Volksgruppe bedürfe besonderer Aufmerksamkeit“.

„Die Kaltstellung profilierter Persönlichkeiten, die ihre Aufgabe in der Herstellung eines guten Verhältnisses zu den Dänen und den dänischen Behörden sehen, das Abrücken von der 1945 abgegebenen Loyalitätserklärung gegenüber dem dänischen Staat, die Bestätigung ehemaliger Nationalsozialisten in einflussreichen Positionen, die mangelnde Autorität des in verschwommenen Gedankengängen verhafteten Leiters der Volksgruppe – alles lässt auf eine gewisse restaurative Radikalisierung schließen, die den Bemühungen beider Regierungen auf Entspannung nicht förderlich ist.“

„Vestkysten“ sieht innenpolitische Gründe

Die in Esbjerg erscheinende Venstre-Zeitung „Vestkysten“ machte für eine gewisse Unzufriedenheit mit Oxbüll auch sein Abstimmungsverhalten im Folketing verantwortlich.

1961 hatte er im Folketing mit seiner Stimmabgabe für Abgabenerhöhungen die sozialdemokratischen-radikalen Regierung von Staatsminister Viggo Kampmann gerettet, was ihm innerhalb bürgerlicher Kreise der Volksgruppe ziemlichen Ärger gebracht hatte. Jedoch im März nächsten Jahres enthielt er sich dann bei neuen Abgabenerhöhungen seiner Stimme – nun plötzlich mit dem Hinweis, dass seine Einmischung in innere dänischen Angelegenheiten bei knappen Abstimmungen nicht erwünscht sei.

Oxbülls rätselhafte Königsgedanken

Es waren wohl auch die – laut Botschafter Duckwitz – „verschwommenen Gedankengänge“ des Abgeordneten, die immer öfter für Irritationen sorgten. 

In einem Brief an den BDN-Vorsitzenden Harro Marquardsen kritisierte er, dass die Minderheiten bei der Wahl nur „auf eigene Reserven wie die Frontfreiwilligen und andere Enttäuschte“ setzen wolle.

„Unser Angriff“, den er dem BDN-Geschäftsausschuss in seinem Schreiben am 12. November 1963 zum Tagesordnungspunkt „Manöverkritik“ vorlegen ließ, gelte den „Unwilligen“.

Die dänische Seite schüttelte den Kopf, wollte von seinem oft beschworenen Plan einer „Deutsch-dänischen Arbeitsgemeinschaft“ (DDA) gar nichts wissen. Schon 1951 hatte „Der Nordschleswiger“ über Oxbülls „Königsgedanken“ einer deutsch-dänischen Dorfgemeinschaft berichtet.

Seine Absichten/Ziele blieben jedoch verschwommen und erschienen den meisten weiterhin völlig unklar. In der Silvesterausgabe des „Nordschleswigers“ 1963 machte sich die Zeitung sogar lustig über die seltsamen Ideen des eigenen Abgeordneten, dem „Eilboten-Alleingänge“ nachgesagt wurden, und dessen „DDA“ nun ironisch in „DDAN“ verwandelt wurde, die „Deutsch-Dänische Arbeitsgemeinschaft für Nord-Schleswig“.  

Kleines Wort mit großer Wirkung

Entscheidend für den Bruch mit dem langjährigen Abgeordneten war das Wörtchen „gleichberechtigt“. Im Gegensatz zur Parteiliste von 1960 wurden nun drei Kandidaten gleichberechtigt aufgestellt – auch Schmidt-Oxbüll, doch bereits zwei Tage nach der Delegiertenversammlung zog Oxbüll die Konsequenzen und teilte dem Vorsitzenden mit, dass er auf eine erneute Kandidatur verzichten wolle.

Hintergrund: Marquardsen hatte den Delegierten mitgeteilt, dass die beiden anderen nominierten Kandidaten die Vorbedingung stellten, dass sie „eine reelle Chance bekämen“.  Nach Ansicht von Oxbüll war das „eine einseitige Parteinahme für eine beiden Gegenkandidaten und eine direkte Aufforderung an die Delegierten, für diese zwei zu arbeiten“.

