Leitartikel

„Thronwechsel im Musentempel Gravenstein“

Thronwechsel im Musentempel Gravenstein

Thronwechsel im Musentempel Gravenstein

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Der Thronwechsel am Sonntag hat große Bedeutung für das Land – aber auch besonders für Nordschleswig und nicht zuletzt für das Gravensteiner Schloss. Ex-Chefredakteur Siegfried Matlok meint, dass jüngst geäußerte Befürchtungen um die Zukunft des königlichen Schlosses überflüssig sind.

Es wird oft darauf hingewiesen, dass die dänischen Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger – Sønderjyder – im ganzen Lande die Königstreuesten sind. Jedenfalls behaupten die Däninnen und Dänen aus Nordschleswig dies gerne von sich selbst. Und sicherlich nicht zu Unrecht, wenn man an das Grenzland denkt; allen voran natürlich auch an die engen emotionalen Bindungen zwischen dem Königshaus und der dänischen Minderheit in Südschleswig. Auch in der deutschen Volksgruppe wird es sicherlich eine große Mehrheit geben, die mit Freude und hoher Erwartung dem historischen Thronwechsel am Sonntag entgegensehen wird, vor allem, nachdem Königin Margrethe II. mit ihrem ersten offiziellen Besuch bei der deutschen Volksgruppe 1986 die Aussöhnung zwischen Staat-Mehrheit-Minderheit einleitete, die auch mit König Frederik X. ihre Fortsetzung finden wird. Ganz gewiss!

Was das Verhältnis des Königshauses zu Nordschleswig anbetrifft, so ist ein Ort von größter Bedeutung, ja sogar schicksalhaft: Man weiß, dass die Prinzen Frederik und Joachim vor Jahren während ihres Frankreich-Urlaubs in Caix mit dem Auto schwer verunglückten, aber nur wenige wissen, dass Königin Ingrid und ihre Prinzessinnen Margrethe und Anne-Marie 1948 in der Nähe von Gravenstein fast tödlich verunglückt wären. Der 14. Juli 1948 hätte für die königliche Familie zu einer Tragödie werden können. Königinmutter Ingrid, die schnelle Autos liebte, war auf dem Wege von Gravenstein nach Apenrade, um auf einem bäuerlichen Hof Hähnchen für das Abendessen zu holen, doch in einer Kurve verlor sie am Steuer die Herrschaft über den Wagen und raste direkt in einen Baum. Sie wurde schwer verletzt, und auch die Kinder – Margrethe (8) und Anne Marie (2) – wurden verletzt, als sie – vorne sitzend – durch den Zusammenprall gegen die Frontscheibe geschleudert wurden. Mehrere Tage wurden Ingrid und ihre beiden Kinder im Sonderburger Krankenhaus behandelt, und König Frederik dankte „Gott“ dafür, dass er nach einer Woche seine Familie wieder gesund in den Armen hielt.

Die Geschichte von Schloss Gravenstein ist ein Spiegelbild der deutsch-dänischen Geschichte, das im Besitz der Augustenburger Herzöge „weit über die Grenzen des Landes hinaus den Ruf eines Musentempels genießen konnte“, wie „Berlingske“ 1935 schrieb.

Der berühmte H. C. Andersen wählte hier einen Holzschnitt, der ein Mädchen, eine Verkäuferin von Streichhölzern darstellte, und vollendete sein wohl berühmtestes Werk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ 1845 in Gravenstein. Zu den künstlerischen Gästen zählte auch der Dichter und Philosoph Jens Baggesen, und der damalige Herzog Friedrich hatte sogar keinem Geringeren als Friedrich Schiller geholfen, der notleidend aus Deutschland den kunstliebenden Augustenburger um finanzielle Hilfe gebeten hatte, die ihm auch gewährt wurde – und ihm nach eigenen Worten sogar sein Leben rettete.

Den Anspruch der Augstenburger auf den dänischen Thron, als der Herzog sich selbst als „Friedrich der Achte“ ausrufen ließ, verhinderte Bismarcks Veto. Nach 1864 kehrte das Schloss aber wieder in deutschen Besitz zurück, der letzte Besitzer war Herzog Ernst Günther von Augustenburg. Nach dem Versailler Vertrag 1920 fiel Schloss Gravenstein Dänemark zu, und 1921 bezahlte der dänische Staat Herzog Ernst August eine Entschädigung für Gravenstein in Höhe von 5 Millionen Kronen.

