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„Die Bevölkerung versteht die Politiker nicht mehr“

„Die Bevölkerung versteht die Politiker nicht mehr“

„Die Bevölkerung versteht die Politiker nicht mehr“

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Aarhus
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Lars Løkke Rasmussen
Lars Løkke Rasmussen Foto: Scanpix

Das große politische Modewort in Dänemark derzeit lautet „Disruption“. Doch rund 60 Prozent der befragten einer repräsentativen Umfrage haben keine Ahnung, was das überhaupt bedeuten soll – und weshalb der Regierungschef einen „Disruptionsrat“ einberufen will. Problematisch, meinen Sprachforscher.

Die Mehrheit der Menschen in Dänemark versteht nicht, worum es beim Mode-Thema „Disruption“ geht. Eine Umfrage des Institutes Wilke im Auftrag von Avisen.dk ergab, dass rund 60 Prozent der Befragten nicht wussten, was das Wort „Disruption“ bedeutet.

Wenn Regierungschef Lars Løkke Rasmussen (Venstre) jetzt einen „Disruptionsrat“ ernennt, ergibt das für die meisten Dänen deshalb überhaupt keinen Sinn. Der Wahlforscher Roger Buch, der sich intensiv mit der Sprache der Politiker in Dänemark befasst, meint, dass der Gebrauch von Fremdwörtern ein Zeichen dafür ist, dass die Politiker in einer anderen Welt leben als der Rest der Bevölkerung.

„Die Politiker auf Christiansborg leben ja, einfach gesagt, etwas unter einer Käseglocke, wo die meisten einen akademischen Hintergrund haben und wo sie jeden Tag mit Leuten mit demselben Hintergrund sprechen und sie so in diesem Käseglocken-Jargon gefangen werden können“, sagt Buch.

„Es geht hier um unsere Demokratie“

Michael Ejstrup, Sprachforscher an der Dänischen Hochschule für Medien und Journalismus, hält das für einen Fehler der Politiker. „Wenn etwas Neues ins Dänische kommt, müssen wir das kennen, bevor wir es verstehen. So, wie als das Wort Computer kam. Wir hatten alle einen Computer gesehen und konnten ihn erkennen. Aber so ist das nicht mit Disruption. Niemand hat Disruption gesehen“, sagt Ejstrup. Die Politiker würden sich irren, wenn sie meinten, dass sie Fachbegriffe nutzen sollten, die niemand außer ihnen versteht.

„Es geht hier um unsere Demokratie. Das, worüber hier geredet wird, hat auf uns alle Auswirkungen, es ist also wichtig, dass alle die Begriffe verstehen. Ansonsten wird das zu einer Nicht-Demokratie“, sagt Ejstrup. „Und das ist deshalb so, weil sie gerne tun und lassen wollen, was ihnen passt, ohne sich nachher rechtfertigen zu müssen. Sie haben ja nichts Spezielles versprochen. Lars Løkke hat die Wahl gewonnen, indem er ‚andauernde Wohlfahrt‘ versprochen hat, aber was meint er eigentlich mit dem, was er verspricht?“

Roger Buch ist der Meinung, dass es vielleicht schlicht Unachtsamkeit sei, wenn die Politiker mit Fremdwörtern um sich werfen. Doch der Verdacht, dass das auch strategisch eingesetzt werden könnte, liege nahe. Etwa beim Beispiel „ökonomischer Spielraum“. Denn, selbst wenn die meisten das rein sprachlich verstünden, wüssten die wenigsten, welche Berechnungsmethoden hinter dem Begriff liegen.

„Mit dem Begriff ökonomischer Spielraum können Politiker Bürgern und Journalisten das Maul stopfen, die nicht wissen, wie da weiter nachgebohrt werden soll“, sagt Buch von der Dänischen Journalistenhochschule in Aarhus.

„Disruption“

Eine disruptive Technologie ist laut Prof. Clayton M. Christensen von der Harvard Business School in Boston, USA, eine Innovation, die eine bestehende Technologie, ein bestehendes Produkt oder eine bestehende Dienstleistung möglicherweise vollständig verdrängt. „Ein Unternehmen, das durch die Erfindung neuer Produkte und Angebote die typischen Geschäftsmodelle einer Branche untergräbt oder abreißt“, sei ein disruptives Unternehmen, so Christensen.

 

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