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Das waren die besten Bücher 2022

Das waren die besten Bücher 2022

Das waren die besten Bücher 2022

Der Nordschleswiger
Der Nordschleswiger
Apenrade/Aabenraa
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Wer gerne liest, leidet selten bis nie unter Langeweile (Modellfoto). Foto: Adobe Stock

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Einige der Buchtipps aus der „Nordschleswiger“-Redaktion handeln von Tod und Trauer. Das allerdings im besten Sinne, denn es geht auch um ein Wachsen daran und darum, das Leben zu feiern. Themen sind außerdem starke Frauen, das Gute im Menschen, ein ganz besonderes Vater-Tochter-Team und die spannende Geschichte über einen Geschäftsmann.

Marlies Wiedenhaupt: Wo das Thema Tod Lust aufs Leben macht

Was für mich ein Qualitätsmerkmal für ein gutes Buch ist? Wenn ich es kaufe – obwohl ich das entliehene Exemplar aus der Bücherei schon kenne. Und wenn ich Lust habe, es zu verschenken. Diese Kriterien erfüllt mein Fundstück von 2022: „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“ von Susann Pásztor.

Die Autorin widmet sich einem heiklen Thema in erfrischender Weise. Es geht um eine unheilbar krebskranke Atheistin, einen alleinerziehenden Sterbebegleiter und seinen zwölfjährigen Sohn – und um Seelenverwandtschaft. Eine zentrale Rolle spielen außerdem die Band Grateful Dead und die Aufbruchstimmung der 1960er-Jahre.

Die Lektüre ist heiter und ernst zugleich, lebt von wunderbar gezeichneten Charakteren und einer klaren, zu Herzen gehenden Sprache. Literaturkritikerin Christine Westermann ist nur beizupflichten, wenn sie schreibt: „Dieser Roman ist keiner, der Angst vorm Sterben macht. Im Gegenteil. Er macht Lust auf das Leben.“

Foto: Verlag

Amanda Klara Stephany: Wiederentdeckte Frauen

Mein Buch des Jahres ist nicht nur eines, sondern es sind zwei. Trotzdem würde ich sie in eine Kategorie packen, meine Lieblingskategorie: Bücher von wiederentdeckten Frauen aus dem 19./20. Jahrhundert: „Gesichter“ von Tove Ditlevsen und „Die Sekretärinnen“ von Elin Wägner

Beide Bücher erschienen im vergangenen Jahrhundert. Auf dem deutschen Büchermarkt kann man sie übersetzt aber erst seit 2022 kaufen. Schuld daran war und ist der männerdominierte Büchermarkt beziehungsweise Literaturkanon gewesen. Literatur von Frauen stieß dabei auf wenig Interesse und wenn, dann nur als sogenannte „Frauenliteratur“, die von keuscher Liebe und Ehegelübden handeln sollte, nicht von emanzipierten Frauen mit eigener Meinung und unkonventionellen Lebensstilen. 

Beide Autorinnen beschreiben in ihren Büchern die Lebensverhältnisse von Frauen zur damaligen Zeit und zeigen, wie jegliche progressive und feministische Haltung und Handlung einer Frau von der Gesellschaft im Keim zu ersticken versucht worden ist. Während Tove Ditlevsens Protagonistin als „verrückte Frau“ in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird und dort langsam ihren Frieden findet, macht Elin Wägners Hauptdarstellerin Erfahrungen als alleinstehende, berufstätige Frau im Stockholm des frühen 20. Jahrhunderts. 

Erfreulicherweise hat der Trend zur Wiederentdeckung von feministischer, weiblicher Literatur in den vergangenen Jahren zugenommen.  „Gesichter“ von Tove Ditlevsen wurde veröffentlicht, weil im Jahr zuvor ihre Kopenhagen-Trilogie einen riesigen Erfolg verzeichnet hatte und mehrfach in den deutschen Medien besprochen worden war. 

Einige Verlagsgruppen haben es sich sogar zur Aufgabe gemacht, ausschließlich Literatur von Frauen zu verlegen, wie etwa der Ecco-Verlag, der auch „Die Sekretärinnen“ herausbrachte.

