Schleswig-Holstein

Die Notizen des Ralf Rothmann: Furzende Pferde und Autoschieberei in Persien

Die Notizen des Ralf Rothmann: Furzende Pferde und Autoschieberei in Persien

Furzende Pferde und Autoschieberei in Persien

Joachim Pohl/shz.de
Schleswig-Holstein
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Der Autor Ralf Rothmann las im St-Johannis-Kloster vor knapp 100 Besuchern. Foto: Joachim Pohl

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Drei Tage bevor Ralf Rothmann nach Schleswig kam, hatte der Autor den bedeutenden Thomas-Mann-Preis erhalten. Jetzt las er im St.-Johannis-Kloster aus seinen Notizbüchern voller Alltagsbeobachtungen und spontaner Einfälle.

Ein Wiedersehen mit alten Schulfreunden oder Nachbarn gab es nicht. Obwohl 1953 in Schleswig geboren, hat der frisch gekürte Thomas-Mann-Preisträger Ralf Rothmann keine Verbindung mehr zur Schlei-Stadt. „Ich bin hier ja nur geboren“, sagt der Schriftsteller am Rande seiner Lesung im St.-Johannis-Kloster. „Gelebt habe ich in der Nähe von Böklund.“ Und mit fünf ist er weggezogen ins Ruhrgebiet.

Geburtsort ist die heutige Jugendherberge Schleswig

Aber die Adresse seines Geburtsorts, die hat er sich gemerkt: „Spielkoppel 1, da wo heute die Jugendherberge ist. Da muss eine Geburtsstation gewesen sein. Spielkoppel 1 – eine bessere Adresse für eine Geburt gibt es doch gar nicht“, fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu.

Einen besseren Ort für eine Lesung mit knapp 100 Besuchern eigentlich auch nicht. Die Kirche des Klosters ist gut gefüllt, als Konstanze Görres-Ohde – obwohl Juristin und keine Theologin – auf die Kanzel klettert und von dort das Publikum fröhlich begrüßt.

Freitags könnten keine Veranstaltungen im „Roten Elefanten“ stattfinden, sagt sie als Begründung der Verlegung des Rothmann-Gastspiels ins Kloster. Ihr Dank geht an die Kloster-Chefin Josefine Hubalek. „Nein, wie eine Nonne sieht sie nicht aus, sie ist auch keine, und darum darf sie keine Priörin sein“, erklärt sie munter in einer leichten Verkürzung des Sachverhalts an der Kloster-Spitze.

Freilauf für die Hündin im Kloster

Die Angesprochene nimmt es mit Humor und lässt ihrer kleinen Hündin freien Lauf, die während der Lesung sacht durch die Reihen streicht, diesen Schuh und jenen Unterschenkel ausführlich beschnüffelt, dabei übrigens auch nicht vor Rothmann zurückschreckt, und dann mit einem Satz auf die Bank hopst und sich zwischen zwei Damen niederlässt.

Erst drei Tage zuvor ist dem 70-Jährigen, dem man dieses Alter jedoch keineswegs ansieht, in München der bedeutende Thomas-Mann-Preis verliehen worden. Er sei eigentlich das Gegenteil von Thomas Mann, hat Konstanze Görres-Ohde noch von der Kanzel herunter festgestellt. Er lebe anders und arbeite anders, aber wie Mann brenne er für das Schreiben.

36 Notizbücher des Ralf Rothmann

Und so hat Rothmann seit 1984 nicht zur zahlreiche Romane und Erzählbände veröffentlicht, sondern auch 36 Notizbücher mit Alltagsbeobachtungen und spontanen Einfällen vollgeschrieben. „Viel zu schade für ein Archiv“ seien diese Notizbücher, so der Autor. Deshalb habe er sich die jetzt vorgeknöpft, daraus wahllos kürzere und längere Texte entnommen, bearbeitet und unter dem Titel „Theorie des Regens“ in diesem Jahr veröffentlicht.

Kalauer, Anekdoten, Kurzgeschichten

Ohne Mikrofon, Verstärker und Lautsprecher liest der Gast zunächst sitzend und – nach Protesten aus den letzten Reihen – dann stehend, mal den rechten Arm auf der hohen Stuhllehne lässig ablegend, deutlich über eine Stunde aus dem neuen Werk, wobei er offenbar blätternd spontan entscheidet, was er lesen würde. Das sind mal kaum mehr als kurze Kalauer, mal kleine Anekdoten und Begebenheiten bis hin zu kurzen Kurzgeschichten.

Als roter Faden ziehen sich des Autoren zahlreiche Begegnungen mit zum Teil sehr jungen Frauen durch die Textauswahl. Man erfährt, dass er in jüngeren Jahren schon mal eine fremde Frau auf einem Fest fragte, ob er ihre Schulter küssen dürfe, was diese verneinte, man lernt Miriam aus Berlin mit dem bunten R4 kennen und dass seine damalige Freundin Ellen eine „Synthese aus Eleganz und Anarchismus“ gewesen sei. Als 30-Jähriger lebt er in Barcelona in einer WG mit 20-jährigen Studentinnen, und schon damals habe er jünger ausgesehen als er war.

Ausritt mit einem Pferd in den Anden

Doch Rothmann trägt diese kurzen Texte mit feinem Understatement vor, er brüstet sich nicht mit seiner Akzeptanz in der Damenwelt, sondern berichtet nur darüber. Und es gibt ja durchaus auch andere Themen. Etwa der Ausritt mit dem kleinen, stets furzenden Pferd „Phosphorito“ in den Anden, das den Weg schon kannte, das immer dann stoppte, wenn es eine tolle Aussicht gab, und an einer steilen Stelle wartete, bis der Reiter abstieg.

Limousinen nach Teheran überführt

Oder die Episode mit der Autoschieberei ins Persien des Schahs, als er zusammen mit anderen langhaarigen Jeansträgern im Auftrag eines persischen Teppichhändlers aus dem Ruhrgebiet nagelneue, PS-strotzende Limousinen in fünf Tagen nach Teheran überführte.

„Endlich mal ein Autor, der auch richtig gut lesen kann“, murmelt ein Herr in den ausführlichen Beifall hinein. Die Begegnung mit dem Publikum bei Weißwein und Paragrafen-Bretzeln im Remter lässt sich Ralf Rothmann natürlich nicht nehmen.

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