Diese Woche in Kopenhagen

„Die Moderaten und das gelebte Leben“

Die Moderaten und das gelebte Leben

Die Moderaten und das gelebte Leben

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Ein Fall von moralisch fragwürdigem Verhalten bei einem Abgeordneten der Moderaten hat bedeutet, dass die eigene Mehrheit der Regierung verpufft ist. Walter Turnowsky wirft in dieser Woche den Blick auf eine Partei, wo so einige einen „bunten“ Lebenslauf vorweisen können.

Lass mich – jetzt, wo wir unter uns sind – ganz ehrlich mit dir sein: Bis vergangenen Freitag war mir der Name Mike Fonseca kein Begriff. Und das, obwohl ich mich alltäglich auf den Gängen von Christiansborg bewege.

Sollte er sich durch politische Initiativen bemerkbar gemacht haben, ist es zumindest nicht zur mir durchgedrungen. Jetzt ist er mittlerweile in aller Munde und geistert als „Klamme-Mike“ (so ungefähr widerlicher Mike) durch die sozialen Medien.

Wie der wenig schmeichelhafte Spottname bereits andeutet, ist er nicht wegen seiner Politik plötzlich bekannt geworden, sondern wegen dem, was er neben der Politik sonst noch so treibt. Und das ist, dass der 28-Jährige ein Verhältnis zu einem 15-jährigen Mädchen hat, das begann, als sie in der 8. Klasse war.

Der Kodex der Moderaten

Und damit war es für Klamme-Mike auch schon wieder aus mit der Politik – zumindest bei den Moderaten. Parteichef Lars Løkke Rasmussen hat ihn hochkant rausgeschmissen. Zwar verstößt Sex mit einer 15-Jährigen nicht gegen das Gesetz, aber gegen den Ehrenkodex der Partei.

Den hatte Fonseca aber anscheinend nicht so genau durchgelesen. Da muss man ihm aber – neben allem anderen – sträfliche Nachlässigkeit vorwerfen. Denn es gab vor ihm schon einen Abgeordneten, der über den Kodex aus der Partei gestolpert ist.

Der Fall Jon Stephensen

Jon Stephensen hatte einem 19-jährigen weiblichen Parteimitglied in einer SMS geschrieben, sie sei „hübsch mit dem heißesten Körper (lækreste krop)“. Mit ihm hatte Løkke zunächst noch Geduld. Er gewährte ihm eine „Denkpause“ in Form einer Beurlaubung. Das Denken hat ihm jedoch offensichtlich nicht so viel genützt: Noch vor seiner Rückkehr ins Folketing trat er aus der Fraktion aus – nachdem diese ihm mit dem Zaunpfahl mehr als nur zugewinkt hatte.

Doch zurück zu Klamme-Mike. Der ist offenbar von jenem bösartigen Virus befallen worden, das (meist) Männer angreift, wenn ihr sexuell fragwürdiges bis übergriffiges Verhalten aufgedeckt wird. Jedenfalls hat er sich sofort krankschreiben lassen.  

Probleme mit der Mehrheit

Allerdings setzt er auf baldige Genesung – sein Folketingsmandat will er nicht abgeben. Das sind schlechte Nachrichten für Parteichef Løkke Rasmussen. Und nicht nur für ihn, sondern auch für Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) und Vizestaatsminister Troels Lund Poulsen (Venstre).

Denn ohne Fonsecas Mandat ist die eigene Mehrheit der Regierung futsch. Sie kann sich zwar in den meisten Fällen auf drei der nordatlantischen Mandate stützen, aber ein wenig ungemütlich ist das schon. Vor allem, weil sie in Fragen wie dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss um die FE-Affäre und dem Verbot gegen Koranverbrennungen eine gesammelte Opposition gegen sich hat.

Posten für Stephensen

Da kommt es dann doch sehr gelegen, dass SVM-Regierung in dieser Woche eine Absprache mit dem bereits erwähnten Jon Stephensen eingehen konnte. Er stimmt brav mit der Regierung, dafür bekommt er laut „Ekstra Bladet“ drei Ausschussposten.

Zwar hat er ohnehin kein Interesse daran, eine Wahl auszulösen, dann wäre das gemütliche Leben mit drei Jahren Transferleistungen – Entschuldigung, Folketingshonorar – dahin. Doch sicher ist sicher, und Stephensen kann seinen Unterhalt noch ein wenig aufbessern.

Weitere Fälle bei den Moderaten

Dabei kann die SVM-Regierung noch von Glück sprechen, dass die Mehrheit nicht schon mit Stephensens Austritt die Mehrheit flöten ging. Denn bereits unmittelbar nach der Wahl verließ der angeblich erfolgreiche Mehrfach-Existenzgründer Kristian Klarskov die Fraktion der Moderaten. Es hatte sich herausgestellt, dass seine Stärke mehr das Pleitemachen als das Existenzgründen ist. Doch er gab sein Mandat ab, und so konnte ein treues Parteimitglied nachrücken.

Jetzt können die Regierungspartner von der Sozialdemokratie und Venstre nur darauf hoffen, dass bei den Moderaten nicht noch mehr auftaucht. Denn irgendwie scheint die Partei Menschen mit etwas sehr bunten Lebensläufen anzuziehen. Stephensen war bereits vor der „klammen“ SMS als Theaterdirektor durch mehr als fragwürdiges Verhalten aufgefallen.

Der Abgeordnete Jeppe Søe hat wie Klarskov einige Konkurse hinter sich. Außerdem hat er sich mehrfach auf seinem Blog sexistisch und sexualisierend über Politikerinnen geäußert. Selbst hat er es Satire genannt.

Der Abgeordneten Nanna W. Godtfredsen wird laut „DR“ von ehemaligen Mitarbeitenden vorgeworfen, öffentliche Gelder zweckentfremdet zu haben. Dies soll im Rahmen der von ihr ins Leben gerufenen Hilfsorganisation für Obdachlose, „Gadejuristen“, geschehen sein.

Løkkes Antwort

„Politiken“ hat im Sommer 2022 den Parteigründer auf die vielen Fälle angesprochen. Lars Løkke Rasmussen antwortete, man habe Menschen mit Erfahrungen aus dem wirklichen Leben anziehen wollen, und „wenn man das wirkliche Leben lebt, holt man sich auch blaue Flecken“.

Mit den blauen Flecken kennt er sich aus. Er hat mehrfach welche abbekommen, als bekannt wurde, dass Gelder unberechtigt in seine Richtung geflossen sind. So ist das gelebte Leben eben.

Mehr lesen