Und für die Kunstinteressierten hat das Buch von Elin Wägner auch gleich eine kleine ästhetische Überraschung: Das Kunstwerk „The Ten Largest No.2, Childhood“ von der schwedischen Malerin Hilma Klint ziert das Buchcover. 

Foto: Verlag

 

Walter Turnowsky: Den Ursachen von Selbstmorden auf der Spur

In dem Blumental des Titels „Blomsterdalen“ von Niviaq Korneliussen, das bei der ostgrönländischen Stadt Tasiilaq liegt, stehen die weißen Kreuze des Friedhofes. Unter ihnen ruhen viele – zu viele – Menschen, die jung gestorben sind, sich das eigene Leben genommen haben. Die namenlose Protagonistin des zweiten Romans von Niviaq Korneliussen (Originaltitel: Naasuliardarpi) will den Ursachen der vielen Selbstmorde in Grönland auf den Grund gehen, gerät jedoch selbst immer tiefer in den Sog. Ein Rabe wacht anfangs eine Nacht lang über sie, „doch wusste er nicht, dass er mich vor dem Tageslicht schützen sollte“.

Das Buch ist dank Korneliussens direkter Sprache (sie hat es selbst ins Dänische übersetzt) ein ganz besonderes Leseerlebnis, das man sich jedoch für helle Tage aufsparen sollte. Zu Recht wurde der Roman mit dem Literaturpreis des nordischen Rates ausgezeichnet.

„Blomsterdalen“ ist (noch) nicht ins Deutsche übersetzt, doch Niviaq Korneliussens ersten Roman „Homo Sapienne“ kannst du auch auf Deutsch lesen.

Foto: Verlag

Cornelius von Tiedemann: Doch nicht so schlecht

Der Mensch ist schlecht. Das ist eine weitverbreitete Grundannahme. Menschen sind im Grunde vom Neid angetrieben, und sie brauchen den Wettbewerb, weil er ihrem Naturell entspricht. Außerdem setzen sich immer die Stärkeren durch.

Der niederländische Historiker Rutger Bregman hat sich in seinem Buch „Im Grunde gut” damit auseinandergesetzt, was es für uns bedeutet, dass wir seit Ewigkeiten (fälschlicherweise) davon ausgehen, dass wir alle Egoisten sind. Er nimmt uns an die Hand und lässt uns, in bester populärwissenschaftlicher Manier, an seinen Erkenntnisprozessen teilhaben. Das fühlt sich manchmal etwas nach Grundschulpädagogik an. Doch Bregman ist eben daran gelegen, alle mitzunehmen und überzeugend darzulegen, dass sogar jene Menschen, die bereit sind, die grausamsten Dinge zu tun, dies deshalb tun, weil sie davon überzeugt sind, im Auftrag des Guten zu handeln. Etwas, an das wir denken sollten, wenn wir uns das nächste Mal streiten. Privat, politisch oder auf der Arbeit.

Foto: Verlag

Ute Levisen: Mit Tiefgang und voller Humor

Mein Buch des Jahres ist „Der Markisenmann“ von Jan Weiler.

Die Handlung: Die fünfzehnjährige Kim hat ihren Vater noch nie gesehen, als sie von ihrer Mutter über die Sommerferien zu ihm abgeschoben wird, nachdem sie ihren kleinen Bruder verletzt hatte.

Der fremde Vater kommt Kim merkwürdig vor, und er ist hoffnungslos schlecht in seinem Job, der darin besteht, Markisen aus ostdeutschen Beständen zu verkaufen – in den grellen Farben der Tristesse, die den Ostblock prägten. Doch sein Leben ändert sich für immer, als ihm seine Tochter hilft, die schrecklichen Markisen im knallharten Haustürgeschäft an den Mann zu bringen ...

Für mich ist „Der Markisenmann“ ein Coming-of-Age-Roman, eines der besten Bücher des Jahres – mit Tiefgang und ungeachtet aller Tristesse voller Humor und Einblicke in die Welt, in der wir leben.