Er wolle „nicht in einen ausgesprochenen Konkurrenzkampf eintreten  – mit dem ausgesprochenen Ziel, mich auszubooten“. Nach Oxbülls Worten hätten schon die Wahlen 1957 und 1960 gezeigt, „dass die Gremien des BDN ihm nicht folgen konnten“.

„Nun gebe ich aber den Kampf mit Euch auf und spreche in aller Form meinen Rücktritt aus.“

Marquardsen übernimmt Oxbülls Platz

Anfang Mai traten die Delegierten erneut zusammen und nahmen den Verzicht offiziell „mit Bedauern“  zur Kenntnis. Neuer Kandidat wurde nun der BDN-Vorsitzende Harro Marquardsen, sodass die Schleswigsche Partei gleichberechtigt Marquardsen, Jef Blume und Jes Schmidt ins Rennen schickte. Wohl wissend, dass im Wahlprogramm 1964 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das deutsche Mandat in Gefahr sei.

In Nordschleswig gibt man sich keinen Illusionen hin. Man weiß, dass es „angesichts der steigenden Bevölkerungszahl nicht leicht fallen wird, das Mandat zu behaupten, das Hans-Schmidt-Oxbüll  seit September 1953 innehat“, schrieb die eigene Zeitung auch angesichts der Tatsache, dass aufgrund der Herabsetzung des Wahlalters um zwei Jahre andere Zahlen und Konstellationen zu befürchten seien.

Mandat verloren, trotz Stimmengewinne

Nach Ansicht von Experten seien 10.000 Stimmen in etwa nötig, um das letzte – das siebte – Kreismandat in Nordschleswig zu verteidigen, das 1960 mit einem Vorsprung von nur 100 Stimmen gegenüber den Konservativen behauptet worden war.

Der Schleswigschen Partei gelang es, die eigene Stimmenzahl zwar von 9.058 auf  9.274 zu erhöhen, aber es reichte nicht für ein Kreismandat – dazu waren diesmal rund 12.000 Stimmen erforderlich.

Da die deutsche Minderheit nicht von der Zwei-Prozent-Sperrklausel befreit war, konnte sie auch bei der Verteilung der Zusatzmandate in Dänemark nicht berücksichtigt werden. Harro Marquardsen, der mit 3.142 persönlichen Stimmen das beste Einzelergebnis erzielte, dankte den Wählern. Man habe zwar das Mandat nicht halten können, aber die absoluten Zahlen seien besser als 1957 und 1960 und „für unsere weitere Arbeit von großer Bedeutung“.

Vorschlag für Kopenhagener Sekretariat

Quo vadis, was nun? Die dänische Regierung und die dänischen Parteien wollten wegen der deutschen Minderheit die Sperrklausel nicht aufheben, obwohl auch ein führender Vertreter der dänischen Minderheit, der SSW-Landtagsabgeordnete Berthold Bahnsen, Dänemark eine Beseitigung der Sperrklausel zugunsten der deutschen Minderheit empfahl.

Der BDN suchte in einer neun Punkte umfassenden Verhandlungsskizze nach Auswegen. Er schlug unter anderem einen Kontaktausschuss mit drei Vertretern der deutschen Minderheit unter Leitung des Staatsministers vor – sowie die Errichtung eines Sekretariats in Kopenhagen mit einem von der deutschen Minderheit benannten Sekretariatsleiter.

Bereits am 26. September empfing Staatsminister Krag – in Gegenwart von sechs Ministern – die drei nordschleswigschen Beauftragten Marquardsen, Blume und Jes Schmidt zu einem ersten Gespräch über die künftige deutsche Vertretung in Kopenhagen.

