Stadtentwicklung

Schankstube, Schule, Seniorenwohnheim: Die Geschichte hinter diesem Haus

Schankstube, Schule, Seniorenwohnheim: Die Geschichte hinter diesem Haus

Die lange Geschichte hinter diesem Haus

Broacker/Broager
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Erst deutsche Schule, dann deutscher Kindergarten Foto: Sara Eskildsen

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Ein Wohnungsbauverein hat in Broacker ein behindertenfreundliches Projekt für 38 Millionen Kronen auf dem Reißbrett. Das älteste Gebäude der Stadt, in dem bis 2019 der deutsche Kindergarten untergebracht war, kann viel erzählen. Hier ist die Geschichte einer Immobilie, die das deutsch-dänische Grenzland über die Jahrhunderte miterlebt hat.

Der Sonderburger Wohnungsbauverein „Boligforeningen B42“ will auf dem Gelände zwischen Pflegeheim und dem früheren deutschen Kindergarten in Broackers Zentrum Unterkünfte für Seniorinnen und Senioren bauen. In einigen Jahren sollen dort 18 Bewohnerinnen und Bewohner – in unmittelbarer Nähe des Parkdamms und der Kirche – einziehen können. Der Skizzenvorschlag wurde vor Kurzem vom Sozial-, Senioren- und Behindertenausschuss gutgeheißen.

Das Gebäude hat eine lange Geschichte, die eng mit der deutschen Minderheit verwoben ist. 20 Jahre lang lag dort die deutsche Schule. Im Anschluss und bis 2019 war im hinteren Gebäude der deutsche Kindergarten Broacker untergebracht.

Es begann mit einer Gaststätte

„Der Nordschleswiger“ hat den Deutschen Schul- und Sprachverein für Nordschleswig (DSSV) und den Archivleiter Orla Kristensen von „Lokalarkivet Broagerland“ zur Geschichte des Gebäudes befragt. Der Archivar lieferte unter anderem mit Hans Heinrich Hüttmanns Bericht für das im Jahr 2000 erschienene Jahresheft „Broagerland XI“ des damaligen lokalhistorischen Vereins für Broackerland eine überaus interessante Grenzlandgeschichte. Der DSSV steuerte weitere Details bei.

Hier ist die Geschichte einer Immobilie, die eindrucksvoll das deutsch-dänische Grenzland widerspiegelt.

Ein altes Foto des einstigen Krugs in Broacker Foto: Broagerlands Lokalarkiv

Die Initiative zum Bau des Hauses im Jahre 1723 ergriffen die beiden Landwirte Hans Petersen und Peter Christensen von Möllmark (Mølmark), denen einst Ländereien in der Nähe der Kirche in Broacker gehörten. Sie waren vermutlich auch diejenigen, die in einem Neubau einen Kaufmannsladen mit Ausschank, Brennerei und Brauerei einrichten wollten. Ein Wirtshaus musste zu der damaligen Zeit selbst sein Bier und auch den Schnaps herstellen, was zusätzliche Räumlichkeiten und Lagerkapazitäten erforderte.

Miete: Drei Reichstaler im Jahr 

König Frederik V. von Dänemark und Norwegen gab damals grünes Licht für dieses Vorhaben. Die Konzessionsinhaber mussten ordentliche Menschen sein. Sie sollten ehrlich, rechtschaffend und anderen gegenüber gerecht sein, so Hans Heinrich Hüttmann. Sie verpflichteten sich, gesunde Getränke herzustellen, gute Kaufmannswaren zu vertreiben und korrekt abzuwiegen. Die Miete kostete jährlich drei Reichstaler. Die Gaststätte wechselte mehrfach den Besitzer oder die Besitzerin.

Die Kirche von Broacker
Die Kirche Broacker Foto: Karin Riggelsen

Die beiden Landwirte aus Möllmark hatten die Gastwirtschaft sehr klug platziert. Sonntags gingen viele Menschen in die Kirche. Die Pferdewagen wurden bei dem damaligen Thaysens Krug abgestellt. In dem Gebäude an der Vestergade 34 konnten außerdem bis zu 40 Pferde untergestellt werden. Nach dem Gottesdienst gönnten sich viele einen Trunk, bevor sie die Heimfahrt antraten.

