Aufgrund von Zahlungsverzug

Hunderten Haushalten wird in Flensburg jährlich der Strom abgedreht – Politik sucht Lösungen

Hunderten Haushalten wird in Flensburg jährlich der Strom abgedreht

Hunderten Haushalten wird jährlich der Strom abgedreht

SHZ
Flensburg
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Foto: Jonas Güttler/dpa/shz.de

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Immer mehr Haushalten wird aufgrund von Zahlungsverzug der Strom abgedreht. Die Politik will eine Lösung finden, Stromsperren zu verhindern. Doch das gestaltet sich schwierig.

Die Zahl der Haushalte, denen jährlich in Flensburg der Strom wegen Zahlungsverzuges abgedreht wird, ist – ähnlich wie die Energiepreise – in den vergangenen Monaten drastisch angestiegen. Das stellt besonders Sozialhilfeempfänger vor Herausforderungen: Wie Thomas Russ vom Fachbereich Soziales und Gesundheit erklärte, greife die Anpassung der Leistungen an die Preisentwicklung erst im Nachhinein.

Nach dem jetzigen Stand habe ein Familienhaushalt über den Regelsatz 36 Euro im Monat für Stromkosten zur Verfügung. Bei einem angenommenen Verbrauch von 1300 Kilowattstunden müssten jedoch inzwischen rund 50 Euro aufgewendet werden. Je dynamischer sich die Preise entwickelten, desto größer werde dieses Delta.

Im Sozial- und Gesundheitsausschuss stellte Klaus Pahl von den Stadtwerken Flensburg die Zahlen aus den letzten Jahren vor. Demnach gab es im Jahr 2021 rund 2200 Sperrankündigungen. „Dahinter standen Forderungsausfälle von rund 1,5 Millionen Euro“, führte Pahl aus.

Letztendlich gesperrt worden seien 1030 Anlagen, die ausstehenden Forderungen beliefen sich auf 785.000 Euro. Das seien nicht alles Privathaushalte, sondern auch Gewerbebetriebe und Leerstände. Zum Vergleich: Nach Informationen der Linksfraktion waren es im Jahr 2019 noch 300 Stromsperrungen.

Stromsperrungen könnten noch weiter zunehmen

Und die Prognose? „Wir haben zwei Strömungen,“ sagte Pahl. „Wir rechnen damit, dass die Energiepreise noch weiter nach oben gehen und zu erwarten ist, dass die Stromsperren weiter ansteigen werden. Das andere ist aber, dass wir eine neue Regelung in der Stromgrundversorgung haben, die angibt, wann und wie gesperrt werden darf.“

Im Gegensatz zur bisherigen Gesetzeslage gelte, dass Stromsperren acht und nicht drei Tage vorher anzukündigen seien. Zudem müsse man mit mindestens zwei Abschlägen über 100 Euro im Verzug sein. Auch müssten Energieversorger Kunden, die im Zahlungsverzug sind, Ratenzahlung nun aktiv anbieten.

Stromsperren endgültig abschaffen?

Für die Linksfraktion geht das jedoch nicht weit genug. Sie will die Stromsperren seit geraumer Zeit endgültig abschaffen. Diese seien eine „mittelalterliche Strafe“, die nicht zeitgemäß und mit europäischem Recht vereinbar sei. Schon 2013 hatte die Politik über die Stromsperren debattiert. Im vergangenen Jahr hatten die Linken erneut einen Antrag dazu eingereicht, der war jedoch vorerst auf Eis gelegt worden.

Weiterlesen: Flensburger Linksfraktion beantragt Stopp von Stromsperren

Am Montag befasste sich der Sozial- und Gesundheitsausschuss erneut mit der Debatte – allerdings wieder ohne konkretes Ergebnis. Die antragstellenden Fraktionen konnten sich nicht einig werden und ohnehin sind die Möglichkeiten der Politik eher begrenzt – denn nur ein Beschluss der Gesellschafterversammlung wäre für die Stadtwerke maßgeblich, wie Klaus Pahl verdeutlichte: „Beschlüsse des Gesundheitsausschusses sind nicht bindend, es sei denn, es gibt einen Beschluss der Gesellschafterversammlung, der die Stadtwerke anweist, so zu handeln.“

Prävention, Härtefallfond oder Stromsperren aussetzen?

Dass die Sitzung kein Ergebnis hervorbrachte, rief besonders bei den Linken Ärger hervor. „Wir haben seit November wertvolle Zeit verloren – und jetzt scheint das Ganze in einem nebulösen Nirwana zu versinken. So wie SPD und Grüne vorgehen, lässt sich eher kein erträglicher Kompromiss finden, der einem konsequenten Verbot von Stromsperren, wie wir es fordern, auch nur ansatzweise nahe kommt“, äußerte sich Herman Soldan-Parima im Nachgang des Ausschusses in einer Pressemitteilung.

Während der SSW beantragt hatte, wie zu Beginn der Pandemie die Stromsperren noch einmal um ein halbes Jahr auszusetzen, wollten Grüne und SPD jeweils mit stärkeren Präventivmaßnahmen beziehungsweise einem Härtefallfond gegen die Stromsperren vorgehen. Doch auch für diese Vorschläge fand sich keine Mehrheit. Insbesondere beim Härtefallfond wäre die Stadt gefordert, entsprechende Mittel bereitzustellen. „Wir haben in diesem Zuge mit dem Finanzbereich gesprochen, die gesagt haben, dass das Budget als klein eingeschätzt wird“, gab Justus Klebe (SPD) zu.

Weiterlesen: Hohe Strompreise: SPD will städtischen Härtefallfond

Die Stromsperren abzuschaffen sind für seine Fraktion keine Option: „Es geht nicht nur um Fälle, wo es um soziale Härte geht, sondern es gibt auch Leute, die betrügerisch damit umgehen und deshalb muss es eine Handhabe geben, den Strom abzustellen“, begründete er. Und auch die Grünen setzen eher auf proaktive Maßnahmen: „Wir sind uns einig, dass das Konzept zur Prävention der sinnvolle Weg ist und einschlägige sozialpolitischen Akteure einzubinden sind“, erklärte Nora Fuhrmann (Grüne) für ihre Fraktion.

Schließlich wurde die Debatte vertragt. In vier Wochen will sich der Ausschuss noch einmal mit dem Thema befassen.

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