1935 heiratete der damalige Kronprinz Frederik, der als einer der musikfreudigsten Fürsten Europas galt und ein besonderer Wagner-Kenner war, die schwedische Prinzessin Ingrid. Als Hochzeitsgeschenk bekamen die beiden vom Staat das Schloss Gravenstein zur eigenen Verwendung, das sie 1936 erstmalig in Anspruch nahmen und das nach der Befreiung 1945 eine wichtige Rolle spielte, nicht nur für die königliche Familie, sondern insbesondere für das Dänentum in Nordschleswig, das das Gravensteiner Schloss durchaus auch als „anti-deutsche Schutzwaffe“ betrachtete.

König Frederik und Königin Ingrid nutzten damals Gravenstein mehr als nur in den Sommerferien, wo sie stets am Strand von Dynt baden gingen. Königin Margrethe wuchs mit ihren beiden Schwestern hier auf, noch vor wenigen Jahren sprang die Königin mutig auf die Schloss-Schaukel aus ihrer Kindheit. Nach dem Tode von Königin Ingrid stellte sich im Jahre 2000 die Frage nach der Zukunft von Gravenstein, doch Königin Margrethe entschied sich, wie sie dem erleichterten Gravensteiner Bürgermeister Bendt Olesen via Steuerminister Frode Sørensen mitteilen ließ, für Gravenstein – nun als Sommerresidenz. Auch mit dem großen Vorteil, hier als Familienoberhaupt die gesamte königliche Familie jährlich zu einem Sommertreffen nach Nordschleswig einzuladen, denn das kleine Gravensteiner Schloss weist mehr Einzelzimmer auf als Amalienborg oder Marselisborg.

Angesichts des Thronwechsels wird nun wieder die Frage nach der Zukunft des Gravensteiner Schlosses gestellt. Sonderburgs Bürgermeister Erik Lauritzen, sonst ein Mann vernünftiger Töne, äußerte öffentlich im Fernsehen seine Besorgnis wegen des seit 2007 in der Kommune Sonderburg liegenden Schlosses, was gleich von den Medien als Kritik und Druck auf den neuen König verstanden wurde. Dabei wurde – nicht gerade höflich – völlig ignoriert, dass die Königin ja doch – Gott sei Dank – noch lebt und ganz gewiss auch in ihrer neuen Rolle Gravenstein, Nordschleswig und das Grenzland nicht vergessen wird.

Hinzu kommt, dass die Königin bereits 2012 erklärt hatte, dass nach ihr auch Frederik Gravenstein übernehmen würde, weil ihn mit Gravenstein so vieles aus der Kinder- und Jugendzeit verbindet. Inzwischen hat auch der Vorsitzende im Südschleswig-Ausschuss des Folketings, der Sozialdemokrat Benny Engelbrecht, der selbst in der Nähe des Gravensteiner Schlosses wohnt, Gerüchte dementiert, wonach das Gravensteiner Schloss angeblich auf einer staatlichen Spar- und Streichliste ganz oben steht.

Warum also dieser blinde Alarm? In manchen Stimmen fühlt man sich an den früheren Unterrichtsminister, an den Nordschleswiger Bertel Haarder, erinnert, der N. K. Hermansen, einen ehemaligen aus Nordschleswig stammenden Direktor im Unterrichts-Ministerium, zitierte, der einst berühmt wurde, weil er in bedrängten Situationen stets ausrief: „Ich bin Sønderjyde, ich brauche Hilfe.“

2024 Zweifel an Gravenstein zu äußern, hieße, Zweifel an der Aufrichtigkeit des Königshauses zu säen. Solange Königin Margrethe weiter „regiert“ wird sich nichts/kaum etwas ändern, und dass König Frederik X. Nordschleswig den Rücken kehren sollte, liegt auch nicht in der royalen DNA, obwohl natürlich Gravenstein – glücklicherweise – längst nicht mehr vom Hofe als „anti-deutsche Karte“ gezogen wird. Dass aber König Frederik X. – auch vor dem Hintergrund seiner australischen Familie – nicht mehr die Präsenz seiner Vorfahren in Gravenstein aufrechterhalten kann und wird, dürfte nicht überraschen, ohne dass er und Mary deshalb die Bindungen zu Nordschleswig kappen werden.

Hinzu kommt, dass ja Bruder Joachim auch noch auf Schloss Schackenborg königliche Interessen im Landesteil vertritt.

Nein, Nordschleswig und das Grenzland mit seinen Mehr- und Minderheiten können dem Thronwechsel mit Ruhe und Zuversicht entgegensehen.

Es lebe Königin Margrethe II.

Es lebe König Frederik X. 

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