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„China will weltpolitische Alternativen – Menschenrechte werden derweil mit Füßen getreten“

China will weltpolitische Alternativen

China will weltpolitische Alternativen

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Apenrade/Aabenraa
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Der chinesische Präsident Xi Jinping wird nicht am G20-Gipfel teilnehmen. Was die Abwesenheit bedeuten könnte und welche Folgen das für die Weltpolitik und die Menschenrechte in dem Land hat, darüber schreibt Jan Diedrichsen in seiner Kolumne.

Auf der weltpolitischen Bühne werden aktuell die Karten für eine ungewisse Zukunft neu gemischt. Die Gegner heißen China und USA. Eine sich zuspitzende Konfrontation verlangt mehr denn je nach Diskussionsforen, in denen der anwachsende Gegensatz abgefedert werden kann.

Einem solchen Forum hat der chinesische Präsident Xi Jinping gerade abgesagt: Der G20-Gipfel in Indien wird ohne den mächtigsten Mann Pekings stattfinden. Es ist das erste Mal seit der Gründung 2008, dass ein chinesischer Staatschef nicht am G20-Gipfel teilnimmt.

Es wird vermutet, dass Xis Abwesenheit auch eine Brüskierung des Gastgeberlandes Indien sein könnte, mit dem China in Grenzstreitigkeiten etwa um Kaschmir verwickelt ist. Es könnte auch Teil eines Vorstoßes sein, andere multilaterale Gruppen gegenüber dem als US-dominiert geltenden Forum aufzuwerten. Erst kürzlich reiste Xi zum Brics-Gipfel in Südafrika, einer Gruppe, die der chinesische Staatschef als Alternative zu angeblich „westlich“ geführten Gruppen wie den G20 und G7 anpreist.

Vereinte Nationen nicht ohne Einfluss

Von den Vereinten Nationen (UN) – die Organisation, die per Definition die Zukunft der Menschheit diskutieren müsste – redet in diesem Kontext niemand. Die UN spielen bei der Neuordnung der globalen Weltordnung im Kalkül der Mächtigen keine Rolle. Doch ganz ohne Einfluss sind die Vereinten Nationen nicht. Sie werden unter anderem als Forum genutzt, um auf eklatante Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Und im Mittelpunkt, wie so oft, steht dabei China, eine Diktatur, die Menschenrechte mit Füßen tritt. Es muss so deutlich formuliert werden.

Ein Beispiel: Es ist ein Jahr her, als das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) seine seit Langem erwartete Bewertung der Menschenrechtslage in der Autonomen Region Xinjiang (Ostturkestan) vorlegte.  Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Verstöße der chinesischen Regierung gegen Uiguren, Kasachen und andere überwiegend muslimische Minderheiten – einschließlich Folter und Masseninhaftierung in Internierungslagern – „möglicherweise … Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen“.

Folterkammer als Heimat

Der Jahrestag des Berichts fällt in dieselbe Woche, in der Präsident Xi Jinping der Stadt Urumqi in Xinjiang einen Überraschungsbesuch abstattete und die Behörden aufforderte, „illegale religiöse Aktivitäten“ stärker zu unterbinden. Noch stärker, mag man sich da zu Recht fragen. Für Menschen muslimischen Glaubens ist Ostturkestan – ihre Heimat – nicht sicher, sondern oft eine Folterkammer.

In einer Rede bekräftigte Präsident Xi „die Ergebnisse der Politik (Chinas) in Xinjiang“. Er versprach, „die hart erkämpfte soziale Stabilität zu konsolidieren“, sicherzustellen, dass „die Öffentlichkeit (in Xinjiang) korrekte Ansichten … über Ethnizität, Geschichte und Religion“ hat, und „das Bewusstsein einer vereinten chinesischen Nation zu formen“. Der ewige Traum von Autokraten und Diktatoren, per Dekret festlegen zu können, was die Bevölkerung zu denken hat.

Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung

Seit 2017 gibt es umfangreiche Dokumentationen über Chinas brutales Vorgehen gegen Uiguren, Kasachen und andere überwiegend muslimische ethnische Minderheiten in Xinjiang, das alles unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung.

Seit dem UN-Bericht von 2022 hat Peking nur wenig an seiner Xinjiang-Politik geändert. Obwohl einige „politische Umerziehungslager“ geschlossen zu sein scheinen, gab es keine Massenentlassungen aus den Gefängnissen, in denen seit Beginn der Repressionen eine halbe Million türkischer Muslime inhaftiert sind.

Uiguren im Ausland haben nach wie vor wenig oder gar keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen, und einige wissen nicht einmal, ob ihre Angehörigen, die inhaftiert wurden oder gewaltsam verschwunden sind, noch leben.

Die Behörden in Xinjiang haben auch ihre Bemühungen zur Zwangsassimilierung der Uiguren verstärkt. Der Sekretär der Kommunistischen Partei von Xinjiang, Ma Xingrui, gelobte im November 2022, die Maßnahmen zur „Terrorismusbekämpfung und Stabilitätserhaltung“ fortzusetzen, von „verschiedenen ethnischen Gruppen … die vollständige Integration“ in die chinesische Nation zu verlangen, den Islam zu „sinisieren“, damit er mit den „sozialistischen Werten“ übereinstimmt, und die kulturelle und ideologische Kontrolle über die Region zu vertiefen.

Verschiedene Regierungen haben die Politik Pekings in Xinjiang verurteilt, und einige haben gezielte und andere Sanktionen gegen chinesische Regierungsbeamte, Behörden und Unternehmen verhängt, die in Rechtsverletzungen verwickelt sind. Nach der Veröffentlichung des UN-Berichts versuchte eine Gruppe von Ländern, die Situation in Xinjiang auf die Tagesordnung des UN-Menschenrechtsrats zu setzen, was Peking und seine Verbündeten knapp zu verhindern wussten. Was wiederum zeigt, wie weit der Einfluss Chinas reicht und wie wenig Menschenrechte in der Weltpolitik gelten.

Doch viel effektiver als nicht bindende Berichte der Vereinten Nationen wäre ein Umdenken der weltweit agierenden Konzerne, die Milliardengeschäfte mit China machen. Zumindest die Konzerne, die wie VW oder Carlsberg vor Ort in Xinjiang schmutzige Geschäfte machen, sollten schnellstens ihre Politik ändern. Wie schnell man auch wirtschaftlich auf das falsche Pferd setzen kann, wenn man zu eng mit einer Diktatur kungelt, zeigen dieser Tage die Milliardenabschreibungen, die Unternehmen in Russland verbuchen müssen.

Zur Person: Jan Diedrichsen

Jan Diedrichsen (Jahrgang 1975), wohnhaft in Berlin und Brüssel, leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel, hat sein Volontariat beim „Nordschleswiger“ absolviert und war als Journalist tätig. 13 Jahre lang leitete er das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen und war Direktor der FUEN in Flensburg. Ehrenamtlich engagiert er sich bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) – davon bis 2021 vier Jahre als Bundesvorsitzender. Seit Juni 2021 betreibt er gemeinsam mit Wolfgang Mayr, Tjan Zaotschnaja und Claus Biegert ehrenamtlich den Blog VOICES.

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