Am 6. Oktober erklärte er in seiner Eröffnungsrede im Folketing: „Die Probleme, die für die deutsche Minderheit nach Verlust des Mandats im Folketing entstanden sind, will die Regierung in einer für die Minderheit befriedigenden Weise zu lösen versuchen.“ 

Noch vor Ende des Jahres hatte die Regierung nach Verhandlungen mit den dänischen Parteien der Minderheit das Angebot eines Kontaktausschusses gemacht – aber ohne Sperrklausel-Änderung und ohne Kopenhagener Sekretariat.   

Kopenhagener Kontaktausschuss

Nun begann für die deutsche Minderheit, die ohne jede Begeisterung diesen Kompromiss mit dem Kopenhagener Kontaktausschuss annahm, eine parlamentarische Wüstenwanderung.

Ohne eigenen Vertreter im Folketing und mit einem voller Bitterkeit erfüllten Hans Schmidt-Oxbüll an der Seitenlinie, der a. D. auch noch für Unruhe in den eigenen Reihen sorgte und der öffentlich vor allem Generalsekretär Rudolf Stehr für seinen Sturz verantwortlich machte.   

Die Schuldfrage

Während in der Minderheit die Schuldfrage nach der Wahlniederlage noch diskutiert wurde, war sie südlich der Grenze schon entschieden. Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sah den Grund dafür, dass die Minderheit bei der Folketingswahl nicht genügend Stimmen erhielt, in der Feststellung, dass man seine Hoffnung auf die Kandidatur der „alten Kämpfer“ und deren Ressentiments gesetzt hätte.

„Der Nordschleswiger“ dementierte und behauptete wider besseren Wissens, „dass auf jeden Fall zwei der drei aufgestellten Kandidaten in Nordschleswig keine früheren Nazis seien“. 

An wen Jes Schmidt dabei gedacht haben mag, bleibt unbeantwortet, aber der SPD-Pressedienst in Bonn ging noch weiter in seiner Kritik am Wahlergebnis und forderte die deutsche Minderheit dazu auf, „den jungen Leuten die leitenden Stellungen der Schleswigschen Partei zu geben  – anstatt solchen Menschen wie Jef Blume und Rudolf Stehr“, die – so der Pressedienst –„für ihre Tätigkeit in der Nazipartei bekannt sind“.

Grabgesang mit deutsch-dänischen Ehen

Der frühere Chefredakteur der „Nordschleswigschen Zeitung“, Dr. Harboe Kardel, hatte in seinem Tagebuch die Niederlage 1964 schon vorhergesehen – aber aus ganz anderen Gründen.

„Zum dritten Male hat in letzter Zeit ein Däne in eine unserer bekannten deutschen Familien hineingeheiratet.  Es ist die größte Gefahr, die uns droht“, heißt es in einer Eintragung.

Und Kardel fährt fort: „Wie sagt doch Frau Amtmann Thomsen: Das ist der richtige Weg. So wird die nationale Frage am besten gelöst. Es zeigt sich immer wieder, dass es unseren Mädchen an aussichtsreichen deutschen Bewerbern fehlt. Ich fürchte, dass meine Arbeit über das Heimdeutschtum ein Grabgesang wird. Unter den Kontakten, die unsere Führer so rühmen, werden wir begraben.“ 

Auf Düppel wird jedes Jahr der Opfer vom Krieg 1864 gedacht. Foto: Hans Christian Gabelgaard, JydskeVestkysten

Krag und der König auf Düppel

1964 war ein besonderes Jahr – 100 Jahre nach 1864. Nicht wenige befürchteten, dass die dänischen Gedenkfeiern am 18. April auf Düppel zu einer anti-deutschen Kundgebungen werden könnte, aber es kam ganz anders, allerdings nach einem ungewöhnlichen „rednerischen Schlagabtausch“ zwischen Dänen-König Frederik IX. und dem sozialdemokratischen Staatsminister Jens Otto Krag.

Den Auftakt bildeten am 17. April Schulfeierstunden an allen dänischen und deutschen Schulen in Nordschleswig. In und um Düppel begaben sich die Schulkinder mit ihren Lehrern im Anschluss an diese Feiern zu den Einzel- und Massengräbern und zu den Gedenksteinen.  