Großpolitik in Broacker

Im Zuge des Novembervertrags 1863 wurde Broacker zum ersten Mal wieder dänisch – aber nur kurz. Da die Politiker in Kopenhagen den November-Vertrag nicht rückgängig machen wollten, brach 1864 der Krieg aus.

Nach den Verlusten bei Dannevirke und während der Kämpfe auf Düppel (Dybbøl) wimmelte es in Broacker von preußischen Soldaten. Die Höfe und der Ort Broacker waren voller Menschen.

Die Eingangstür der früheren Schule und Kindergarten Foto: Broagerlands Lokalarkiv

Hauptkorrespondenten aus Deutschland und anderen Ländern verewigten das blutige Treiben auf den Schlachtfeldern. Der preußische Schriftsteller Theodor Fontane erwähnte den Krug in Broacker. Links vom Eingang lag die Grenadier-Ressource für die Soldaten, während die Schankstube den Offizieren vorbehalten war. Der Krug war ganz nach militärischen Vorschriften eingerichtet. Korrespondenten aus England und Belgien diskutierten mit preußischen und österreichischen Offizieren, was gerade auf den Schlachtfeldern auf der anderen Seite des Wassers passierte. In der Schenke war viel los. In Broacker wurde europäische Großpolitik besprochen.

Kurze Andacht für die Gefallenen

Gefallene Soldaten wurden nach einer kurzen Andacht und vom Musikkorps mit der Melodie „Jesu, meine Zuversicht“ auf dem Friedhof beerdigt. Anschließend verließen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Kirche zu den Klängen von „So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage.“„Ob nicht einer nach einer Beerdigung in  ’Clausens Gæstgiveri’ in der Vestergade landete“, fragt sich Hüttmann.

1880 brannten die hinter dem Krug liegenden Pferdeställe. Bei einem Pferdemarkt während des Ersten Weltkriegs standen daher 900 Tiere rund um die Kirche. Die meisten davon sicherte sich das deutsche Militär.

1864 wurde mithilfe von Kanonen das Schanzengelände in Düppel verteidigt. Foto: Ilse Marie Jacobsen

1920 wurde das bis dahin deutsche Nordschleswig wieder dänisch. Darüber freuten sich nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner. Neben Ekensund (Egernsund) sollte daher auch Broacker eine deutsche Schule erhalten, so die Deutschgesinnten.

Vier Landwirte zahlten für die Schule

Zusammen mit dem neugegründeten Deutschen Schul- und Sprachverein erwarben vier Landwirte aus der Gegend das Gebäude an der Vestergade 39 von den Erben des Gastgebers Christian Clausen, der am 15. Januar 1919 verstarb.

Die Käufer waren Samuel Bock, Skeldegård, Carsten Jepsen, Måling, Hans F. Hansen, Midtskov, und Paul Paulsen, Roj. Sie bezahlten die deutsche Schule aus eigener Tasche. Die beiden Schankstuben wurden in Klassenzimmer verwandelt, das Strohdach durch ein Ziegeldach ersetzt.

1922 wurde das Gebäude eine deutsche Schule und die Versammlungsstätte der deutschen Minderheit der Gegend von Broacker. Bis 1945 wurden dort jedes Jahr 40 bis 50 Kinder unterrichtet.

Broacker liegt in der Nähe des Wassers. Foto: Privat

1930 wurden die hinteren Stallungen des Krugs abgerissen und auf dem Gelände ein Neubau mit zwei Klassenzimmern und einer deutschen Jugendherberge im ersten Stock errichtet. In der Jugendherberge konnten 50 bis 60 junge Menschen übernachten. Das Essen wurde in der Küche der früheren Gastwirtschaft zubereitet.

Schulleiterwohnung und Kindergarten

In der Schule traf sich die Gemeinde, es wurde unterrichtet und dort wurde auch der Jugendbund gegründet. 1938 wurde der deutsche Kindergarten im Hauptbau eingeweiht. Im Vorhaus lag neben dem Kindergarten auch die Schulleiterwohnung.  

