Besuch in Washington

Merkel bei Biden - Hochwasser rückt Klima ins Zentrum

Merkel bei Biden - Hochwasser rückt Klima ins Zentrum

Merkel bei Biden - Hochwasser rückt Klima ins Zentrum

dpa
Washington
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Kanzlerin Merkel ist die erste Regierungschefin aus Europa, die Biden im Weißen Haus empfängt. Foto: Stefanie Loos/AFP POOL/dpa

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Als erste Regierungschefin aus Europa ist Kanzlerin Merkel bei US-Präsident Biden zu Gast. Die Überschwemmungen in Deutschland lenken den Blick auf ein zentrales Zukunftsthema.

Angela Merkel wirkt bestürzt, als sie in der deutschen Botschaft in Washington vor die Kameras tritt.

Ihre Gedanken seien in diesen Stunden «immer auch bei den Menschen in der Heimat», in den Hochwassergebieten in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen, sagt die Kanzlerin bei einem kurzfristig arrangierten Auftritt. «Ihnen will ich auch von hier aus ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität schicken.» Von Katastrophe und Tragödie spricht Merkel. Es ist ihr anzumerken, wie sehr sie die Lage zu Hause in Deutschland bewegt.

Es ist eine der letzten großen Auslandsreisen Merkels und einer der wichtigsten USA-Besuche in ihrer zu Ende gehenden bald 16-jährigen Ära als Kanzlerin. Doch die Überschwemmungen mit vielen Toten, eingestürzten Häusern und überfluteten Landstrichen lassen den Anlass ihres Besuchs in der US-Hauptstadt fast in den Hintergrund treten.

Nach einer Zeit der Zerrüttung während der Ära von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump wollen Merkel und der neue US-Präsident Joe Biden vor allem ein Signal des Neuanfangs senden. Die Atmosphäre zwischen Berlin und Washington stimmt wieder, soll die Botschaft sein - selbst wenn einzelne Konflikte weiter bestehen. Und auch wenn Merkel nicht mehr zur Bundestagswahl antritt und sie in ein paar Monaten aus dem Amt scheidet: Für ihre Nachfolgerin oder ihren Nachfolger im Kanzleramt könnten bei den Beratungen in den USA wichtige Weichen gestellt werden.

Die Überflutungen in Deutschland dürften den Blick von Merkel und Biden wohl viel stärker als eigentlich geplant auf das Megathema der Zukunft lenken, den Klimaschutz. Ausgerechnet bei diesem Punkt hatte es in der Zeit von Trump gigantische Differenzen gegeben: Dieser hatte die USA aus dem Klimaschutzabkommen von Paris gezogen.

Biden machte den Ausstieg am ersten Tag im Amt rückgängig. Unter ihm sind sich die USA und die EU sowie andere Partner grundsätzlich einig, dass der Kampf gegen den Klimawandel von überragender Bedeutung ist. Der Präsident nennt das sich ändernde Klima oft eine «existenzielle Bedrohung». Unter Trump wären solche Worte undenkbar gewesen - er zweifelte an, dass der Klimawandel menschengemacht sei.

Der Klimawandel sei nicht weg, «seitdem wir Covid haben», sagt Merkel bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Johns-Hopkins-Universität. Deswegen müsse die UN-Klimakonferenz in Glasgow im Herbst Fortschritte bringen. «Da ist natürlich eine sehr, sehr gute Nachricht, dass die Vereinigten Staaten von Amerika wieder mit dabei sind und auch durchaus ambitionierte Ziele vorgebracht haben», lobte sie. «Das verändert die Welt natürlich vollkommen, weil wieder einer der großen Emittenten jetzt auch mitmacht und weil das natürlich auch andere Länder, auch Europa, auch China, auch andere entwickelte Staaten wie Japan zum Beispiel unter Druck setzt.»

Es gebe zunehmend Extremwetterereignisse, warnt Merkel und nennt die Flutkatastrophe in Deutschland und die Feuer in Kalifornien. Zwar habe es immer mal einen Sturm und eine Flut gegeben, «aber die Häufung macht einfach Sorge und fordert uns zum Handeln auf».

Herzliche Begrüßung durch US-Vizepräsidentin Kamala Harris

Vor ihrem schweren Auftritt zur Unwetterkatastrophe in Deutschland hatte sich Merkel mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris getroffen - einer Frau, für die die Kanzlerin ganz offensichtlich große Sympathie empfindet. Schon direkt nach der Wahl Bidens zum Präsidenten hatte die Kanzlerin im November erwähnt, dass sie sich auf ein Treffen mit Harris freue. Ausdrücklich würdigte sie damals, dass Harris als erste Frau und als Kind zweier Einwanderer zur Vizepräsidentin gewählt worden sei. Sie sei «für viele Menschen eine Inspiration, ein Beispiel für die Möglichkeiten Amerikas». Merkel war selbst 2005 als erste Frau an die Spitze der Bundesregierung gewählt worden.

Es sind dann auch herzliche Szenen an Harris' offiziellem Wohnsitz, Number One Observatory Circle - Merkel trägt dabei einen ockergelben Blazer, Harris ein dunkelblaues Jackett. Die Hände schütteln sich die beiden nicht, wohl wegen der Corona-Pandemie. Der Handshake gilt in den USA angesichts von großen Impffortschritten und niedrigen Infektionszahlen nicht mehr als Tabu. Doch Merkel gilt als extrem vorsichtig hinsichtlich Corona - und sieht sich bei den Kontaktbeschränkungen in einer besonderen Vorbildrolle. Inhaltlich geben Merkel und Harris schon zum Auftakt des Besuchs den Ton vor - beide unterstreichen die Bedeutung gemeinsamer Werte.

In Trumps vier Amtsjahren hatte das internationale Image der Vereinigten Staaten schweren Schaden genommen - vor allem wegen dessen «Amerika zuerst»-Politik. Kritiker sahen plötzlich nicht mehr im US-Präsidenten, sondern in Merkel die Anführerin der freien Welt. Als sie im Mai 2019 in der liberalen Elite-Universität Harvard eine viel beachtete Rede mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für die internationale Zusammenarbeit und deren Organisationen hielt, wurde sie gefeiert wie ein Popstar.

Merkel: Nach Ausscheiden aus Amt erstmal lesen und schlafen

Natürlich wird die Kanzlerin auch in Washington gefragt, was sie tun werde, wenn sie aus dem Amt geschieden sei und was sich am Tag danach für sie ändern werde. «Wahrscheinlich werden mir gewohnheitsmäßig verschiedene Gedanken in den Kopf kommen, was ich jetzt eigentlich machen müsste», gibt Merkel bei einer Fragerunde mit Studenten an der Johns-Hopkins-Uni gut gelaunt zurück. «Und dann wird mir ganz schnell einfallen, dass das jetzt ein anderer macht. Und ich glaube, das wird mir sehr gut gefallen.»

Sie werde bemerken, dass sie Freizeit habe - und nicht gleich die nächste Einladung annehmen, «weil ich Angst habe, ich hab' nichts zu tun und keiner will mich mehr», sagt Merkel noch. Und eine Pause zum Nachdenken darüber, was sie eigentlich interessiere, werde sie einlegen, «denn in den letzten 16 Jahren habe ich dazu wenig Zeit gehabt». Sie werde lesen und schlafen - «und dann schau'n wir mal, wo ich auftauche», schließt sie schmunzelnd.

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