Leitartikel

„Eltern in Dänemark brauchen mehr Kindkranktage“

Eltern in Dänemark brauchen mehr Kindkranktage

Eltern in Dänemark brauchen mehr Kindkranktage

Apenrade
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Eltern in Schweden oder Deutschland profitieren von gesetzlichen Regelungen zur Kinderbetreuung, wenn der Nachwuchs erkrankt ist. In Dänemark bekommt man mit Glück einen einzigen Tag frei, um seine kranken Kinder zu umsorgen. Das ist zu wenig, meint Journalist Gerrit Hencke.

Als Grenzpendler gibt es einige dänische Regelungen, die einen den Kopf schütteln lassen. Eine davon ist die Betreuung kranker Kinder. In Deutschland ist es derzeit möglich, seinen Nachwuchs über mehrere Tage zu betreuen. Das kann bei einer Mittelohrentzündung schon mal eine Woche dauern. Dabei können sich Mama und Papa flexibel abwechseln – so wie es eben passt.

Gedeckt ist das Ganze gesetzlich, und im Zweifel zahlt die Krankenkasse den Lohnausfall, sofern der Arbeitgeber es nicht tut. Durch Corona stehen jedem Elternteil in diesem Jahr 30 Tage zu. Vor Corona waren es 10 Tage, und das wird voraussichtlich auch 2024 wieder der Fall sein. 

Das kommt vor allem Alleinerziehenden, denen übrigens noch mehr Tage zustehen, und Eltern zugute, die ihre Kinder anderweitig nicht unterbringen können – weil etwa Oma und Opa zu weit weg wohnen oder auch gute Freunde eben arbeiten müssen. 

Zwar sind auch zehn Tage im Fall des Falles schnell aufgebraucht, denn es reicht ein Winter mit grippalem Infekt, Grippe oder dicker Erkältung, und die Tage sind weggeschmolzen. 

In Dänemark gibt es eine solche gesetzliche Absicherung jedoch gar nicht. Vielmehr ist man dem Tarifvertrag seiner Branche ausgeliefert, der einem mit Glück einen oder maximal zwei Kindkranktage zugesteht, manchmal aber auch nur ein paar Stunden, um eine Betreuungslösung zu finden.

Jeder, der ein kleines Kind hat, weiß, dass das bei Weitem nicht ausreichend ist und gerade kranke Kleinkinder eigentlich nur Mama oder Papa an ihrer Seite haben wollen.

Wie machen es Eltern in Dänemark?

Ist man an die Regelung in Deutschland gewöhnt, stellt sich die Frage: Wie machen das also Eltern in Dänemark, die mehr als ein Kind haben? Was, wenn man binnen eines Tages keine Betreuung organisieren kann? Meldet man sich selbst krank oder verbraucht seinen Urlaub? Oder pumpt man das Kind mit Tabletten voll, sodass es trotzdem in die Kita gehen kann?

Die letzten beiden Lösungen passen so gar nicht zu einem Wohlfahrtstaat, in dem es offenbar nicht so wichtig erscheint, dass kranke Kinder die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern bekommen und diese sich nicht in Eile um irgendeine Lösung bemühen müssen.

Eltern brauchen Rechtsstatus

Die Nationale Elternorganisation FOLA (Forældrenes Landsorganisation) stellt sich offenbar selbige Fragen und fordert die Politik auf, das Gesetz zu ändern. Die Sozialistische Volkspartei (SF) und die Einheitsliste (Enhedslisten) befürworten den Vorschlag, dass Eltern ihre Kinder so lange betreuen dürfen, wie sie erkrankt sind, während die Neue Bürgerliche (NB) die Idee für einen Verstoß gegen das dänische Arbeitsmodell hält. Das geht aus einem Bericht von „Radio 4“ hervor.

Dort sagte die FOLA-Vorsitzende Signe Nielsen im März dieses Jahres, dass die derzeitige Regelung nicht ausreichend sei. Heute könne es demnach passieren, dass man nur drei Stunden Zeit hat, um eine Kinderbetreuung zu finden und weder einen ersten noch einen zweiten Krankheitstag hat. „Die Eltern haben keinen Rechtsstatus, und den wollen wir ihnen geben“, sagt sie.

Nach Informationen des Radiosenders wurden im Januar in zwei Dritteln der Kindertagesstätten des Landes Kinder weggeschickt, die wegen Krankheit hätten zu Hause bleiben müssen. „Das heutige Modell ist nicht tragfähig, weil wir Gefahr laufen, dass Kinder in den Einrichtungen krank werden und andere anstecken“, sagt Nielsen.

Auf Droge in die Kita

Eine der Folgen der quasi nicht existenten Betreuungszeit: Viele Eltern putschen ihren Nachwuchs offenbar auf. Wer kein Fieber hat und nicht zu schlapp ist, geht in den Kindergarten, gegen Schmerzen gibt es schließlich Medizin.

Doch das kann keine Lösung sein. Die haben etwa Länder wie Schweden und auch Deutschland, wo Eltern ein Recht haben, ihre Kinder bei Erkrankung zu betreuen. Während also ein paar Parteien hierzulande eine Ausweitung der Tage befürworten, sind andere dagegen und verweisen auf die Tarifverhandlungen, in denen solche Dinge ausgehandelt werden müssten. Das dänische Modell eben. 

Der Vorschlag, gerade Eltern kleiner Kinder mit zusätzlichen Tagen zu entlasten, ist nicht neu. Bisher ist bei den Tarifverhandlungen aber nicht viel passiert. Die Akademikergewerkschaft (Fagforeningen DM) hatte in der Vergangenheit bereits versucht, mehr Kindkranktage auszuhandeln, ist aber gescheitert. Auch sie sieht die bisherige Regelung als überholt an.

Zwar muss man auch die Arbeitgeberseite verstehen, der dadurch hohe Kosten entstehen. Dafür bekommt man aber auch weniger gestresste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zudem auch sicher sein können, dass die eigenen Kinder gesund in den Kindergarten oder die Schule gehen. Hier liegt es aber auch an den Gewerkschaften, dass das Thema bei den Verhandlungen einen höheren Stellenwert bekommt und mit Nachdruck mehr Flexibilität für Familien mit Kindern ermöglicht wird.

Es geht auch anders

Dass es auch anders geht, zeigt das Energieunternehmen Norlys. Dort hatte man im März angekündigt, seinen Mitarbeitenden künftig unbegrenzte Kindkranktage anzubieten, wenn der Bedarf besteht. Es gibt also nicht mehr den ersten oder zweiten Krankheitstag eines Kindes in dem Unternehmen. Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird auch kein Lohn abgezogen, und ihre Abwesenheit kostet sie auch keinen freien Tag oder einen Urlaubstag mehr.

Dänemark ist ein in vielen Bereichen fortschrittliches Land, hat hier aber definitiv Nachholbedarf. Dabei könnte sich das Königreich an Modellen anderer Länder orientieren, wo die Wirtschaft trotz großzügigerer Regelungen funktioniert. 

Das heilige dänische Arbeitsmarktmodell hat offenbar bisher versagt. Es muss eine gesetzliche Regelung her. Die Betreuung für ein krankes Kind sicherzustellen, sollte Eltern nicht in Nöte bringen und sie nicht zu Bittstellern bei ihren Arbeitgebern machen. Kinder sind die Zukunft einer jeden Gesellschaft, daher sollten sie auch die Zeit bekommen, von Mama oder Papa gesund gepflegt zu werden.

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