Am 9. Mai 1945 um 19 Uhr wurde die deutsche Schule von dänischen Freiheitskämpfern beschlagnahmt. Die einzige Mieterin wurde festgenommen. Das war die Lehrerin Anna Wernich, die dort mit ihrem Pflegesohn Ronny Heuchkel und der Haushälterin Fräulein Paulsen lebte.

Eine Büste von Adolf Hitler sorgte damals für Furore. Diese Büste stand in Anna Wernichs Wohnung. Der Kopf und der Oberkörper des Diktators wurde von den Freiheitskämpfern zum naheliegenden Sandgraben hinter der Kirche getragen und mit einigen Schüssen „hingerichtet“. Als die verhaftete Anna Wernich wieder freigelassen wurde, durfte sie ihre Möbel holen. Sie und ihr Pflegesohn Ronny kamen bei dem deutschen Pastor Riese unter.

Die Freiheitskämpfer verwandelten das deutsche Eigentum in ein Hauptquartier – erst für die Freiheitskämpfer und später für die Grenzgendarmerie.

Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen

Im Sommer 1945 wurden immer mehr Flüchtlinge nach Nordschleswig gebracht. Die zuerst privat in der deutschen Minderheit untergebrachten Flüchlinge aus West- und Ostpreußen zogen in die deutsche Schule in Broacker.

120 Frauen, Männer und Kinder kamen in der Vestergade 39 unter. Der Spielplatz war von einem hohen Zaun umgeben. Die Bewohnerinnen und Bewohner in Broacker durften keinen Kontakt zu den Menschen aus Deutschland aufnehmen. Uniformierte Wachdienste überwachten die Menschen. 1947 verließen die letzten Deutschen die Schule.

1948 wurde die deutsche Schule vom dänischen Staat mit rückwirkender Kraft als „deutsch-japanisches Eigentum“ konfisziert. Die Schule wurde als Kriegsschadensersatz eingestuft. Die Schultische wurden zur Kommunalschule nach Ekensund gebracht.

1950 zurück in deutscher Hand

Am 5. Januar 1950 erhielt der Deutsche Schul- und Sprachverein das mittlerweile ziemlich ramponierte Gebäude zurück. Der dänische Staat verlangte 15.000 Kronen für die Freigabe. Das Geld wurde mit einem Darlehen der Tønder Bank finanziert. Der Schulbetrieb an der Vestergade 39 wurde erneut aufgenommen.

Der frühere deutsche Kindergarten in Broacker Foto: Lokalarkivet Broagerland

Der Kindergarten kam 1954 mit den beiden Leiterinnen, der Initiatorin Käthe Matzen und Anna Matzen hinzu.

1973 wurde die neue Förde-Schule in Alnor für die Schülerinnen und Schüler aus Broacker, Gravenstein und Rinkenis eingeweiht. Die Kindergartenkinder in Broacker erhielten also mehr Platz. Den Sportplatz der Schule erwarb die Kommune. Mit den Mitteln hat der DSSV das Ziegeldach des Hauses an der Straße durch ein Eternitdach ersetzt. Das Gebäude wurde ebenfalls renoviert. Das älteste Haus von Broacker wurde vermietet.

Deutscher Kindergarten bis 2019 im Gebäude

Der deutsche Kindergarten blieb bis 2019 im Gebäude hinter dem einstigen Krug. Der Deutsche Schul- und Sprachverein kann keine konkrete Verkaufssumme nennen. Der DSSV hat die Liegenschaften der alten und der aktuellen Adresse des Kindergartens in Broacker getauscht. Vestergade 39 floss also in die verhandelte Kaufsumme des Grundstücks an der Vesterbakke 9 mit ein.

Nun steht fest, dass sich zur langen Geschichte des Gebäudes auch noch ein Kapitel als Seniorenwohnheim hinzugesellt.

Das Gebäude hinter dem Hauptbau an der Vestergade 39. Dort waren zuerst die Schule und ein Schulfreizeitheim und später der Kindergarten untergebracht. Foto: Sara Eskildsen
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