Foto: Verlag

Carlotta Miede: Ein bisschen Melancholie zum Entspannen zwischen den Jahren

Ein Indikator für ein gutes Buch ist für mich, wenn es mir – zusammen mit den Gefühlen während des Lesens – immer wieder in den Kopf kommt. Ein Beispiel dafür ist „Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells. Der Gewinner des Literaturpreises der EU 2016 zeigt den realistischen Umgang mit Trauer, die einen das ganze Leben begleitet, wie sie Menschen voneinander trennt und zusammenbringt.

Im Mittelpunkt steht Jules, einer von drei Geschwistern, die früh ihre Eltern verlieren. Die Kinder bewältigen das Trauma sehr unterschiedlich, wodurch sie sich langsam voneinander entfernen. Trotz dessen finden sich die drei im Laufe des Lebens immer wieder, und nach und nach entsteht eine starke Bindung zwischen den Erwachsenen, die verschiedener nicht sein könnten.

„Vom Ende der Einsamkeit“ ist melancholisch und sprachlich klug geschrieben. Benedict Wells fängt die starken Emotionen mit unaufgeregten, aber ehrlichen Worten ein und erschafft damit eine zart einhüllende Atmosphäre. Meiner Meinung nach ist das Buch die perfekte Literatur für die Zeit zwischen den Jahren, wenn man sich von der Weihnachts-extravaganza erholen muss, das Bedürfnis nach ein bisschen Ruhe hat, aber trotzdem nicht auf Emotionen beim Lesen verzichten möchte.

Foto: Verlag

Gwyn Nissen: Ein Wirtschaftsmärchen mit Herz

Noch nie habe ich ein Buch so schnell gelesen, ja, wahrlich verschlungen, wie „Et ekstra gear“ („Einen Gang höher“) – die Geschichte über den Geschäftsmann Lars Rolner aus Aarhus, der Wurzeln in Süderhaff (Sønderhav) und Hamburg geschlagen hat.

Seinen Lebenslauf beschreibt Tom Okke – in Tingleff (Tinglev) als der „Sohn des Möbelhändlers“ bekannt, in Dänemark aber in Wirtschaftskreisen als gut schreibender Journalist, unter anderem für das Wirtschaftsblatt „Børsen“, respektiert. Tom Okke hat zuvor auch über Peter Mads Clausen von Danfoss ein Buch geschrieben („Værdiernes mand“) und über die besten Restaurants in Nordschleswig („Gennem generationer“).

Tom Okke versteht es, Lars Rolners Geschichte ohne viele Schnörkel zu erzählen, und er bauscht die Sprache nicht auf. Rolners Lebenslauf braucht keine künstliche Beatmung durch den Autor, denn er beschreibt fast schon ein Wirtschaftswunder: Der kleine und durch Krankheiten oft schwächliche Lars hat es anfangs schwer im Leben.

Vielleicht hat gerade das dazu geführt, dass aus ihm ein Kämpfer geworden ist. Hinzu kommt die Gabe, ein kluges Köpfchen für gute Logistik-Lösungen zu haben, Mut (den er sowohl im Geschäftsleben als auch bei Autorennen aufbringt) und vielleicht sogar ein Quäntchen Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Dazu meint er allerdings lächelnd: „Was hätte nicht aus mir werden können, wenn ich nicht nur Glück, sondern auch Können bewiesen hätte …“ Lars Rolner hat anscheinend immer einen Gang mehr als alle um ihn herum.

So wurde aus dem Speditionslehrling der Mitinhaber einer Shippingfirma und schließlich der Gründer einer eigenen Reederei. Die United Group bietet innovative Logistiklösungen für den grünen Energiesektor und hat ihren Sitz in Hamburg – direkt an der Elbphilharmonie.

Aber auch wenn er sich teure Immobilien, Kunst, Autos und Weine leisten kann, hat er ein großes Herz für die Schwächsten unserer Gesellschaft – sei es am Julemærkehjem Fjordmark in Kollund, in Südschleswig oder in Hamburg. Lars Rolner unterstützt wohltätige Zwecke nicht nur mit Geld, sondern auch mit seiner Zeit. Und somit schließt sich der Kreis von seiner eigenen Kindheit bis heute.

Das Buch gibt es (leider) nur auf Dänisch.

Foto: Verlag
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