Deutsche Minderheit

Von Berlin nach Barsmark: Steffen und Ana wagen den Neuanfang

Wie Steffen und Ana in Barsmark den Neuanfang wagen

Wie Steffen und Ana in Barsmark den Neuanfang wagen

Barsmark
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Die Familie in Barsmark
Haben in Barsmark ein neues Zuhause gefunden: Ana Jasmina Oseban und ihr Mann Steffen Jacobs mit dem jüngsten Spross der Familie. Foto: Karin Riggelsen

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Mitten in der Corona-Pandemie entscheidet sich das deutsch-slowenische Paar für einen Neustart in Dänemark. Berlin und die bisherigen Berufe lassen Steffen Jacobs und Ana Jasmina Oseban hinter sich. In Barsmark wollen sie sich neu erfinden und die Zeit mit ihren beiden Kindern genießen.

Nordschleswig zeigt sich an diesem Februarnachmittag von seiner besten Seite. Der Himmel ist blau, die Apenrader Förde glitzert im Sonnenlicht. Auf dem Weg durch die hügelige Landschaft mit ihren weiten Wiesen und Feldern gibt es die ein oder andere schöne Aussicht auf ein Bilderbuch-Dänemark zu genießen. Das Ziel ist das Dorf Barsmark, rund neun Kilometer nordöstlich von Apenrade (Aabenraa).

Hier in der Dorfstraße ist es am frühen Nachmittag still. Kein Mensch ist zu sehen. Über eine geschotterte Einfahrt kommt man zur Tür eines roten Backsteinhauses. Mir öffnet Steffen Jacobs. Er wohnt mit seiner Frau Ana Jasmina und den gemeinsamen Töchtern (1 und 4 Jahre) seit bald zwei Jahren in Barsmark.

Lange Verbindung zu Dänemark

Mitten in der Corona-Pandemie, im Dezember 2020, reifte bei dem deutsch-slowenischen Paar der Entschluss, der deutschen Hauptstadt Berlin nach vielen Jahren den Rücken zu kehren und auszuwandern. Doch warum Dänemark?

„Bei mir ist das relativ einfach“, sagt Steffen. „Weil es eine lange Verbindung zu Dänemark gibt, insofern, als ich als Kind hier her immer mit meinen Eltern in den Urlaub gefahren bin. Ich war bestimmt über 20 mal im Urlaub in Dänemark und ganz selten irgendwo anders, und das erste Mal, dass ich das Meer gesehen haben, war auch in Dänemark.“

30 Jahre lang hat der Literaturwissenschaftler, Lyriker und Übersetzer in Berlin gelebt. Zusammen mit seiner Frau Ana Jasmina Oseban, die ebenfalls als Übersetzerin arbeitet, wurde das Vorhaben in die Tat umgesetzt.

Im Januar 2021, die Corona-Pandemie hatte Deutschland und Dänemark noch fest im Griff, machte sich Steffen während des Lockdowns auf den Weg gen Norden. Er schaute sich etwa 25 Häuser in ganz Dänemark an. Weil touristische Reisen zu dem Zeitpunkt nicht möglich waren, blieben Ana und die damals zweijährige Tochter in Berlin.

Die Entscheidung für Barsmark fiel mit dem ersten Schritt in den Flur des fast 100 Jahre alten Gebäudes. Er habe umgehend gespürt, sagt Steffen andächtig, dass er im richtigen Haus stehe. Die geschwungene Treppe in den ersten Stock, die weiß gestrichenen Holztüren, der Blick auf die Bucht von Gjenner (Genner) aus dem Esszimmerfenster – das Haus sollte das neue Zuhause der Familie werden. Die Entscheidung musste er allein fällen.
 

Steffen Jacobs im Flur seines Hauses.
Schon im Flur des Hauses wusste Steffen Jacobs, dass er die richtige Immobilie für seine Familie gefunden hat. Foto: Karin Riggelsen

Ich bin recht spät Vater geworden. Mit 50 kam meine erste Tochter zur Welt und mit 53 meine zweite. Es ging uns darum, etwas zu haben, was für die Kinder schön ist. Nach 30 Jahren in Berlin hatte ich auch das Gefühl, ich habe genug Großstadt gehabt.

