Kulturkommentar

„Alt gegen Jung? Der Generationen-Stuss gehört in die Mottenkiste“

Alt gegen Jung? Der Generationen-Stuss gehört in die Mottenkiste

Der Generationen-Stuss gehört in die Mottenkiste

Apenrade/Aabenraa
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Alt und jung
Menschen verhalten sich im Jahr 2023 anders, als sie es noch 1993 taten. Doch das ist keine Generationenfrage, meint Cornelius von Tiedemann, sondern eine generationenübergreifende Entwicklung (Symbolfoto). Foto: Hillary Peralta/Unsplash

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Gibt es den Generationenkonflikt überhaupt? Cornelius von Tiedemann hat schon so viel Widersprüchliches über die jungen Menschen von heute gehört, dass er inzwischen davon ausgeht, dass sie auch nur ganz normale Leute sind. Und das sollten alle anderen auch tun, meint er.

Jetzt hat also die Generation Y übernommen. Und die Generation Z folgt gleich hinterher. Die jungen Leute, die jetzt auf den Arbeitsmarkt und auch schon in Leitungsebenen drängen. Sie haben ganz andere Werte als wir „Alten“ über 40, heißt es. Doch je nachdem, wen man fragt und welche Studie man liest, kommt man zu wunderbar widersprüchlichen Aussagen über die Menschen, die sich noch als „junge Leute“ bezeichnen lassen müssen.

  • Sie sind nur am eigenen Vorteil interessiert. Ihnen ist die Familie wichtig.
  • Sie interessieren sich mehr für Schein als für Sein. Sie hinterfragen alles.
  • Sie sind beherrscht von einer Klimapanik. Sie konsumieren wie die Bekloppten.
  • Sie sind alle ständig online und haben eine geringe Aufmerksamkeitsspanne. Sie wollen lieber Hintergründe als oberflächliche News.
  • Sie denken global. Sie sehen nur ihr engstes Umfeld.
  • Sie sind respektlose Improvisationskünstler, sind nicht an Lerninhalten, sondern an Zertifikaten interessiert. Sie wollen Work-Life-Balance und suchen in allem nach dem Sinn.
  • Sie wollen Hierarchien abschaffen, aber selbst sofort das Sagen haben.
  • Sie wollen Gleichberechtigung, sind aber konservativ und wenig engagiert.
  • Sie werden eigentlich nie erwachsen, reifen aber früh.
  • Sie sind emotional, machtzynisch und verweichlicht.
  • Sie brauchen ständig Anerkennung, um ihre amoralischen Egos zu pflegen und arbeiten gerne im Team.

 

Ja, was denn nun eigentlich?

 

Vielleicht sind die sogenannten Generationen Y und Z ganz genau so wie wir alten Knochen aus den Generationen X und aus der Boomer-Generation: alle ziemlich unterschiedlich.

 

Denn nicht nur ist die Vielfalt an Typen und Mustern selbst innerhalb einer wie auch immer definierten Generation unendlich groß – zugleich gehören auch Ältere und Jüngere immer mit zum Gesamtbild. Der Zeitgeist erfüllt und spiegelt uns alle zugleich.

Meine Werte als jemand aus den (sehr) späten 1970er-Jahren haben sich mit der Zeit verändert, und über die Wertevorstellungen vieler aus meiner eigenen Generation bin ich entsetzt. Aber ich teile die meinigen häufig mit Jüngeren und Älteren. Der Unterschied zwischen uns liegt lediglich in Erfahrung und Wissen, nicht in einer grundsätzlichen Andersartigkeit.

Und es ist ganz normal, dass junge Menschen andere Prioritäten haben als ältere. Ein Mensch in den Zwanzigern ist wahrscheinlich eher darauf fokussiert, eine Karriere zu machen, während ein älterer Mensch in den Sechzigern vielleicht schon eher an den Ruhestand denkt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es fundamentale Unterschiede in ihren Werten gibt.

Unabhängig vom Alter wollen die meisten Menschen Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit. Dass sich Meinungen, wie das erreicht wird, unterscheiden, ist kein Phänomen, das auf die Generationen beschränkt ist.

Es gibt diesbezüglich schlicht keine Barrieren zwischen Generationen. Lasst sie uns nicht künstlich heraufbeschwören. Es vereint uns viel mehr als uns trennt. Darauf sollten wir achten. Und achtgeben.

Jungen Leuten, die die Augen verdrehen, wenn sie von „Boomern“ sprechen, sollten wir sagen, dass das nicht (mehr) witzig und kein Argument, sondern Diskriminierung ist.

Und wer junge engagierte Menschen als „hysterisch“ bezeichnet, sollte nicht über vermeintliche Unterschiede in den Generationen meckern, sondern mal über die generationenübergreifenden Themen Ignoranz und Sexismus nachdenken und seine eigenen Beiträge dazu reflektieren.

Oft sind es unsere unterschiedlichen Bedürfnisse in den unterschiedlichen Lebensphasen, die uns glauben machen, dass unsere Interessen und Werte ganz andere sind. Dass wir vielleicht sogar in Konkurrenz zueinander stehen. Dass es einen Generationenkonflikt gibt.

Wenn wir diesen Trugschluss überwinden, kommen wir weiter. Altersbedingte Bedürfnisse sollen von allen anerkannt und respektiert werden. Vorurteile über Altersgruppen aber müssen überwunden werden.

Der Generationen-Stuss gehört in die Mottenkiste.

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