Kulturkommentar

„Auch Bayern haben Gefühle“

Auch Bayern haben Gefühle

Auch Bayern haben Gefühle

Claudia Knauer
Claudia Knauer
Apenrade/Aabenraa
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Bücherei Direktorin Claudia Knauer wünscht sich in der Diskussion um kulturelle Aneignung mehr Gelassenheit. Warum das angebracht wäre, schreibt sie in einem Kulturkommentar.

Claudia Knauer ist Jahrgang 1961, lebt mit ihrem Mann in Apenrade (Aabenraa) und ist Direktorin der Büchereien der deutschen Minderheit in Nordschleswig. Sie war unter anderem stellvertretende Chefredakteurin beim „Nordschleswiger“ und schreibt seit Jahren weiterhin Gastbeiträge.

Die Welt hat viele Probleme. Die drängendsten sind Krieg und Klima. Gerechtigkeit ist ein weiteres. Es gibt dabei keine Hierarchie und es darf kein Ausspielen des einen gegen das andere geben. Wir können es uns nicht leisten, zunächst den Krieg, in unserem Fall, in der Ukraine (aber es gibt viele mehr) zu beenden, bevor wir uns dem Klima zuwenden.

Genauso wenig können wir die Frage der Gerechtigkeit für Minderheiten aufschieben, bis wir dafür mal Zeit haben. Aber: Was bedeutet das, was jetzt so oft unter dem Rubrum „kulturelle Aneignung“, „woke“ (laut Duden  „In hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung), „cancel culture“ (ein politisches Schlagwort, das systematische Bestrebungen zum partiellen sozialen Ausschluss von Personen oder Organisationen bezeichnet, denen beleidigende, diskriminierende, rassistische, antisemitische, verschwörungsideologische, bellizistische, frauenfeindliche, frauenverachtende, homophobe Aussagen, beziehungsweise Handlungen vorgeworfen werden) oder das verwandte „deplatforming“ (Betroffenen die öffentlichen Plattformen entziehen) oder allgemein die „political correctness“ läuft. Wobei alles oft vermengt und immer gerne der Kampfbegriff „Rassismus“ hinzugefügt wird, der schon lange mehr umfasst als Diskriminierung wegen angeblicher Rassen (es gibt keine Menschenrassen!).

Die Anliegen sind oft sicher berechtigt, aber die Diskussion wird viel zu viel bestimmt von Gefühlen oder möglichen Gefühlen der Verletztheit. Minderheiten müssen geschützt werden – wer wüsste das besser als wir. Aber mit Verstand und nicht nur mit Gefühl. Weil ich mich verletzt fühle (fühlen könnte), muss aus Pippi Langstrumpfs Vater ein Südseekönig werden, werden Winnetou-Filme in der ARD nicht mehr gezeigt, werden weiße Musikerinnen der Bühne verwiesen, weil sie Dreadlocks tragen. Kulturelle Aneignung wird leider nicht nur gerufen, sondern geschrien. Und damit ist jede Diskussion schon beendet, obwohl ich doch gerne verstehen würde.

Gefühle verletzt, Buch zurückgezogen. Gefühle verletzt (oder vielleicht), runter von der Bühne. Wo bleibt Gelassenheit? Auseinandersetzung mit und in der Sache? Wer von den Kritikerinnen und Kritikern jetzt hat denn die Karl-May-Bücher gelesen, in denen der sächsische Autor ein vielleicht nicht ganz zutreffendes, aber den Ureinwohnern der USA zugewandtes, differenziertes Bild zeichnet? Und, noch wichtiger, es ist ein Roman. Fiktion! Keine anthropologische Abhandlung.

Wägt doch bitte ab. Haltet auch mal aus. Kleine Kinder müssen lernen, auch negative Gefühle auszuhalten und im Idealfall findet man gemeinsam heraus, warum das so ist und ob und was man ändern kann – und das gilt für beide Seiten in einem sachlichen Gespräch. Unrecht muss benannt werden. Aber Verbote und Schreierei helfen nicht, sondern teilen nur in Lager oder führen dazu, dass ganz viele Menschen sich aus der Debatte zurückziehen.

Im Übrigen: Kulturelle Aneignung hat es immer gegeben, so sind Kulturen entstanden und haben sich entwickelt und werden es hoffentlich weiterhin tun.

Vielleicht deshalb sind Dänen (und Amerikaner und Südamerikaner und so viele andere) so wild mit Oktoberfesten und haben so viele „Heidis Bier Bars“ in ihren Städten. Ohne Rücksicht auf die Bayern, die doch auch Gefühle haben und vielleicht diese Aneignung ablehnen (Achtung: Satire!).  

Die in diesem Kulturkommentar vorgebrachten Inhalte sind nicht von der Redaktion auf ihre Richtigkeit überprüft. Sie spiegeln die Meinung der Autorin oder des Autors wider und repräsentieren nicht die Haltung des „Nordschleswigers“.

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