Steffen Jacobs

Viel musste nicht gemacht werden in dem Haus. Ein Gästezimmer wurde nachträglich eingebaut, und so zog die zu dem Zeitpunkt dreiköpfige Familie im Mai 2021 ins Grenzland.

Auf die Frage, ob nicht Kopenhagen, Aalborg oder Aarhus mit ihren Künstlervierteln eigentlich eher geeignet seien, um Gleichgesinnte zu treffen, sagt Steffen: „Ich weiß nicht, ob ich immer Gleichgesinnte brauche.“

In Barsmark angekommen

Schon früh im Gespräch wird deutlich, dass Steffen und Ana in Barsmark einen Neuanfang und einen Schnitt zu ihrem bisherigen Leben wagen. Die Gründe liegen auf der Hand. „Ich bin recht spät Vater geworden. Mit 50 kam meine erste Tochter zur Welt und mit 53 meine zweite. Es ging uns darum, etwas zu haben, was für die Kinder schön ist. Nach 30 Jahren in Berlin hatte ich auch das Gefühl, ich habe genug Großstadt gehabt“, sagt Steffen.

Hier sei die Luft frisch und die Natur so schön, dass „das Auge nicht beleidigt“ werde. Von der Abenteuerlust spricht der Neu-Barsmarker, dem Reiz, im Ausland zu leben. Auch Ana macht das neue Landleben nichts aus. Sie selbst stammt aus dem kleinen Ort Celje in Slowenien, der vor allem Handball-Fans ein Begriff sein dürfte. Doch mit dem Sport habe sie nichts am Hut, sagt sie.

Die große Tochter gehe hier in den Kindergarten und habe sich schnell integriert. Sie spreche mit ihren Freundinnen und Freunden Dänisch und fühle sich hier zu Hause, sagen Steffen und Ana. Sie selbst kamen ohne Sprachkenntnisse hierher, haben in den zwei Jahren aber ordentlich dazugelernt. Es sei ein „Work in Progress“, sagt Steffen.

Wegen der Kinder sei nicht die Zeit da gewesen, so viel in die Sprachkurse zu gehen, sagt Steffen offen. „Eine sehr schöne Lösung ist aber, dass man das hier kostenlos nutzen kann. Und es sind ja nicht nur Sprach-, sondern eigentlich auch Integrationskurse.“

Ob sie sich denn bereits angekommen fühlen, frage ich. „Ich mag die Art und Weise, wie man hier miteinander umgeht. Wir haben wirklich sehr nette Nachbarn, die, als wir hierhergezogen sind, uns ganz viel Zeit gelassen haben. Dann kamen sie aber doch und haben uns Willkommenskörbe vorbeigebracht“, sagt Steffen. Und Ana ergänzt: „Die Dorfgemeinschaft ist da, und wir wachsen hinein.“

 

Also, das Gefühl ist schon da, dass in Dänemark das Gleichgewicht zwischen dem Individuellen und dem Gemeinschaftlichen gut funktioniert.

Steffen Jacobs
Anna Jasmina Oseban und Steffen Jacobs in der Küche.
Anna Jasmina Oseban und Steffen Jacobs in der Küche ihres Hauses Foto: Karin Riggelsen

Der Wunsch, dass dieses Haus ein Zuhause für die Familie werden kann, habe sich erfüllt, sagen die beiden. Als Tourist kenne man nur die Landschaft und wisse, dass es einem hier gefällt. „Aber jetzt geht es natürlich auch darum, die Gesellschaft kennenzulernen und sich zu integrieren“, sagt Steffen. 

„Also, das Gefühl ist schon da, dass in Dänemark das Gleichgewicht zwischen dem Individuellen und dem Gemeinschaftlichen gut funktioniert.“ Das komme ihm sehr entgegen, sagt Steffen. Einerseits, weil er sich als Individuum, ja Individualist, sehe, andererseits sei er aber auch Verfechter eines stabilen Sozialstaats, wo die Leute auch ein Gefühl für den Zusammenhalt haben. „Deutschland ist in dieser Hinsicht mittlerweile ziemlich unübersichtlich“, so Steffen.

