Corona-Maßnahmen

Der Norden angelt zuletzt

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Kay Müller/shz.de
Quickborn/Kiel
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Kann wieder in Schleswig-Holstein auf Forellen-Fang gehen: Tim Riediger. Foto: Michael Ruff

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Nach allen anderen Bundesländern dürfen die gewerblichen Angelteiche in Schleswig-Holstein wieder öffnen / Ein Besuch in Quickborn

Der erste kam gleich nach Mitternacht. „Der wusste, dass ich wieder öffne und wollte wohl am schnellsten sein“, sagt Selcuk Yavuz. Der 44-Jährige steht am Ufer des von ihm gepachteten Forellensees Quickborn (Kreis Pinneberg) und raucht eine Zigarette. Hinter ihm steht ein gutes Dutzend Angler mit Routen. „Ich freue mich, dass sie da sind“, sagt Yavuz. Und: „Damit hört auch endlich diese Ungerechtigkeit auf.“ 

Individualsport, Freizeitvergnügen, Nahrungserwerb? Die Corona-Regeln zum Angeln treiben Pächter wie Selcuk Yavuz zur Verzweiflung. Foto: Michael Ruff

Denn neben Frisören und Gartencentern dürfen seit gestern auch wieder gewerbliche Angelseen ihre Pforten für Kunden öffnen. „Als letztes von 16 Bundesländern zieht Schleswig-Holstein nach“, sagt der FDP-Landtagsabgeordnete Dennys Bornhöft (FDP), der sich für die Öffnung stark gemacht hat. „Es sind vielleicht eine Handvoll Betriebe betroffen“, erklärt der Liberale, der selbst gern auf Fischjagd geht. „Aber ich konnte nicht verstehen, warum so etwas hier nicht möglich sein soll“, sagt er und deutet auf den See, der direkt neben der Autobahn liegt. „Wir müssen bei den Sachen, die wir öffnen noch stärker nach drinnen meint draußen differenzieren“, sagt seine Parteifreundin Annabell Krämer, die in Quickborn wohnt.

Unterschiedliche Regeln in unterschiedlichen Ländern

„Von den Anglern will sowieso jeder für sich sein, und ich nehme alle Daten auf und habe auch ein Hygienekonzept“, sagt Yavuz.

Doch trotzdem musste er am 19. Dezember seinen See schließen – unter Protest nachdem die Polizei kam. „Die Angler an Vereinsseen konnten aber weitermachen, auch die an der Küste und den Förden – und privat sowieso“, sagt Yavuz und zieht zornig an seiner Zigarette. „Nur gewerbliche Angelseen galten als Freizeiteinrichtungen“, erklärt Bornhöft.

Hat ein Herz für Angler: Dennys Bornhöft, FDP-Landtagsabgeordneter. Foto: Michael Ruff

In anderen Bundesländern habe das Angeln gegen Geld hingegen als Nahrungserwerb gezählt – und war somit erlaubt. „Das hat mich ganz schön frustriert“, sagt Yavuz – und das ist wohl noch höflich formuliert. Denn er musste mit ansehen, wie Stammkunden wie Tim Riediger 30 Kilometer nach Süden fuhren, um dort Fische aus gewerblich genutzten Teichen zu holen. „Das war schon komisch“, gibt Riediger zu, der pünktlich zur Eröffnung wieder an seinem „Heimatsee“ ist. „Ich angle hier seit 18 Jahren, ich kann nicht verstehen, warum der geschlossen wurde und andere nicht.“

Das geht Yavuz ähnlich. Seine Zigarette ist verglüht als er erzählt, dass es ihm in den vergangenen Monaten so schlecht gegangen sei wie noch nie zuvor in seinem Leben. „Ich hatte Angst, richtige Existenzangst.“

Den See habe er im Frühjahr mitten im ersten Lockdown gepachtet, weil er neben dem Geschäft aus der Gastronomie im Freibad Bad Bramstedt ein zweites Standbein haben wollte. „Hier ist alles draußen, die Leute halten Abstand, ich habe gedacht: Das macht als erstes wieder auf.“ So war es auch im Mai, aber eben nur bis Mitte Dezember. Nach sieben Monaten war der Pächter kurz davor aufzugeben.

Hier ist alles draußen, die Leute halten Abstand, ich habe gedacht: Das macht als erstes wieder auf.

Selcuk Yavuz, Pächter

Yavuz hat eine Menge investiert, Zeit und Geld. Ein fünfstelliger Betrag an Pacht, Kosten für den Fischbesatz und entgangene Umsätze habe er verloren. „Was ich an Abschlagszahlung aus der Überbrückungshilfe bekommen habe, ist dagegen ein Witz.“ Er habe wie viele andere Solo-Selbstständige erweiterte Grundsicherung beantragen müssen, um sich, seine Frau und seine 13-jährige Tochter über die Runden bringen zu können. „Ich will aber nicht vom Staat leben, sondern meine Familie selbst ernähren.“

Wenn der See so wie jetzt wieder normal genutzt werde, könne das gelingen, glaubt Yavuz. „Aber ich habe immer noch Angst.“ Denn er wisse nicht, ob die Politik seinen See vielleicht doch irgendwann wieder sperre. Und wann er mit dem Geschäft im Freibad starten darf, ist auch unklar.

Immerhin sind seine Kunden wieder da – so wie Tim Riediger. „Wichtig ist doch, dass es wieder los geht.“

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