Leitartikel

„Eiskalt oder mit Herz“

Eiskalt oder mit Herz

Eiskalt oder mit Herz

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen/Nuuk
Zuletzt aktualisiert um:
Aki-Matilda Høegh-Dam
Aki-Matilda Høegh-Dam sorgte im Folketing für Aufregung, als sie ihre Rede auf Grönländisch hielt. Foto: Philip Davali/Ritzau Scanpix

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Das Präsidium des dänischen Folketings steht vor einer vielleicht historischen Entscheidung, die für die Zukunft der Reichsgemeinschaft von größter Bedeutung sein kann. Soll die grönländische Sprache künftig im dänischen Folketing offiziell erlaubt sein? Der frühere „Nordschleswiger“–Chefredakteur Siegfried Matlok meint: Die Antwort ist nicht nur eine Frage des Geldes.

Was kostet Grönland? Eine dumme Frage, besser formuliert müsste sie so gestellt werden: Was ist Grönland Dänemark und den Däninnen und Dänen wert? Die meisten werden dabei gleich an das Deal-Angebot des früheren US-Präsidenten Donald Trump denken, der – laut „Washington Post“ – 2019 angeblich einen hohen Millionen-Betrag an US-Dollar für den Inselkauf ins Spiel brachte und damit bei Staatsministerin Mette Frederiksen auf einen Eisblock aus Empörung und Ablehnung stieß. 

Aktuell geht es aber nicht darum, einen Schwarzen Peter von Kopenhagen nach Washington zu verschieben, sondern um eine vielleicht entscheidende Frage: Wie viel Geld will Dänemark bereitstellen, um das Verhältnis zum nordatlantischen Partner in der Reichsgemeinschaft nicht zu beschädigen und zu gefährden. Letztlich geht es um die Schicksalsfrage der Grönländerinnen und Grönländer – um die kulturelle und sprachliche Identität der Inuit.

Während die Temperaturen auf Grönland bedrohlich-sommerliche Züge annehmen, hat sich das dänisch-grönländische Verhältnis in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgekühlt. Trotz aller Versuche der wechselnden Regierungen in Kopenhagen, die Grönländerinnen und Grönländer sozusagen bei der Stange zu halten, also eine staatliche Trennung unbedingt zu vermeiden.

Im Mai dieses Jahres hat sich das Klima noch mehr verschlechtert, als die junge Folketingabgeordnete Aki-Matilda Høegh-Dam im Parlamentssaal plötzlich ihre Rede nur auf Grönländisch hielt – zum Unverständnis der von ihr provozierten reichsdänischen Abgeordneten, die auch mit bohrenden Fragen die Kollegin nicht von ihrem strikten Sprachkurs abbringen konnten – im Gegenteil. Was tun? Nicht wenige – sowohl in Regierung als auch im Folketing – zeigten Sympathien für diesen unerwarteten Sprachvorstoß und signalisierten ihre Bereitschaft zu Lösungsmodellen.

Folketingspräsident Søren Gade (Venstre)  ließ von seinem Hause Berechnungen darüber anstellen, was denn eine Dolmetscherordnung sowohl für die vier nordatlantischen Abgeordneten von Grönland und den Färöern kosten würde, obwohl die anderen drei keine ähnliche Forderung gestellt hatten.

Dass das längste grönländische Wort insgesamt 153 Buchstaben umfasst, schockiert weniger als die geschätzte Summe für solche Übersetzungsarbeiten: mindestens 200 Millionen Kronen jährlich. Bei einem Gesamtetat für das Folketing von jährlich 1,3 Milliarden Kronen finanziell wahrlich kein Pappenstiel, zumal auch noch rund 150.000 Seiten Dokumente übersetzt werden müssen.

Da es weder im Grundgesetz noch in der Geschäftsordnung im Folketing Vorschriften gibt, die die grönländische und färingische Sprache verbieten, stellt sich nun die Frage, ob auch eine finanziell angemessene Lösung gefunden werden kann. Zum Beispiel sind die Kosten für einen Simultan-Dolmetscher natürlich viel höher als für eine zusammenfassende Übersetzung.

Dem Präsidium des Folketings, das am 18. September über diese (Zukunfts-)Frage beraten/entscheiden soll, sind jedoch neue Schweißperlen ins Gesicht getrieben worden, weil die „Sprach-Rebellin“ Aki-Matilda Høegh-Dam am 22. September zu einem 14-tägigen Studienaufenthalt in die USA reisen wird, sodass sie während ihrer Abwesenheit von ihrem Suppleanten Markus E. Olsen im Folketing vertreten wird – auch just am Tag der Folketings-Eröffnung am 5. Oktober.