Ob in Deutschland seiner Meinung nach mehr gegeneinander gearbeitet würde, frage ich. „Das ist hier tatsächlich vom Gefühl her anders, und gleichzeitig ist es nicht diese Abschottung, die daraus resultieren könnte, weil wir wirklich das Gefühl haben, man gibt uns hier die Chance“, so der Familienvater.

Chance auf einen Neuanfang

Und die Chance soll gleich ein kompletter Neuanfang sein. „Ich habe auch zwischendurch gedacht, kommt gar keine Nostalgie auf?“, so Steffen. Nach so langer Zeit könne man aber sagen: „Das ist jetzt gelebt. Das ist zu Ende.“ Natürlich gebe es aber auch noch ein paar Freunde in Berlin, aber die könnten ja nun nach Barsmark kommen.

Steffen und Ana wollen ihre bisherigen Berufe zu einem Teil hinter sich lassen. „Wenn ich ehrlich bin, diese ganzen Sachen, die ich gemacht habe, die immer mit dem Kulturbetrieb und der Sprache und dem Schreiben zu tun hatten. Das läuft jetzt alles so langsam aus.“ Es sei eine gute Entwicklung, so der Familienvater. „Ich denke, ich werde in Zukunft kein Literaturübersetzer mehr sein.“ Er sei nach Jahrzehnten einfach ausgebrannt. Mit der Inflation und einem zweiten Kind sei es aber auch eine ökonomische Frage. Wie viele der Arbeiten im kreativen Bereich reiche die Entlohnung nicht, um eine Familie zu ernähren.

Steffen Jacobs
Steffen Jacobs arbeitete jahrzehntelang als Autor, Übersetzer und Lyriker. Diese Arbeit hängt er nun an den Nagel. Foto: Karin Riggelsen

Wieder unter Leute kommen

Überhaupt betonen beide, etwas Abstand von einem Schreibtisch zu brauchen. Somit stehe das nächste Abenteuer bevor, sagt Steffen. „Wir wollen hierbleiben, und wir wollen schauen, ob wir vielleicht auf dem dänischen Arbeitsmarkt Fuß fassen können.“ Er habe sein Geld bislang immer mit der deutschen Sprache verdient. Das sei jetzt schwieriger. 

In Dänemark sei es aber nicht unüblich, etwas Neues zu beginnen. „Der Wert der Arbeit wird hier hoch geschätzt, und daher ist es, glaube ich, wichtig, dass man überhaupt etwas tut“, so Steffen. Was er künftig machen möchte, lässt er offen.

Ana spricht von einem „typischen Übersetzerleben“. Bis spät in die Nacht fokussiert und akribisch arbeiten, lange schlafen. Viel am Schreibtisch sitzen. Das passe mit dem Familienleben und auch mit der dänischen Kultur nicht mehr zusammen, die einen größeren Wert auf Freizeit und Work-Life-Balance lege. Sie möchte noch ein paar Übersetzungsprojekte zu Ende bringen, danach würde Ana gerne in ihrem zweiten Beruf arbeiten, denn sie ist nicht nur Übersetzerin und Dolmetscherin, sondern auch diplomierte Sozialpädagogin.

„Als Übersetzerin ist man etwas abgeschottet, dabei arbeite ich gerne auch mit Menschen zusammen. Mit den Kindern öffnet sich jetzt wieder etwas nach außen“, so Ana. Nun sei das Bedürfnis da, raus und unter Leute zu gehen.

Bis dato hatte die 44-Jährige etwa Werke von Marcel Reich-Ranicki, Christa Wolf oder Stefan Zweig übersetzt – keine unbekannten Namen in der Literaturszene. Sie sei sehr aktiv gewesen und habe es liebend gern gemacht. 

Ana Jasmina Oseban
Ana Jasmina Oseban. Foto: Karin Riggelsen

Ich habe immer versucht, in diese Welt einzutauchen und den Text durch mich hindurchzulassen in meiner Sprache.

