Kulturkommentar
„Europa im Kopf“
Europa im Kopf
Europa im Kopf
Wie sehr klaffen der Wunsch nach einer freien Europäischen Union und die Realität eigentlich auseinander? Dieser Frage sieht sich Hannah Dobiaschowski konfrontiert, als sie spielende Kinder beobachtet.
„Stooopp! Anhalten! Pass, bitte!“ Mit strengem Blick und eindeutiger Geste wird der Fahrer des Wagens zum Stehen gebracht und muss seine Papiere vorzeigen, hinter ihm staut sich der Verkehr.
Wir sind nicht etwa an einem der wenigen geöffneten Grenzübergänge zwischen Deutschland und Dänemark, sondern in der Schulfreizeitordnung (SFO) der Deutschen Privatschule Apenrade, die Autos sind keine Pkw, sondern Kinderspielzeug, die Pässe sind Blätter, die von der Hecke abgerissen werden. Ich will gerade meinen Sohn abholen, als ich dieses Szenario vorfinde.
Die Kinder spielen Stau und Passkontrolle, und mir wird ein bisschen seltsam zumute. Denn obwohl die Grenze nach Dänemark schon seit vielen Jahren keine freie Grenze mehr ist, so habe ich immer noch das Gefühl, dass es eigentlich eine Ausnahme ist, dass es ja nicht sein darf. Ein trotziges Gefühl und sicherlich auch etwas naiv. Aber ich weiß von Schengen, in meinem Kopf existiert immer noch das freie Europa, was es ja auch gibt, nur eben nicht vor der Haustür. Und eigentlich hoffe ich immer noch darauf, dass mal jemand der dänischen Regierung sagt, dass sie das nicht darf.
Aber was ist mit den Kindern? Die jüngsten Schüler in der SFO sind fünf Jahre alt, die älteren vielleicht zehn. Niemand von ihnen erinnert sich an diese Grenze ohne Kontrollen, manche waren gerade erst geboren, als Dänemark schon wieder zugemacht hat. Sie kennen es nicht anders.
Das Spiel der Kinder zeigt mir in erschreckender Deutlichkeit, was eigentlich die Realität ist. Denn Kinder spiegeln in ihrem Spiel das, was sie kennen und erleben. Nicht das vereinte Europa mit offenen Grenzen, wie es in meinem Kopf existiert, sondern mit Kontrollen, jedes Mal, wenn man nach Dänemark zurückkehrt.
Und noch eins sagt mir dieses Kinderspiel. Wir müssen gut auf unsere EU aufpassen. Nicht, dass die Kinder irgendwann „Deutscher beantragt Visum für Dänemark“ spielen.