Die Grünen

Baerbock oder Habeck – wer tritt an fürs Kanzleramt?

Baerbock oder Habeck – wer tritt an fürs Kanzleramt?

Baerbock oder Habeck – wer tritt an fürs Kanzleramt?

Henning Baethge/shz.de
Berlin
Zuletzt aktualisiert um:
Ein eingespieltes Team: Annalena Baerbock und Robert Habeck. Foto: picture alliance/Kay Nietfeld/dpa

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die Entscheidung in der Ökopartei rückt näher – und der Flensburger hat die besseren Chancen.

Am Freitag ist es so weit: Die beiden Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock werden – nein, noch nicht verraten, wer von ihnen für das Kanzleramt kandidieren wird. Vielmehr werden sie erst mal das Programm ihrer Partei für die Bundestagswahl im September vorstellen. Die andere Frage wollen sie erst zwischen Ostern und Pfingsten einvernehmlich untereinander klären, getreu dem Motto aller politischer Poker-Runden: Erst die Inhalte, dann das Personal.

Erstmals könnten die Grünen den Kanzler oder die Kanzlerin stellen

Der Plan ändert allerdings nichts daran, dass das öffentliche Interesse an der Antwort der Grünen auf die K-Frage schon jetzt riesig ist. Denn erstmals scheint es möglich, dass die Ökopartei den Kanzler oder die Kanzlerin stellt. In den Umfragen liegen die Grünen seit einem halben Jahr stabil bei 18 bis 21 Prozent. Sollten sie – etwa wegen der Probleme der Union – noch leicht zulegen und SPD, FDP oder Linke ebenfalls, wäre zumindest rechnerisch sowohl eine grün-rot-gelbe Ampel als auch eine grün-rot-rote Linkskoalition unter Führung der Grünen denkbar.

Das Kanzleramt, das höchste Amt der deutschen Politik, ist nicht quotierbar.

Robert Habeck, Grünen-Vorsitzender

Befeuert hat jetzt ausgerechnet Habeck die unliebsame Debatte über die K-Frage, als er am vergangenen Wahlsonntag im ARD-Talk mit Anne Will erstmals vor breitem Publikum seiner Kollegin Baerbock ein Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur einzuräumen schien. „Wenn Annalena Baerbock als Frau sagen würde, ich mache es, weil ich eine Frau bin, und die Frauen haben das erste Zugriffsrecht, dann hat sie es, natürlich“, sagte Habeck. Nicht ohne allerdings zu ergänzen, dass sowohl er als auch Baerbock den bei den Grünen üblichen Frauen-Vorrang bei der K-Frage eben gerade nicht gelten lassen wollen: „Das Kanzleramt, das höchste Amt der deutschen Politik, ist nicht quotierbar.“

Wer verspricht den größeren Erfolg?

Was denn nun? Wer wird’s also? Baerbock sagt nur, was beide immer wieder unisono erklären: „Wir werden das in den nächsten Wochen gemeinsam entscheiden – und zwar mit Blick auf die unterschiedlichsten Kriterien.“ Aber was sind die Kriterien? „Alle relevanten“, weicht wiederum Habeck aus. Sie sind eben ein gut eingespieltes Team. Letztlich dürften zwei Fragen entscheiden: Wer will überhaupt? Und wenn beide wollen – wer verspricht den Grünen den größeren Wahlerfolg?

Beide trauen sich das Kanzleramt zu

Dass sich Habeck und Baerbock das Kanzleramt zutrauen, haben beide schon erklärt. Habeck will den Job vor allem deshalb, weil er als Umwelt- und Agrarminister in Schleswig-Holstein erlebt hat, dass Veränderungen nur in der Regierung möglich sind – und wesentliche nur in der Bundesregierung. Als Minister hat der 51-jährige Flensburger Durchsetzungs- und Integrationskraft gezeigt. Er erreichte einen „Muschelfrieden“ zwischen Fischern und Naturschützern und baute auch zu den Bauern trotz mancher Scharmützel ein gutes Verhältnis auf. Er hat aber auch gesehen, dass sich die Zukunft der Energiewende nicht in Kiel entscheidet, sondern in Berlin.

Auch Baerbock strahlt zumindest aus, dass sie an die Macht will. Sie ist ein Arbeitstier, beherrscht ihre Fachgebiete wie die Energie- oder Außenpolitik und ist in Fraktion und Partei gut vernetzt. Allerdings hat die in Potsdam lebende Hannoveranerin keine Regierungserfahrung und ist elf Jahre jünger als Habeck. Zudem hat sie zwei Töchter, die dieses Jahr sechs und zehn Jahre alt werden – und die Baerbock als Kanzlerin noch viel seltener sähe als jetzt. Will sie das? Habeck lehnte es 2008 ab, schon damals Grünen-Chef zu werden, weil er sich lieber um seine vier Söhne kümmern wollte.

In Finnland und Neuseeland sind junge Mütter Regierungschefinnen

Andererseits zeigen junge Regierungschefinnen wie Sanna Marin in Finnland oder Jacinda Ardern in Neuseeland, dass man auch mit kleinen Kindern und wenig oder gar keiner Kabinettserfahrung ein Land führen kann. Zwar regieren sie nur kleine Fünf-Millionen-Einwohner-Staaten und keine große Industrienation, aber ein reizvolles Vorbild könnten sie für Baerbock trotzdem sein. Und vielleicht täte Deutschland eine junge Mutter an der Spitze der Regierung mal gut, nachdem mit Angela Merkel und Gerhard Schröder 23 Jahre lang Menschen ohne eigene Kinder das Land geführt haben. Auch deshalb erklärt manch Kommentator Baerbock inzwischen zur Favoritin.

Habeck ist nach Fehlern vorsichtiger geworden

Doch die Frage bleibt ja: Wer verspricht mehr Erfolg beim Wahlvolk? Und das dürfte Habeck sein. Er ist zweifellos der charismatischere von beiden – auch wenn seine Strahlkraft und Unbefangenheit gelitten haben, mit denen er um ein Haar schon 2017 beim grünen Mitgliedervotum Cem Özdemir die Spitzenkandidatur für den Bundestag entrissen hätte. Habeck ist vorsichtiger geworden, seit er bei einigen Äußerungen wie zur Pendlerpauschale oder Finanzaufsicht Fehler gemacht hat, die zeigten, dass er als Generalist nicht so sattelfest ist, wie er als Fachminister war.

Im Beliebtheitsranking des Politbarometers liegt Habeck vorn

Zwar sind auch Baerbock Fehltritte unterlaufen, als sie etwa laut über Merkels Gesundheit spekulierte – wofür sie sich rasch entschuldigte – oder den Rohstoff Kobalt mehrmals „Kobold“ nannte. Doch gegen sie richtete sich weniger Häme als gegen den studierten Philosophen Habeck. Geschadet hat ihm das allerdings kaum: In den Beliebtheitsrankings wie dem ZDF-Politbarometer liegt er weiter vor Baerbock. Am Ende könnte das den Ausschlag geben. Seiner Mitstreiterin ist jedenfalls genug Souveränität zuzutrauen, um ihm daher den Vortritt zu lassen.

Mehr lesen