Geflüchtete zur Bundestagswahl

Seit sechs Jahren in Deutschland: Ayman Albeda darf trotzdem nicht wählen

Seit sechs Jahren in Deutschland: Ayman Albeda darf trotzdem nicht wählen

Seit sechs Jahren in Deutschland und kein Wahlrecht

SHZ
Schleswig-Holstein
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Für einige Geflüchtete steht 2021 die erste Bundestagswahl in der neuen Heimat an. Einige dürfen trotz vorbildlicher Integration noch nicht wählen, solange die deutsche Staatsbürgerschaft fehlt. Foto: Privat/dpa/shz.de

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Ayman Albeda ist vor sieben Jahren nach Deutschland geflüchtet und hat seine neue Heimat gefunden – wählen darf er aber nicht. Wie geht es ihm und anderen Geflüchteten damit? Shz.de hat mit vier von ihnen gesprochen.

Bei jungen Menschen, die nach dem 24. September 2017 18 Jahre alt geworden sind, flattert in diesem Jahr das erste Mal ein Wahlschein in den Briefkasten: Rund 2,8 Millionen Personen dürfen bei der Bundestagswahl 2021 erstmals wählen.

Voraussetzung ist die deutsche Staatsbürgerschaft. Vielen, die nach Deutschland geflüchtet sind, fehlt dieses entscheidende Dokument noch – der Gang zur Wahlurne bleibt ihnen somit verwehrt. Wie fühlt sich das an? Macht sie das sauer oder enttäuscht? Und wie nehmen sie die deutsche Politik generell wahr?

Der Wille ist da – der Wahlzettel fehlt

Ahmad Alahbad lebt in Halstenbek. Der Syrer floh vor dreieinhalb Jahren aus Idlib nach Deutschland – das Wahlrecht liegt für den 22-Jährigen noch in der Ferne: „Ich lebe in diesem Land und was hier passiert, betrifft mich auch. Ich würde sehr gern wählen, wenn ich die Chance hätte. Leider geht das noch nicht.“

Er überlegt kurz: „Aber ich weiß, dass ich die Staatsbürgerschaft vielleicht irgendwann bekomme, deswegen ist es okay für mich.“ Dennoch trage die fehlende Wahlberechtigung dazu bei, dass er sich teilweise ausgeschlossen fühlt.


Wo er sein Kreuz setzen würde, weiß der angehende Informatikstudent nicht genau: „Wahrscheinlich bei den Grünen oder der CDU, aber ich habe nur eine grobe Idee von den Parteien.“ Generell wünscht sich Alahbad mehr Hilfe bei der Integration. „Es war wirklich schwer, hier Fuß zu fassen.“ Auch ein weiteres Thema liegt dem 22-Jährigen am Herzen: „Wir brauchen mehr Umweltschutz.“


Bei der Frage nach seiner Wahrnehmung der deutschen Politik, denkt Alahbad länger nach – und muss auch an seine Heimat Syrien denken: „Es ist mir nicht möglich, die Politik mit der in meinem Land zu vergleichen. Hier tun 95 Prozent der Politiker etwas Gutes für das Land und versuchen zumindest, die Menschen zu vertreten.“ Nach einer kurzen Pause betont er: „Ich respektiere die deutsche Politik sehr.“

Aymans Traum vom Wählen

Ayman Albeda lebt schon doppelt so lange wie Ahmad in Deutschland – wählen darf er trotzdem nicht: „Ich muss noch etwa ein Jahr auf die Staatsbürgerschaft warten. Dass ich nicht wählen darf, ist ein großes Thema für mich.“ Albeda ist gerade 27 Jahre alt geworden und floh Ende 2015 von Damaskus nach Norddeutschland.


In den sechs Jahren, die er bereits in Deutschland lebt, integrierte er sich mit vollem Einsatz, arbeitete in einem Flüchtlingscamp als Dolmetscher, absolvierte nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr eine Lehre zum Bürokaufmann und engagiert sich bei der freiwilligen Feuerwehr sowie als Vorsitzender des DRK in Kremperheide.

Große Ziele und Ambitionen – Eingeschränkt durch Gesetze

Trotz aller Anstrengungen bleibt dem Politikinteressierten der für ihn wichtige Schritt des Wählens verwehrt: „Ich bin manchmal richtig enttäuscht. Mein Interesse an Politik ist sehr groß, aber mir ist es vom Gesetz her nicht möglich, daran aktiv teilzunehmen.“ Er befürchtet: „Wenn ich hier lebe, aber keine Stimme habe, habe ich in zehn Jahren vielleicht keinen Platz mehr hier. Ich fühle mich ausgeschlossen, wie in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.“


Albeda ist sehr gut informiert über das politische Geschehen – seine Ambitionen sind groß: „Ich möchte nicht nur wählen gehen, sondern auch gern irgendwann selbst gewählt werden. Ich möchte etwas verändern.“ Generell sieht er viele Dinge kritisch, doch eine Frage treibt den gebürtigen Syrer besonders um: „Ich wundere mich, warum sich viele nicht über Politik informieren und nicht wählen, obwohl sie es könnten. Jede Stimme spielt doch eine große Rolle für die Zukunft.“

SPD oder CDU – oder doch die Grünen?