Die deutschen Schüler schmückten 150 Gräber mit Blumen; die Sonderburger legten Blumen am Grab des berühmten preußischen Pioniers Klinke nieder, der wegen seiner Tapferkeit und seines Opfergangs als Held bei der Erstürmung der Schanze 2 gilt.

Auf dem Knivsberg fand eine Düppel-Gedenkfeier der Minderheit statt, und eine BDN-Abordnung mit Dr. Niels Wernich legte im Rahmen der offiziellen Gedenkfeiern auf Düppel Kränze an den Gräbern der Gefallenen nieder.

Deutscher Prinz nicht erwünscht

Der Glücksburger Prinz Friedrich-Ferdinand zu Schleswig-Holstein ist zwar ein Verwandter des dänischen Königs, aber er ist ein deutscher Prinz und durfte deshalb nicht an den offiziellen Feierlichkeiten teilnehmen, meldete Venstres Presse-Büro in Kopenhagen.

Unvorhergesehen kam es jedoch am Vortage zu einer inoffiziellen deutsch-dänischen Feierstunde. Prinz Friedrich-Ferdinand zu Schleswig-Holstein hatte von dänischer Seite doch die Möglichkeit zu einer Kranzniederlegung an den Massengräbern erhalten – in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kriegsopfer- und Kriegsteilnehmerverbände Schleswig-Holstein.

Dem anwesenden Sonderburger Garnisonskommandanten Aagaard Petersen überreichte er den Säbel eines 1864 in einem Flensburger Lazarett verstorbenen dänischen Offiziers – in der Hoffnung, dass nach seinen Worten dieser Säbel ein Symbol dafür sein möge, dass heute deutsche und dänische Soldaten zusammenstehen.

Die dänische Regierung hatte die Gedenkfeiern auf den Düppeler Schanzen frühzeitig als eine rein dänisch-nationale Angelegenheit deklariert und damit vorsichtige Anregungen von privaten dänischen und deutschen Stellen, doch eine gemeinsame Feier durchzuführen, abgelehnt.

Im Bericht des deutschen Botschafters in Kopenhagen vom 22. April 1964 an das Auswärtige in Bonn hieß dazu: „Angesichts der langsamen Entwicklung im dänischen Volk in Richtung auf einen Abbau der Vorbehalte gegenüber Deutschland war diese Entscheidung der Regierung menschlich verständlich und politisch richtig.“ 

Und der Botschafter fügte erfreut hinzu: „Umso mehr ist es zu begrüßen, dass die dänische Regierung den jedem Dänen bekannte Ort und Tag zu einem Appell an die Bevölkerung nutzte, die alten Gegensätze zu überwinden.“

Deutschland – eine fleißige Nation

Dass dieses gelang, war in erster Linie ein Verdienst von Staatsminister Jens Otto Krag, der in seiner bemerkenswerten Rede erklärte:

„Jenes Preußen, das 1864 der Hauptgegner war, existiert nicht als Staat, aber übertrug seine organisatorische Tüchtigkeit auf ein gesamtes Deutsches Reich, das den Höhepunkt der Macht ebenso erlebt hat wie den doppelten Zusammenbruch. Neu entstanden aus dem Zusammenbruch von 1945 ist die deutsche Bundesrepublik, eine fleißige europäische Nation, mit der wir auf fast allen Gebieten in freundlicher, nachbarschaftlicher Zusammenarbeit stehen, handelsmäßig und verteidigungsmäßig innerhalb des großen Kreises der westlichen Nationen. Alle Länder erkennen heute in wachsendem Masse, dass sie abhängig voneinander auf die Zusammenarbeit miteinander angewiesen sind. Das tun wir auch zu beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze.“

Und Krag fuhr fort:

