Kulturkommentar

„Sprache auf dem Weg. Ein Gedankenexperiment“

Sprache auf dem Weg. Ein Gedankenexperiment

Sprache auf dem Weg. Ein Gedankenexperiment

Maike Minor
Apenrade/Aabenraa
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In ihrem Kulturkommenar macht sich Maike Minor Gedanken über die Mehrsprachigkeit in unserem Landesteil.

Es treibt mich wieder um – und ich finde, je mehr ich über Sprachpädagogik lerne, desto mehr ist es da: ein Dilemma, das unmittelbar nicht so einfach zu lösen ist.

Als Privatperson komme ich immer mal wieder ins Gespräch mit Zugezogenen, die sich sehr gerne der deutschen Minderheit anschließen wollen. Wir sitzen im Café, machen Sport oder treffen uns auf der Arbeit. Und immer mal wieder werde ich gefragt, was der erfolgversprechendste Weg ist, Dänisch zu lernen. Dänisch? Reicht es denn nicht in der deutschen Minderheit, Deutsch zu können?

Ich denke, nicht. Denn ich nehme die Lebenswelt der Menschen in Nordschleswig als vielfältig und mehrsprachig wahr. Deutsch, Dänisch, Sønderjysk sind da nicht abschließend für mich zu nennen.

Logisch. Wir bewegen uns in Dänemark und wollen ein Teil der kleinen und der größeren Gemeinschaften sein. Wir sprechen Deutsch in der Minderheit, manchmal Dänisch und oft – wer ihn kann – den dänischen Dialekt Sønderjysk. Wir mischen äußerst kompetent die Sprachen – Fachleute sprechen von Code-Switching und Intersprache. Wir wollen gute sprachliche Vorbilder für Kinder und Jugendliche sein: Hier machen wir uns bewusst, dass sprachliche Vorbilder hilfreiche Erwachsene für das Sprachenlernen sind. Es muss nicht immer perfekt sein, sehr wohl aber engagiert.

Jetzt zu der einfachen, aber bei näherem Hinsehen kniffligeren Frage: Kann ich als Teil der deutschen Minderheit, sozusagen als Teil einer kollektiven Identität, deutschen Zuzüglerinnen und Zuzüglern, die sich uns anschließen, helfen, Dänisch zu lernen? Und wenn ja – wie viel? Oder passiert das vielleicht sogar ganz von allein?

Von allein passiert Sprachenlernen eher nicht, das weiß ich. Und die Antwort hinsichtlich der anderen Frage?

Mal so, mal so

Denn: Da kommt es wieder zutage, das Dilemma: Die Minderheit ist aus meiner Sicht keine Insel ohne Anbindung an die Außenwelt. Jeder bewegt sich im Alltag in seiner eigenen persönlichen und doch (mit anderen) geteilten Lebenswelt: Morgens in der Familie wird oder werden die Familiensprache(n) gesprochen. Auf der Arbeit die Arbeitssprache, mit dem Team, mit denjenigen, mit denen gerade gefeiert wurde, auch mal Sønderjysk. Kurz im Messenger auf Englisch einer Freundin geantwortet. Im Supermarkt an der Kasse Dänisch, am Telefon mit der Arztpraxis oder den Bankangestellten Dänisch. Abends im Sportverein Deutsch mit den Sportlerinnen und Sportlern. Dem Opa auf Deutsch über Videotelefonieren zum Geburtstag gratuliert.

Könnte die Lösung des Dilemmas sein, dass ich quasi situativ entscheide – wo bin ich privat, und wo bin ich jobmäßig unterwegs? Das finde ich schwierig, denn Minderheit zu sein ist weder nur ein Job noch nur Privatangelegenheit für mich.

Die Lebenswelt der allermeisten in der Minderheit ist vielfältig, mehrsprachig und kontextabhängig, und mit Sicherheit von oben betrachtet noch vielfältiger als gedacht. Möchte ich in diesen Lebenswelten in Nordschleswig auf Augenhöhe mit anderen dabei sein, benötige ich mehr als Deutsch.

Kompetent im Sprachenlernen

Ja, aber ist es nicht als verantwortungsvolle Mitbürgerin in Dänemark auch ein Stück weit meine Aufgabe, Zugezogenen mit meinem Wissen und meinen Erfahrungen zum Thema Sprachenlernen behilflich zu sein, kommt es mir in den Sinn. Zum Beispiel durch Wissen teilen, Netzwerke nennen, in denen Mann, Frau oder Kind in ein dänisches Sprachbad tauchen kann, um sicher und geborgen und somit in optimale Verhältnisse für Sprachenlernen zu erfahren? Wir in der Minderheit gelten an der einen oder anderen Stelle sogar als Fachpersonen für das Sprachenlernen.

Sprachenlernen ist kein Selbstläufer und passiert nur in der Interaktion und in einer Gemeinschaft mit anderen. Am besten in einer, in der Fehler erlaubt sind und jeder sich wohlfühlt. Je mehr Lernsprache in der persönlichen Umgebung da ist, desto besser und einfacher der Lernweg.

Mehrsprachigkeit ist, nach allem, was ich gelernt habe, kein Status, sondern ein Weg. Jeder und jede kann sich basierend auf dem Verständnis von vielen Forscherinnen und Forschern als mehrsprachig bezeichnen, sobald mehr als eine Sprache beherrscht oder gelernt wird.

Und dies bildet die reale sprachliche Situation in Nordschleswig aus meiner Sicht auch sehr gut ab, ohne das Ziel zu vernachlässigen, die deutsche Sprache und Kultur zu pflegen und zu erhalten. Das würde nur passieren, wenn wir das Bewusstsein für unsere sprachlichen Lebenswelten und unsere deutsche Kultur und Sprache vergessen würden.

Löst es mein persönliches Dilemma? Nein.

Dilemmata sind wohl nicht dafür da, gelöst zu werden – in ausgesprochener Form sind sie aber ein prima Anlass für Gesprächsthemen und Perspektivenwechsel.

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