Diese Woche in Kopenhagen

„Feldstudien am rechten Rand“

Feldstudien am rechten Rand

Feldstudien am rechten Rand

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Unter den rechten Parteien rumort es wieder einmal. Walter Turnowsky hat den leicht verstaubten Feldstecher aus seiner Studienzeit gezückt und beobachtet eine ganz besondere politische Spezies.

Hoppla, was kam da über die Gänge gehüpft? War das ein Kaninchen – oder doch eher ein Frosch? Ach nein, das war ein Parteispringer, der mühelos den Satz von den Neuen Bürgerlichen (NB) zur rechten Konkurrenz von der Dänischen Volkspartei (DF) geschafft hat (ich hatte ja bereits vor zwei Wochen prognostiziert, dass der rechte Rand noch etwas zu bieten haben wird).

Der Parteispringer (Homo politicus saliris) ist, wenn auch nicht zahlreich, so dennoch im politischen Ökosystem regelmäßig anzutreffen. Er gilt als Subspezies des Homo politicus vulgaris, des gemeinen Politikers.

Verwechslungsgefahr

Wo man bei Kaninchen, Fröschen und Kängurus die bevorzugte Fortbewegungsmethode mühelos an ihrer Anatomie erkennt, ist das beim Parteispringer anders. Selbst Experten können ihn häufig nicht vom Homo politicus vulgaris unterscheiden.

Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht die Mehrfach-Hüpfer, bei denen die Polit-Biologinnen und -Biologen immer schon mit ihren Ferngläsern auf den nächsten Sprung warten. Ein besonders schönes Exemplar dieser Sorte tummelt sich bereits seit Jahren in der Moränenlandschaft in und um Apenrade (Aabenraa): Jan Køpke Christensen, momentan Neue Bürgerliche.

Anpassung an Biotope

Wobei wir das ‚momentan‘ durchaus ernst nehmen sollten, und damit sind wir auch schon bei einem weiteren typischen Merkmal des Parteispringers angekommen. Er gedeiht besonders gut in konfliktgeladenen politischen Biotopen. Und die gibt es in den Mooren der Neuen Bürgerlichen derzeit in geradezu überschwänglichem Maß.

Noch während der eingangs erwähnte Homo politicus saliris – Mikkel Bjørn ist übrigens sein Name – am Dienstag seinen Sprung unternahm, hat er gleichzeitig die Tür sehr nachdrücklich hinter sich zugeschlagen (eine beachtliche akrobatische Leistung, zu der jedoch viele Parteispringer fähig sind). Der (jetzt einzige) Kandidat für den Parteivorsitz, Lars Boje Mathiesen, sei unfähig, zusammenzuarbeiten.

Fruchtbarer Boden bei NB

Ein weiteres Zeichen, dass die Bedingungen für Parteispringer bei den Neuen Bürgerlichen derzeit besonders fruchtbar sind, sind so einige kommunalpolitische Sätze. In Hadersleben (Haderslev) sprang zum Beispiel Thomas Vedsted Rothman. Ebenfalls bereits ein versierter Springer (er kam von der Liberalen Allianz), schaffte auch er Sprung und Tür zugleich. „Allianz der Dummheit“ lautete sein Abschiedssalut.

Konfliktreich war auch der Anlass, weshalb die Folketingsabgeordnete Mette Thiesen nur eine Woche nach der Wahl ihren Sprung vollzog. Ihr Freund hatte am Wahlabend einen Angestellten der Fraktion der Neuen Bürgerlichen überfallen. Er soll nach Darstellung der Parteispitze dem Angestellten bereits zuvor gedroht haben. Thiesen, die zeitweise als inoffizielle Zweite der Partei galt, kam mit ihrem Austritt einem Parteiausschluss zuvor. Sie ist bislang keiner anderen Partei beigetreten.

Die beiden Varietäten

An dieser Stelle sei mir ein kleiner Exkurs erlaubt, denn den Parteispringer gibt es in zwei Varietäten. Die eine macht, wie Mikkel Bjørn, direkt den Satz in eine andere Partei. Die andere springt erst einmal nur aus ihrer Partei heraus. Die Existenz einer dritten Varietät, die ihr Mandat abgibt, wird von einigen Theoretikerinnen und Theoretikern vermutet. Nachgewiesen werden konnte sie bislang nicht.

Dagegen durften politische Feldforscher schon mehrfach beobachten, wie sich Varietät zwei in Varietät eins verwandelte. Welche Bedingungen dazu führen, dass einige eine Zwischenlandung benötigen, bevor sie weiterhüpfen, wird noch erforscht.