„In dieser wehmutsvollen Stunde wollen wir den Blick auf neue Zeiten richten, mit dem Wunsch, dass alle Vorurteile fallen möchten. Wir wissen alle, dass es im dänisch-deutschen Verhältnis Schwierigkeiten zu überwinden gibt, glücklicherweise dürfen wir aber feststellen, dass wir schon manche der Schwierigkeiten überwunden haben. Und es besteht in beiden Ländern eine Hoffnung, nicht nur alte Gegensätze zu überwinden, sondern auch die Begegnung zwischen dänisch und deutsch zu einem fruchtbaren Ringen als Bereicherung für beide Teile zu machen. Darin liegt eine europäische Aufgabe“, so Krag, der zugleich ein starkes Bekenntnis zur dänischen Minderheit ablegte und das Versprechen erneuerte, das den dänischen Südschleswigern nach der Abstimmungsniederlage 1920 auf Düppel gegeben wurde.

König Frederik ergreift überraschend das Wort

Völlig außerhalb des Protokolls ergriff plötzlich König Frederik auf Düppel das Wort bei der Gedenkfeier, offenbar schien die so bewusst nach vorn gerichtete Rede seines Staatsministers nicht ganz nach seinem Geschmack gewesen zu sein.  

Er erinnerte an die Verteidigung des Dänentums nach 1864 und dachte mit „voller Wehmut an diejenigen, die südlich der Grenze bleiben mussten und denen wir heute ein herzliches Gedenken widmen sollten“.

Weitling: Frieden wie nie zuvor

In der Sonderburger St. Marienkirche fand ein gemeinsamer deutsch-dänischer Gedenkgottesdienst statt, geleitet vom dänischen Bischof Halfdan Høgsbro und dem deutschen Pastor Günter Weitling.  

In seiner Predigt sagte Weitling: „Es sind hier Zeit und Ort gegeben, um Gott für die Möglichkeit zu danken, dass sich Deutsche und Dänen hier in Frieden versammeln können. Ihm ist zu danken, dass er unsere Nationen dahin geführt hat, dass heute mehr Frieden und guter Wille an unseren Grenzen herrscht als es jemals seit Menschengendenken der Fall war.“  

Was geschah sonst noch 1964

30. Januar:  Vize-Kanzler Erich Mende (FDP) besucht die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig.

24. April: das 1913 vom Bildhauer Edvard Eriksen geschaffene weltberühmte Bronzestandbild „Kleine Meerjungfrau“ an der Langelinie wird geköpft. „Der Nordschleswiger“ vermutet einen Geisteskranken als Täter. Erst 1977 gesteht der Multikünstler Jørgen Nash die Tat, die er mit eigenen Schwierigkeiten mit Frauen begründete. Er behauptete, den Kopf von „Den lille Havfrue“  in Utterslev Mose geworfen zu haben, doch bis heute ist der damalige Kopf spurlos verschwunden.

23. April: Dänische Soldaten und Polizisten  werden als friedensbewahrende Einheit der UNO auf Zypern eingesetzt, um Unruhen zwischen den verfeindeten Volksgruppen zu verhindern. Insgesamt waren von 1964 bis 1994 rund 2.300 dänische Soldaten auf Zypern im Einsatz.

18. September: Die dänische Prinzessin Anne-Marie heiratet in Athen Griechen-König Konstantin.

19. September: Der Sozialdienst Nordschleswig erwirbt in Kollund das Haus „Egely“– nun Standort des Hauses Quickborn für erholungsbedürftige Kinder und Mütter aus der Volksgruppe.

26. September: In Apenrade wird das neue Deutsche Gymnasium für Nordschleswig eröffnet. Vize-Kanzler Erich Mende übermittelt folgendes Grußwort:

 „Möge dieses Haus in Frieden und Freiheit seine Arbeit erfüllen und Lernenden und Lehrenden ein  Mittelpunkt ihrer Arbeit, allen aber, die ein und aus gehen, ein Hort deutschen Volkstums in einem Lande westlicher Kultur und Lebensart sein.“ 

21. November: In Hellerup wird das Studentenheim „Collegium 1964“ der Verbindung Schleswigscher Studenten eingeweiht.

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