Ana Jasmina Oseban

Vom Übersetzen und der Lyrik

Über ihre bisherige Arbeit sprechen die beiden auch. Etwa, wie sie an Übersetzungen herangehen und die Kunst, trotz der Übersetzung den Originalautoren zu lesen – nicht den Übersetzer. „Man muss den Autoren erstmal so nehmen, wie er ist, und nicht versuchen, zu viel von sich selbst reinzugeben und sich zu sehr selbst verwirklichen zu wollen.“ Das sei sein Weg gewesen, sagt Steffen. Ana sagt hingegen: „Ich habe immer versucht, in diese Welt (Anm. d. Red. des Autoren/der Autorin) einzutauchen und den Text durch mich hindurchzulassen in meiner Sprache.“ 

Warum er sich all die Jahre für Lyrik begeistert hat? „Lyrik hat natürlich diesen ungemein verführerischen Reiz, dass man etwas Komplexes auf wenig Raum sagt“, sagt Steffen. Die Musikalität der Sprache sei ihm ebenfalls immer sehr wichtig gewesen. Er sei ein großer Freund von Reim und Metrum. „Die Gedichte, die sich reimen, haben sich am besten gehalten. Das ist wie so ein Konservierungsstoff, und der funktioniert über Jahrtausende.“

Neue Gedichte habe er aber schon lange nicht mehr veröffentlicht, sagt Steffen. Das passe nicht mehr mit dem Familienleben zusammen, weil man mit einer bestimmten Form der Wahrnehmung durch die Welt gehen müsse. „Wenn ich jetzt eine schöne neue Landschaft sehe, mit meiner Familie, würde ich denken: Ach, lass uns jetzt einen schönen Tag hier haben. Früher hätte ich wahrscheinlich gedacht: Ach, jetzt wäre ich hier gern ein paar Stunden einsam und gucke, was sich entwickelt.“ Er sei aber nicht traurig darüber, dass ihm diese Wahrnehmung abhandengekommen sei. Sollte da noch mal etwas kommen, sei er aber offen.

Bücherschrank in Loit initiiert

Das kulturelle Leben, wie es das in Berlin gab, vermissen beide hier nicht. Auch in Loit gebe es im Versammlungshaus Auftritte von Streichquartetten, Country Bands oder Vorträge, sagt Steffen. Mit zwei kleinen Kindern, sie sind ein und vier Jahre alt, sei die Zeit aber ohnehin knapp.

Was Ana aber vermisste, war eine Bücherei in dem kleinen Ort. Man könne zwar nach Apenrade fahren, sagt sie. Aber hier zu Hause wollte sie gern etwas tun. Also fragte sie auf Facebook nach, ob und wo sich in Loit ein Bücherschrank anbieten würde. Die Initiative stieß umgehend auf Zuspruch. „Es haben sich sofort ein paar Leute gemeldet. Es ging wahnsinnig schnell“, sagt Ana. Jemand hatte einen Schrank, bot an, ihn vor dem eigenen Haus aufzustellen. Es waren sofort Bücher da. Sie selbst hatte einen Grundstock gesammelt. „Die Leute haben das wirklich angenommen. Das finde ich einfach toll.“

Der Bücherschrank in Loit. Foto: Gerrit Hencke

Etwas für die Gemeinschaft machen und gleichzeitig machst du etwas für dich selbst dadurch.

Ana Jasmina Oseban

Deutsche und dänische Bücher findet man nun in dem grünen Schrank in der Loiter Storegade. Immer wieder schaue sie nach und sortiere im Schrank ein wenig. Es sei eine kleine Zelle entstanden, die auch ein Eigenleben bekommen hat. „Die Leute kommen, bringen etwas von zu Hause mit oder lassen sich inspirieren.“ 

Für diese kleine Idee habe sie so viele positive Rückmeldungen erhalten. „Man tut etwas für die Gemeinschaft und gleichzeitig machst du etwas für dich selbst dadurch“, sagt Ana. „Man kennt sich noch nicht und kommt zusammen und war sofort offen dafür.“

Keine Sehnsucht nach Deutschland

Eine Frage zum Abschluss: Vermissen die beiden etwas an Deutschland? „Ich habe im Vorfeld ernsthaft überlegt, was ich an Deutschland vermisse und da ist mir nichts eingefallen“, sagt Steffen. Nicht mal das Essen. Derzeit entdecke die Familie das kulinarische Dänemark mit großer Freude. Und so gibt es auf Nachfrage bisher auch keinen Kritikpunkt an ihrer Entscheidung, ihr bisheriges Leben ein Stück weit hinter sich zu lassen.  

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