Die Sinne des Parteispringers

Und damit wären wir auch schon wieder bei Thiesen, die nach Bjørns Sprung meinte, der Weg zur Dänischen Volkspartei sei nun kürzer geworden. Man spürt förmlich, wie sie bereits die Oberschenkelmuskeln anspannt.

Naheliegend wäre es, denn der Homo politicus saliris hat einen stark ausgeprägten Geruchssinn für politische Aufwärtstrends. So könnte auch sie die Fährte aufgenommen haben, dass es bei DF jetzt wieder deutlich rosiger aussieht.

Dabei sah das vor einem Jahr noch anders aus. Morten Messerschmidt übernahm nach einer erbitterten Auseinandersetzung den Vorsitz. Infolgedessen begann eine Hüpferei, da konnte einem ganz schwindelig werden. (Merke: Wahlen zum Vorsitz schaffen häufig ein sprungfreundliches Biotop).

Nachdem der Dänischen Volkspartei dennoch erneut der Sprung ins Folketing gelungen war und der wegen Betrugs angeklagte Messerschmidt auch noch freigesprochen wurde, ist die älteste der rechten Parteien wieder die neue Hoffnungsträgerin für diesen Teil des politischen Ökosystems.

Unterschiedliche Wahrnehmung

An dem Beispiel offenbart sich auch ein weiteres Merkmal des Parteispringers, das die Faszination der Forscherinnen und Forscher an diesem Wesen noch größer werden lässt. Bekanntlich gibt es Tiere wie Spinnen, Ratten und Schlangen, vor denen sich einige Menschen ekeln. Andere werden als schön oder niedlich wahrgenommen.

Als die Leute aus DF rausgesprungen sind, machten Messerschmidt und Altvorsitzende Pia Kjærsgaard aus ihrem Ekel keinen Hehl: „Verräter“ lautete die Bezeichnung. Bjørns Wechsel sieht der DF-Chef dagegen als große Bereicherung. Offensichtlich wird der Parteispringer völlig unterschiedlich wahrgenommen, je nachdem, ob man ihn von vorn oder hinten sieht.

Die entscheidenden 2 Prozent

Wir schalten wieder zu den Neuen Bürgerlichen rüber. Denen sagen so einige Expertinnen und Experten ob der ganzen Springerei ein baldiges Ende vorher. Doch wie das DF-Beispiel zeigt, leben sprungefährdete Parteien häufig länger.

Der kommende Vorsitzende, Boje Mathiesen, wird eine deutlich staatskritischere Linie als die bisherige Pernille Vermund fahren. Das bewies er bereits während der Corona-Krise, als er die offizielle Strategie wiederholt hinterfragte. In Dänemark gibt es zwar deutlich weniger Querdenkerinnen und Querdenker als in Deutschland (Boje Mathiesen ist selbst keiner, spricht aber die Klientel an), aber für 2 Prozent könnte es reichen.

Die dritte Varietät

Mit einer Protestpartei setzt er sich auch deutlich von den Konkurrenten DF und den Dänemarkdemokraten ab, die beide darauf setzen, politischen Einfluss zu gewinnen. Was mich darauf bringt, dass neueste Forschungsergebnisse belegen, dass es doch noch eine dritte Varietät des Homo politcus saliris gibt.

Es ist jener, der selbst die Partei gründet, in die er springt. Bis vor Kurzem haben die wissenschaftlichen Theoretikerinnen und Theoretiker das Kunststück als so schwierig eingestuft, dass sie das als Sprung aus dem politischen Teich heraus angesehen haben.

Neue Feldstudien belegen, dass Lars Løkke Rasmussen mit seinen Moderaten sogar der Sprung zurück ins Ministerbüro gelungen ist.

Seine ehemalige Parteifreundin Inger Støjberg ist mit den Dänemarkdemokraten direkt ins rechte Lager gehüpft. Davon war man dort (siehe Messerschmidts Parteispringerkritik oben) nicht unbedingt erbaut. Doch im Gegensatz zu den Unsterblichen im Film „Highlander“ kann es von diesen Parteien offensichtlich mehr als eine geben.

Bleibt nur noch festzustellen, dass sowohl der Parteispringer als auch der Homo politicus vulgaris noch reichlich Stoff für weitere Studien liefern werden. Für diese Woche in Kopenhagen reicht es jedoch erst einmal.

Mehr lesen