Welche Partei er wählen würde, weiß er noch nicht genau: „Wahrscheinlich die SPD.“ Pause, dann fügt er hinzu: „Oder auch Grüne oder CDU. Ich habe noch keine Partei gefunden, die meine Ansprüche erfüllt“, fügt er schulterzuckend hinzu.

Weiterlesen: Projekt „wAlman“: Ali Can will die Bundestagswahl diverser und inklusiver gestalten

Grundsätzlich sei die Politik „ganz okay“, doch Bürokratie und mangelnder Aktivismus stören den 27-Jährigen: „Die Politiker sind nicht so repräsentativ und reagieren langsam. Die Bürokratie beschränkt sie natürlich auch.“ Doch er lobt auch: „Die Demokratie hier ist wunderbar. Grundsätzlich finde ich gut, dass regelmäßig eine neue Regierung an die Macht kommt und frei gewählt wird.“ Seine Idealbesetzung des Bundestags? „Menschen, die die Stimme der Wähler weitergeben und in deren Namen arbeiten.“

Samira Rezai hat noch nie gewählt – und wartet geduldig

Samira Rezai schließt sich diesem Wunsch an: „Ich wünsche mir Politiker, die das Beste für alle wollen und Diversität repräsentieren. Und, dass sie zu ihrem Wort stehen und nicht vor der Wahl Sachen versprechen, die sie nicht einhalten.“ Auch sie wird in diesem Jahr keinen Wahlzettel bekommen: „Ich habe noch nie in meinem Leben gewählt, aber ich bin mir sicher, dass irgendwann der Tag kommt, an dem ich jemanden wählen darf. Für mich ist das okay, noch abzuwarten.“


2015 flüchtete die 22-Jährige aus Afghanistan und lebt mittlerweile in Halstenbek. Mit Politik hatte sie noch nicht viel Kontakt: „Ich kenne mich nicht gut mit Parteien aus. Als ich zur Schule gegangen bin, hat niemand über Politik geredet. Sobald ich wählen darf, werde ich mich natürlich informieren.“


Die zukünftige medizinische Fachangestellte vergleicht die deutsche Politik mit der in ihrem Herkunftsland: „Ich bin sehr dankbar, dass die Frauen hier viele Möglichkeiten haben. Angela Merkel bestärkt das.“ Wenn sie ihrer Familie in Afghanistan von deutscher Politik erzählt, erwähne sie immer, wie viel Respekt und Gleichberechtigung es gibt: „Die deutsche Politik ist gut, weil sie dafür sorgt, dass Menschen wie ich sich hier wohlfühlen können.“

Wasim Tattans erste Bundestagswahl

Wasim Tattan floh mit seinem Bruder 2014 aus Syrien als er 14 war. Heute lebt der 20-Jährige in Neumünster. Er ist seit kurzer Zeit offiziell Deutscher – im September wählt er das erste Mal. „Das ist eine sehr besondere Situation für mich und fühlt sich super an, in meiner neuen Heimat wählen zu dürfen. Jede Stimme zählt, eine Stimme mehr gegen die AfD!“, sagt er und lächelt. Wasim ist seit anderthalb Jahren SPD-Mitglied. Wo er sein Kreuz setzt, steht damit fest: „Die SPD ist sehr sozial, stellt das Humane in den Vordergrund und hat gute Ziele, die auch Flüchtlinge unterstützen.“


Er ist auf dem Weg zum Abitur, arbeitet ehrenamtlich für ein Netzwerk gegen Antisemitismus und beim Antirassismus-Projekt „New ways für Newcomer“. Regelmäßig schaut er sich die Debatten der Politik auf YouTube an und hat große Ziele: „Ich würde mich gern nur noch politisch engagieren und will mich dafür einsetzen, dass wir solidarisch zusammenleben.“


Nach sieben Jahren kennt er die deutsche Politik: „Ich finde, das politische System läuft gut. Es ist demokratisch, es gibt freie Wahlen und man kann sich frei äußern. Das kenne ich aus meiner Heimat so nicht. Hier habe ich endlich Freiheit. Das schätze ich sehr.“ Teile der Flüchtlingspolitik sieht er jedoch kritisch: „Es fehlt mehr Unterstützung bei der Integration von Geflüchteten und Menschen, die sich hier integrieren und einen Neustart machen wollen, werden oft abgeschoben.“

Auch ohne Wahlrecht Geflüchteten eine Stimme geben

Das Gesetz stand Tattans Wunsch, zu wählen, lange im Weg: „Gesetz ist Gesetz und das respektieren wir. Gleichzeitig müssten aber Alternativen geschaffen werden, damit auch Flüchtlinge eine Organisation bilden können oder gehört werden und Anerkennung bekommen und etwas verändern können.“

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