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„Vom Bundesrat nach Brüssel: Minderheitenpolitik nur mit Mehrheiten“

Vom Bundesrat nach Brüssel: Minderheitenpolitik nur mit Mehrheiten

Minderheitenpolitik nur mit Mehrheiten

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Minderheitenpolitik ist im Europäischen Parlament um einiges politischer aufgeladen als im Landtag, im Bundestag, im Bundesrat oder im Folketing. Aber auch in Brüssel gilt, Minderheitenpolitik braucht breite Mehrheiten, meint der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, Jan Diedrichsen.

Die Landesregierungen aus Sachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein haben gemeinsam einen neuen Anlauf gewagt und im Bundesrat eine Initiative gestartet, um die vier autochthonen Minderheiten in Deutschland - die Sorben, die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe und die deutschen Sinti und Roma - ins Grundgesetz aufnehmen zu lassen. Vorgetragen wird das Vorhaben politisch hochrangig, von den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und Michael Kretschmer sowie dem SPD-Ministerpräsidenten Dietmar Woidke aus Brandenburg.

Der Minderheitenrat der vier Minderheiten in Deutschland hat sich für die entsprechende Grundgesetzergänzung stark gemacht. Der Schleswig-Holsteinische Landtag unterstützt diese Forderung ebenfalls – Regierungsfraktionen und Oppositionsparteien gemeinsam.

Gefragt sind nun die politischen Überredungskünste, denn ein Selbstläufer ist diese wichtige Initiative im Bundesrat nicht. Mit gutem Grund wird das Grundgesetz nur sehr behutsam verändert. Doch im Falle der Verankerung der Minderheiten im Grundgesetz, wäre dies ein überfälliger Schritt und eine verdiente Anerkennung. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang die Signalwirkung Richtung Europa, Richtung Europäischer Union.

Anders als in Deutschland gibt es in der EU nämlich keinen Konsens, dass Minderheitenpolitik parteiübergreifend vorangebracht werden sollte. Seit mehr als einem Jahrzehnt stagniert die Minderheitenpolitik auf europäischer Ebene.

Die neue Kommission, unter der Leitung von Ursula von der Leyen, könnte nun einen Neustart unternehmen. 1,2 Millionen Unterschriften der Bürgerinitiative Minority SafePack (MSPI), unterstreichen die Forderung in der Bevölkerung, dass endlich eine progressive Minderheitenpolitik in der EU Einzug erhält. Wahrscheinlich ist dieser minderheitenpolitische Neustart jedoch nicht. Eher bleibt zu vermuten, dass es viele nette Worte geben wird, aber keine inhaltlichen (gesetzesmäßigen) Initiativen, wie von der Bürgerinitiative MSPI gefordert. Zu groß sind die Widerstände in einigen Ländern.

Dass vor allem Ungarn, mit einem Orban an der Spitze, sich die Minderheitenthematik auf die Fahnen geschrieben hat, lässt leider potentiell wohlmeinende Länder eher zurückschrecken. Mit Orban in einem Atemzug genannt zu werden, das wollen nur wenige.

Es ist also das Europäische Parlament, welches den Minderheitenschutz voranbringen muss, falls sich in den nächsten Jahren in der EU substantiell etwas ändern soll.
Der Präsident der FUEN, dem größten Dachverband der Minderheiten Europas und Motor der MSPI-Bürgerinitiative, Lorant Vincze, ist seit 2019 selbst Mitglied des Europäischen Parlaments. Doch natürlich weiß Lorant Vincze, dass er als neuer Abgeordneter erstmal ganz hinten im Parlament wird Platz nehmen müssen. Der eigene Einfluss ist begrenzt.

Daher muss es seine Strategie sein, alle demokratischen Parteien bzw. Schlüsselakteure in allen Fraktionen von der MSPI und einem EU-Minderheitenprogramm zu überzeugen. Vertritt der FUEN-Präsident EVP-Politik (der Ungar aus Rumänien ist Mitglied in der EVP- Fraktion) oder richtet gar sein Handeln an ungarischen Vorstellungen und Verbindungen aus, wird er scheitern.

Minderheitenpolitik ist im Europäischen Parlament um einiges politischer aufgeladen als im Landtag, im Bundestag, im Bundesrat oder im Folketing. Aber auch in Brüssel gilt, Minderheitenpolitik braucht breite Mehrheiten: Gelingt es von links nach rechts eine Mehrheit für mehr Minderheitenengagement in der EU aufzubauen? Oder verheddert sich die europäische Bürgerinitiative in parteipolitischen Auseinandersetzungen?

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