Krieg
Nach Abhörskandal: Aufklärung und Konsequenzen im Fokus
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Die russische Veröffentlichung eines Mitschnitts deutscher Luftwaffen-Offiziere hat in Berlin für Entsetzen gesorgt. Zentrale Fragen sind jetzt: Wie konnte es dazu kommen - und was folgt daraus?
Nach dem Skandal um ein mutmaßlich durch Russland abgehörtes Gespräch deutscher Luftwaffen-Offiziere stehen die Aufklärung der Umstände und die möglichen Konsequenzen im Mittelpunkt. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte, er rechne in den ersten Tagen der neuen Woche mit Ergebnissen der Prüfung des Militärischen Abschirmdienstes. Unklar ist bislang, wie Russland Zugang zu der internen Schalte bekommen konnte. Sicherheitspolitiker der Ampel und der Union forderten bereits bessere Sicherheitsvorkehrungen bei sensibler Kommunikation.
Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Florian Hahn (CSU), sagte der «Augsburger Allgemeinen», es stelle sich «unmittelbar die Frage nach den Standards, der Ausrüstung und der Weisungslage im Ministerium».
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte der «Rheinischen Post»: «Auf bittere Weise zeigt sich, dass unsere Spionageabwehr Lücken hat.» Der Vorsitzende des Europaausschusses des Bundestags fügte hinzu: «Es muss schnell aufgeklärt werden, welchen Umfang die Abhöraktionen der russischen Geheimdienste haben. Gleichzeitig müssen wir die eigenen Fähigkeiten ausbauen, um Spionage und Desinformation abzuwehren.»
Der FDP-Innenexperte Konstantin Kuhle sagte dem «Spiegel»: Sollte sich bewahrheiten, dass die interne Kommunikation der Bundeswehr kompromittiert wurde, «bedarf es einer Generalrevision der gesamten internen Infrastruktur zur internen Kommunikation sicherheitsrelevanter Stellen in Deutschland».
«Teil eines Informationskriegs»
Am Freitag hatte Russland ein mitgeschnittenes Gespräch hoher Offiziere veröffentlicht, in der sie Einsatzszenarien für den deutschen Marschflugkörper Taurus erörterten, falls dieser doch noch an die Ukraine geliefert würde. Das deutsche Verteidigungsministerium teilte mit: «Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen.»
Groß ist die Sorge, dass weitere sicherheitsrelevante Kommunikation deutscher Stellen abgehört worden sein könnte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am Wochenende von einer «sehr ernsten Angelegenheit». Pistorius (SPD) wertete die Veröffentlichung des internen Gesprächs durch Russland als «hybriden Angriff zur Desinformation».
«Es ist Teil eines Informationskriegs, den Putin führt», sagte der SPD-Politiker mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Pistorius sicherte zu, nach der Prüfung des Vorfalls zügig die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
Debatte über Scholz' Nein zu Taurus-Lieferung
Die Veröffentlichung heizt auch die Debatte über das Nein von Kanzler Scholz zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine neu an. Die Union zieht die Glaubwürdigkeit seiner Argumentationslinie infrage: Sie liest aus dem Gespräch der Luftwaffen-Offiziere heraus, dass eine Beteiligung deutscher Soldaten bei einem Taurus-Einsatz durch die Ukraine technisch nicht zwingend erforderlich sei.
Der Bundeskanzler dürfe in der Taurus-Frage «keine Nebelkerzen mehr werfen», sagte der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter der «Rheinischen Post». «Wir müssen unser Ziel der Unterstützung der Ukraine schnell ändern: Es darf nicht sein, dass das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechts muss durchgesetzt werden. Das heißt: Die Ukraine muss diesen Krieg unbedingt gewinnen.»
Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler sieht die Veröffentlichung dagegen als weiteres Argument, Taurus nicht an die Ukraine zu liefern. «Inhaltlich zeigen die Gespräche noch einmal sehr deutlich, dass die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern brandgefährlich wäre und mögliche Angriffe bis nach Moskau eine beispiellose Eskalationsspirale auslösen könnten», sagt sie dem «Spiegel».
«Es ist gefährlich, die Bundeswehr mit dreistelligen Milliardenbeträgen auszustatten, wenn sie nicht einmal in der Lage ist, eine Videokonferenz abhörsicher abzuhalten.»
Einsatzszenarien für den Taurus
In der Schaltkonferenz erörtern vier Offiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, zur Vorbereitung eines Gesprächs mit Pistorius Einsatzszenarien für den Taurus. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine baldige Lieferung und ein schneller Einsatz nur mit Beteiligung deutscher Soldaten möglich wäre - und dass eine Taurus-Ausbildung ukrainischer Soldaten für einen Einsatz in alleiniger Regie möglich wäre, aber Monate dauern würde.
Diskutiert wird auch über die mögliche Zerstörung der von Russland gebauten Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim. Allerdings ist in dem Mitschnitt auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper gibt. Kanzler Scholz hatte sein Nein zu einer Taurus-Lieferung damit begründet, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen werden könnte.
Söder: Fürchterliche Woche für Deutschland
CSU-Chef Markus Söder sieht nach den Vorgängen «eine Menge an Diskussionsbedarf». «Das Ganze war jetzt unter uns gesagt auch 'ne fürchterliche Woche für Deutschland», sagte der bayerische Ministerpräsident in der ARD-Sendung «Caren Miosga». Er verwies neben dem Abhörskandal auf den «Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich, auf offener Bühne ausgetragen - ich glaube zum Gelächter im Kreml».
Der Abhörskandal dürfte heute auch ein zentrales Thema der regulären Regierungspressekonferenz sein.