Der Theologe, der in seiner Predigt den obligatorischen Segen für Königin Margrethe verweigert, verweist darauf, dass er sich natürlich viel besser in seiner Muttersprache ausdrücken kann. Er hat deshalb bereits angekündigt, in der Eröffnungsdebatte seine Rede zwar mit dänischen Worten zu beginnen, dann jedoch in grönländischer Sprache fortsetzen zu wollen. Sollten dann – wie gewohnt – aus dem Saal Fragen seiner dänischen Kolleginnen und Kollegen an ihn gerichtet werden, hofft er auf Dolmetscher-Beistand.

Das Gebot der Stunde: eisgekühltes Fingerspitzengefühl. Ein Verbot durch das Folketing würde jedenfalls einen „Sturm von riesigen Dimensionen auf Grönland“ auslösen, meint einer der besten dänischen Grönland-Kenner, der dänische Journalist Martin Breum. Auch angesichts der Tatsache, dass von den Grönländerinnen und Grönländern wohl nur 25 Prozent zweisprachig sind und dass die meisten Inuit Dänisch noch immer als die Sprache der Kolonialherren seit 1814 betrachten; trotz der Abschaffung des Kolonie-Status durch die Grundgesetzänderung 1953 und der 1979 eingeführten autonomen Selbstverwaltung mit stets neuen Zuständigkeiten.   

Zu beachten gilt, dass sowohl Dänemark als auch Grönland nur eine offizielle Landessprache anerkennen, wobei allerdings das grönländische Parlament „Inatsisartut“  längst beide Sprachen nutzt – sogar simultan. Während sich Mette Frederiksen und auch Parlaments-Präsident Gade (dem allerdings die Finanzierung große Sorgen macht) eine einvernehmliche dänisch-grönländische Lösung zum Erhalt der Reichsgemeinschaft wünschen, ist von dritter Seite auch ein Kompromiss aufgetaucht: die englische Sprache nach isländischem Vorbild in Dänemark als zweite offizielle Landessprache anzuerkennen. Eine ähnliche Diskussion wird bereits ernsthaft auf Grönland geführt, hier aber mit dem Vorschlag Englisch statt Dänisch. Höchst unrealistisch!

Abhängig davon, wie jetzt die Lösung des Folketings ausfällt, werden jene Grönländerinnen und Grönländer reagieren, die wie Aki-Matilda Høegh-Dam und ihr Suppleant weiterhin die Selbständigkeit von Dänemark fordern. Diese Kräfte sind allerdings zurzeit etwas geschwächt, denn bei der kürzlich stattgefundenen Wahl des Vorsitzenden der größten Partei „Siumut“ (der grönländischen Sozialdemokratie) kam Høegh-Dam nur auf Platz zwei, bei der Abstimmung deutlich abgeschlagen hinter dem wiedergewählten Erik Jensen, der eher moderate Töne im Verhältnis zu Dänemark anschlägt, ohne allerdings mittel- und langfristig das Ziel der insularen Unabhängigkeit aufzugeben.   

Auf dänischer Seite gibt es Stimmen, die stolz auf einen eigenen nationalen Sprachhelden verweisen – auf den dänischen Abgeordneten in der schleswigschen Ständeversammlung, Peter Hiort Lorenzen aus Hadersleben, der in der Versammlung 1842 Dänisch sprach und gleichzeitig ankündigte, aus Protest auch künftig nur Dänisch sprechen zu wollen. Vor diesem Hintergrund müsse man doch – auch mit dem Hinweis auf die Menschenrechte – Verständnis für den grönländischen Wunsch nach eigener Sprache im Folketing aufbringen, hieß es in einem Leserbrief, während ein anderer Kommentar in einer Kopenhagener Zeitung die grönländische Abgeordnete sogar als „halb-verrückt“ diffamierte, da sie doch die dänische Sprache beherrschen könne.

Grönland-Kenner Breum sieht noch eine andere „Gefahr“ am Horizont: „Keiner spricht heute über die 15.000 Mitglieder der deutschen Minderheit, aber das kann ja noch kommen“, schrieb er angesichts der Sprachen-Fehde. Ob dieser freundlich gemeinte Hinweis allerdings argumentativ die Chancen für Grönländisch im dänischen Folketing erhöht, ist zu bezweifeln. Der Vergleich zwischen Grönland und der deutschen Minderheit in Nordschleswig hinkt. Nicht nur sprachlich, was aber die Sympathien für die grönländische Sprache auch im Folketing nicht mindern soll!

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