Kolumne zum Weltfrauentag

„Der Nordschleswiger“ vor 50 Jahren – Die Zeiten gendern sich

„Der Nordschleswiger“ vor 50 Jahren – Die Zeiten gendern sich

„Der Nordschleswiger“ vor 50 Jahren – Zeiten gendern sich

Apenrade/Aabenraa
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Eine Ausgabe des „Nordschleswigers“ aus den 1970-Jahren Foto: Marle Liebelt

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Als Frauen mit Messern „bearbeitet“ wurden, und Landschaften „reizvoll“ aufwerteten – vor 1974 war auch „Der Nordschleswiger“ noch weit entfernt von einer Berichterstattung, die Frauen nicht marginalisiert, objektifiziert oder sexualisiert. Journalistin Marle Liebelt lädt ein zum Exkurs in die Vergangenheit.

Es ist keine Neuigkeit mehr: Frauen kämpfen bereits seit Jahrzehnten für mehr Repräsentation in wichtigen Positionen und dafür, nicht in klassischen Rollenbildern stereotypisiert zu werden. 

Und ja, es gibt noch viel zu tun. Aber es ist auch schon viel passiert. Komm doch mal mit auf meine Reise durch den „Nordschleswiger“ vor 50 Jahren. Du wirst sehen: So könnte man es heute nicht mehr machen.  

Denn beim Blättern durch Ausgaben des „Nordschleswigers“ von 1974 wird schnell klar: Es waren wirklich andere Zeiten. Nicht etwa, weil das Papier vergilbt ist, die Fotos in schwarz-weiß und die Sprache eine andere war. Das habe ich erwartet. 

Ich bin aber auf der Suche nach etwas anderem. Nämlich, wie eigentlich Frauen früher dargestellt wurden. Die Antwort fällt erst einmal kurz aus: kaum.

Männer machen Politik, Männer machen Wirtschaft, Männer finden Sachen heraus. Foto: Marle Liebelt

Die Nachrichten wurden nicht nur von fast ausschließlich Männern geschrieben, sondern auch bestimmt. Die, die das öffentliche Leben beeinflussten, waren Männer. Die Protagonisten der großen Artikel heißen Willy, Niels, Georg oder Heinrich. Die Bilder der Artikel zeigen – du ahnst es – meist Männer. Nur eine Frau taucht immer wieder auf – aber Königin von Dänemark kann eben bloß eine sein. 

Stoße ich beim Durchblättern auf ein Bild, das Frauen zeigt, merke ich: Es lohnt sich – zumindest für diese Recherche – meist auch ein genauerer Blick. Die Redaktion der Vergangenheit hielt mit ihrer reaktionären Sicht auf die Dinge nicht hinterm Zaun. 

Etwa ist die Dünenlandschaft auf Röm (Rømø) durchaus reizvoll – da mag wohl niemand widersprechen. Aber spielt die Bild-Unterzeile wirklich auf die „reizvollen“ Dünen an?

Beim Bericht über die Urlaubssaison auf Röm kamen die Redakteure nicht ohne eine doppeldeutige Anspielung auf Frauen in Badekleidung aus. Foto: Marle Liebelt

Ohne die Kollegen der Vergangenheit pauschal verurteilen zu wollen, ist es an dieser Stelle eine vermutlich nicht allzu gewagte These, wenn ich ihnen Doppeldeutigkeit unterstelle.

Aber wie ist es hiermit? Ha! Eine Moderatorin, die im „ZDF“ das „Aktuelle Sportstudio“ moderieren wird. Das geht doch schon viel mehr in Richtung Gleichstellung – oder? Bevor du jetzt euphorisch wirst, lies mal genauer nach.

Die Herren Redakteure wissen deine emanzipatorische Freude zu dämpfen.

Die schlanke, blonde und blauäugige Carmen Thomas wird Moderatorin der Sendung „Aktuelles Sportstudio“ im ZDF. Foto: Marle Liebelt

Carmen Thomas war als politische Korrespondentin tätig und bringt als ehemalige Turnerin und Trampolinspringerin auch einen sportlichen Hintergrund mit. Sie war die erste Frau, die eine Sportsendung im deutschen Fernsehen moderierte. Alles gute Gründe, zu berichten. Aber aus Sicht der Redaktion bringt die „schlanke, blonde und blauäugige Carmen“ in erster Linie „mehr Chic und Charme“ ins Fernsehen. 

Nachtrag meinerseits: Einer von Frau Thomas' Kollegen war der große, durchschnittlich gebaute Hanns Joachim Friedrichs – stets in zeitgemäßem Anzug und zurückgekämmt blondem Haar. Die Frisur machte den Sportmoderator ja – wenn du mich fragst – älter, als er war. Aber naja.

Nun gut – das sind alles keine harten Themen, da kann schon mal ein wenig gewitzelt werden. Aber irgendwo ist ja auch mal gut! Oder?

 

Die „bearbeitete“ Frau wurde in Wahrheit Opfer eines Mordversuchs ihres Partners. Foto: Marle Liebelt

Nein – auch ein versuchter Femizid scheint der Redaktion keinen Anlass zu geben, darüber in einer der grausamen Tat entsprechend angemessen Sprache zu berichten. 

Dann übernehme ich das eben: Frauen, die mit einem Messer und den Worten „Ich töte dich“ angegriffen werden, werden Opfer eines Mordversuchs und nicht wie die Redaktion schreibt „bearbeitet“. 

 

Die Seite Frau, Frau, Frau richtet sich mit Kochrezepten, Klatsch und Tratsch sowie Mode- und Verhaltenstipps explizit ans weibliche Publikum des „Nordschleswigers“. Foto: Marle Liebelt

Es ist offensichtlich, dass die Ausgaben des „Nordschleswigers“ in den 70er-Jahren überwiegend von Männern, über Männer und für Männer geschrieben wurden. 

Mit einer Ausnahme: Hin und wieder füllt die Rubrik „Frau Frau Frau“ eine ganze Seite mit weichen Themen wie Rezeptideen, Modetrends, Tipps, wie Frau für den Mann attraktiv bleibt, oder einfach nur Kuriosem aus dem Leben.

So ist es zum Beispiel schön zu lesen, dass die Frau der 70er eher weniger vom „Gespenst der Langeweile“ heimgesucht wurde, während Familien mit der Zeit nichts mehr miteinander anzufangen wissen. „Besonders schlimm wird es am Wochenende“, heißt es in dem Artikel. Aber Glück für alle, die Frauen sind, denn: „Am wenigsten langweilig wird es da den Frauen. Sie werden ohnehin durch die die Woche über liegengebliebene Hausarbeit daheim in Trab gehalten.“

Da möchte Frau doch nun wirklich nicht an Mannes Stelle sein: „Um der Langeweile auszuweichen, gehen manche auf den Fußballplatz.“ 

Als Frau sage ich da: Welch ein Glück – nachher kommt er noch auf die Idee, mir bei meiner Hausarbeit „zu helfen“, wie man so schön sagt. 

 

Welch ein Glück, wenn man Frau ist und noch einiges an Hausarbeit vor sich hat. Sie muss die Zeit am Wochenende nicht vor lauter Langeweile auf dem Fußballplatz totschlagen. Foto: Marle Liebelt

Aber jetzt mal Ernst beiseite: Was bin ich froh, dass sich die Zeiten gegendert haben.

Diese Kolumne ist der Startschuss für Artikel, in denen sich die heutige – und nebenbei auch viel diversere – „Nordschleswiger“-Redaktion rund um den Weltfrauentag am 8. März vermehrt feministischen Themen widmet. Sei gespannt.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wir geben dir, was du brauchst“