Mahsa Amini
«Wir kämpfen, wir sterben»: Proteste und Unruhen im Iran
«Wir kämpfen, wir sterben»: Proteste und Unruhen im Iran
«Wir kämpfen, wir sterben»: Proteste und Unruhen im Iran
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Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Polizeigewahrsahm entlädt sich bei Protesten im Iran die Wut und Trauer vieler Menschen. Dabei geht es um mehr als nur ihren Fall.
Erneut sind im Iran nach dem Tod einer jungen Frau Tausende Menschen auf die Straßen gegangen. Bei den landesweiten Protesten wurden nach Angaben iranischer Medien vom Mittwoch auch mindestens sechs Menschen getötet. Unter ihnen seien mindestens ein Polizist und fünf weitere Teilnehmer der Proteste. Die genaueren Umstände ließen sich zunächst nicht überprüfen.
US-Präsident Joe Biden sagte den Demonstranten in seiner Rede bei der Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York seine Unterstützung zu. «Heute stehen wir mit den mutigen Bürgern und den mutigen Frauen des Irans, die zu diesem Zeitpunkt demonstrieren, um ihre grundlegenden Rechte zu sichern.» Zuvor hatte bei der Veranstaltung bereits Irans Präsident Ebrahim Raisi gesprochen und dem Westen Doppelmoral bei den Menschenrechten vorgeworfen. Der Westen positioniere sich zu einem Fall im Iran, der noch untersucht werde, aber schweige «über den Mord Dutzender Frauen» in einem anderen Land, sagte Raisi. Auf Details ging er nicht ein.
Sittenpolizei nahm Amini fest
Auslöser der Demonstrationen ist der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie war vor gut einer Woche von der Sittenpolizei wegen ihres «unislamischen Outfits» festgenommen worden. Was genau mit Amini nach ihrer Festnahme geschah ist unklar, jedenfalls fiel sie ins Koma und starb am Freitag in einem Krankenhaus. Kritiker werfen der Moralpolizei vor, Gewalt angewendet zu haben. Die Polizei weist die Vorwürfe entschieden zurück.
In zahlreichen Städten strömten die Menschen auf die Straßen. Neben regierungskritischen Slogans wurde immer öfter gerufen: «Wir kämpfen, wir sterben, wir werden uns den Iran zurückholen.» Sogar in der erzkonservativen Stadt und dem schiitischen Zentrum Ghom demonstrierten junge Menschen gegen die islamischen Kleidungsvorschriften.
Auch auf der Urlaubsinsel Kisch im Persischen Golf, die als besonders ruhig gilt, wurden Proteste gemeldet. Videos in den sozialen Medien, deren Echtheit nicht verifiziert werden konnten, zeigten, wie Demonstranten Sicherheitskräfte verprügelten oder wie Frauen ihre Kopftücher in Brand steckten. Der Gouverneur der iranischen Provinz Kurdistan hatte am Dienstag drei tote Demonstranten gemeldet.
Auch in Kermanschah im Zentraliran seien zwei Personen unter «verdächtigen» Umständen gestorben. In beiden Fällen wiesen die Behörden aber ein Einwirken durch Sicherheitskräfte zurück. Im Nachbarland Türkei versammelten sich Iraner am Mittwoch vor dem iranischen Generalkonsulat in Istanbul und protestieren in Solidarität mit ihren Landsleuten.
Das Internet wurde infolge der landesweiten Proteste massiv eingeschränkt. Mobile Netzwerke seien «weitgehend abgeschaltet», berichtete die Organisation Netblocks. Bei den strengsten Beschränkungen seit den Protesten im November 2019 wurde auch Instagram als eines der letzten freien sozialen Netzwerke gesperrt. Experten befürchten, dass Polizei und Sicherheitskräfte nun die Demonstrationen niederschlagen könnten.
Kritik sogar vom Enkel Ajatollah Chomeinis
Unterdessen häuften sich Stimmen, die eine Lockerung der strengen Kleidungsvorschriften und damit einen Kurswechsel der Regierung fordern. «Ein Gesetz, das die Mehrheit der Gesellschaft nicht befolgt, muss revidiert werden», sagte etwa der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Teheran, Gholam Hussein Karbastschi. Auch der frühere Präsident Mohammed Chatami hatte Kritik geäußert. Sogar der Enkel des Revolutionsgründers Ajatollah Ruhollah Chomeini äußerte Kritik und forderte eine gründliche Untersuchung.
Die strengen Kleidungsvorschriften gehören laut Experten aus Teheran zu den ideologischen Prinzipien der islamischen Republik. Unterstützer des Systems fürchten einen Dominoeffekt, sollte der Staat den Frauen bei der Wahl der Kleidung große Zugeständnisse machen. Die konservative Zeitung «Keyhan» warf den Reformern vor, den Tod Aminis für politische Zwecke zu missbrauchen.
Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen sehen viele Frauen die Regeln inzwischen aber eher locker und tragen beispielsweise ihr Kopftuch nur auf dem Hinterkopf - zum Ärger erzkonservativer Politiker. Religiöse Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger anwenden zu lassen.
Solidarität auch in der Türkei
In der türkischen Metropole Istanbul versammelten sich nach Bekanntwerden von Aminis Tod zahlreiche Demonstranten vor dem iranischen Generalkonsulat. «Die 22-jährige Iranerin, Mahsa Amini, hat ihr Leben verloren, nachdem sie von der Polizei geschlagen wurde. Was hat sie verbrochen? Sie hat ihre Haare nicht vollständig verdeckt», stand auf dem Plakat eines Teilnehmers der Demonstration im Stadtteil Fatih. «Türkei Türkei danke», riefen manche Demonstranten und bedankten sich damit bei den türkischen Behörden, die den Protest zugelassen hätten.
«Die Moralpolizei ermordete eine junge Frau, weil sie ihren Hidschab (islamische Kopfbedeckung) nicht richtig trug. Die Moralpolizei ist ein Alptraum für alle Frauen (...). Du kannst vor Gericht geladen werden, weil du den Hischab nicht richtig trägst», sagte eine 32-jährige Teilnehmerin der Deutschen Presse-Agentur. Deswegen habe sie vor einem Jahr den Iran verlassen.