Diese Woche in Kopenhagen

„Als Woyens Brennpunkt der Welt wurde“

Als Woyens Brennpunkt der Welt wurde

Als Woyens Brennpunkt der Welt wurde

Kopenhagen/Skrydstrup
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Wlodimyr Selenskyj und Mette Frederiksen bei der Pressekonferenz in Skrydstrup Foto: Walter Turnowsky

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Am Sonntag hat der ukrainische Präsident Wlodomyr Selenskyj den Luftwaffenstützpunkt in Skrydstrup besucht. Walter Turnowsky hat einen historischen und symbolträchtigen Tag mit hohem Sicherheitsaufgebot erlebt – aber auch viel Wartezeit.

Als ich am Sonntag nun in Skrydstrup mitten im Brennpunkt des Weltgeschehens stand, hätte man meinen können, ich hätte den genau richtigen Riecher gehabt, als ich mich am Freitag für die Veranstaltung anmeldete. Ganz so sensibel war mein journalistische Geruchsorgan jedoch nicht.

Einen diskreten Hinweis gab es bereits, als ich Freitag zur Arbeit erschien. Ich konnte mein Fahrrad nicht am gewohnten Platz abstellen, weil das Personal des Folketings dabei war, die Fahrradständer abzumontieren. Renovierungsarbeiten – dachte ich.

Ich brachte die Mail aus dem Staatsministerium, die kurz vor Dienstschluss in meiner Mailbox eintrudelte, nicht mit den Abmontierarbeiten in Verbindung. Die Staatsministerin, der Verteidigungsminister und Außenminister würden am Sonntag Skrydstrup besuchen. Aha, es geht um die Donation der F-16 sowie das Training der ukrainischen Pilotinnen und Piloten.

Das hat sich bekanntlich auch bewahrheitet, aber wie sich herausstellen sollte, war es nicht die ganze Wahrheit.

Lange Sicherheitsprozedur

Da ich ohnehin am Wochenende nach Hadersleben (Haderslev) wollte, dachte ich, kann man sich ja mal anschauen, was passiert – und meldete ich mich für die Veranstaltung an. Irgendein Programm ging aus der Mail nicht hervor, nur der Anfangszeitpunkt um 15 Uhr.

Vielleicht hätte ich stutzig werden müssen, als drinnen stand, dass wir bereits spätestens um 11.50 Uhr erscheinen müssten, um uns der Sicherheitskontrolle zu unterziehen. Aber mein Gehirn bewegte sich schon in Richtung Wochenende und so witzelte ich nur über den sehr exakten Zeitpunkt für den Sicherheitscheck.

Am Sonntag sollte sich herausstellen, dass weder dieser noch irgendwelche anderen Zeitpunkte das Prädikat „exakt“ verdienten. 

Gerüchte über den Besuch

Eine weitere Verbindung stellte ich zunächst auch nicht her. Wir hatten vermeldet, Kronprinzessin Mary werde an einem dänischen-ukrainischen Gottesdienst im Haderslebner Dom teilnehmen. Doch auch in diesem Fall war, wie wir jetzt wissen, eine Person nicht auf der Gästeliste aufgeführt worden.

Sonntagvormittag verdichteten sich dann die Gerüchte, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj werde kommen. Wenig überraschend fragte demnach auch der Taxifahrer auf dem Weg von Hadersleben nach Skrydstrup danach, doch konnte ich zu dem Zeitpunkt auch nur raten.

Einige Kilometer weiter kam dann der erste konkrete Hinweis: Eine Kolonne von Polizeimotorrädern kam uns in hoher Geschwindigkeit entgegen und winkte uns an die Seite. Es war ganz offensichtlich nicht nur die Kronprinzessin, die mit diesem Sicherheitsaufwand zum Dom transportiert werden sollte.

Die Kunst der Andeutung

Beim Eingang zum Fliegerhorst dann noch mehr Polizei sowie schwer bewaffnete Militärpolizei. Doch dann erst einmal Wartezeit. Ein Programm für den Tag kannten auch die Kolleginnen und Kollegen von den anderen Medien nicht.

So war Zeit, ein Selfie für einen X(Twitter)-Post zu machen. Man kann ja schon mal andeuten, dass wohl nicht nur Frederiksen, Ellemann und Løkke kommen werden. Die Reporterinnen und Reporter von „DR“ und „TV2“ üben sich bei ihren Liveschalten in derselben Kunst.

Dann kommt doch ein Detail mehr über das Programm: erst um 18.30 dürfen wir das Gelände des Luftwaffenstützpunktes wieder verlassen – so mussten einige ihren Abend neu disponieren.

Bombenhunde und deutliche Instruktionen

Eine halbe Stunde nach dem angekündigten Zeitpunkt geht es dann mit der Sicherheitskontrolle los. Jeweils fünf von uns mussten in ein Zelt treten, unser Gepäck öffnen und vor uns ablegen. Ein Polizist ließ seinen Hund die Sachen beschnüffeln. Zum Glück habe ich nicht die Angewohnheit, Dynamit in meinem Rucksack zu transportieren – es hätte Duftspuren hinterlassen können.

Identitätskontrolle und ab in einen Bus. Eine Pressemitarbeiterin des Fliegerhorstes erklärt uns, was wir zu tun – und vor allem zu lassen – haben: keine Fotos während der Busfahrt, keine Fotos, während wir zum Hangar gehen, keine Fotos vom Militärpersonal. Ihre Stimmführung entlarvt den militärischen Hintergrund.

Im Hangar dann weitere Kommandos: Gebäude nicht verlassen, nicht aus dem Fenster heraus filmen oder fotografieren, Klowagen nur mit Bewachung aufsuchen. Aber Liveschalten darf man machen – im Hangar. Und so üben sich die Reporterinnen und Reporter vom Fernsehen weiter in der Disziplin zu sagen, dass Selinskyj kommt, ohne auszusprechen, dass Selenskyj kommt.

Vorbereiten des Artikel 

Auch ich gehe in die Richtung und liefere dem Kollegen Gerrit Hencke, der den Sonntagsdienst in der Hauptredaktion bestreitet, das Zitat: „Hier in Skrydstrup bahnt sich ein größeres Ereignis an. Die Sicherheitsvorkehrungen sind deutlich schärfer, als ein Besuch von Frederiksen, Ellemann und Løkke alleine berechtigen würde.“

Ich setze mich an die Tastatur und schreibe: „Selenskyj kommt nach Skrydstrup“. Bis ich den Artikel mehr als zwei Stunden später veröffentlichen kann, und auch noch danach, wird sich die Überschrift noch einige Male geringfügig ändern, aber die Aussage bleibt gleich.

Warten auf Selenskyj Foto: Walter Turnowsky

In dem Hangar hat keiner Zweifel, dass der ukrainische Präsident nach seinem Besuch in den Niederlanden direkt nach Skrydstrup fliegen wird. Die Homepage „Flightradar“ zeigt, dass eine Hercules-Transportmaschine von Eindhoven nach Skrydstrup fliegen wird.

Verspätung

Über das Programm wissen wir weiterhin nur, dass um 15 Uhr „etwas“ passieren soll und dann um 17.30 Uhr „noch etwas“. Doch die Uhr schlägt drei, ohne dass etwas passiert. Gut zehn Minuten später ist ein Hubschrauber zu hören, der vor dem Hangar landet. Durch das Fenster erspähen wir Mette Frederiksen, Jakob Ellemann-Jensen, Lars Løkke Rasmussen und Kronprinzessin Mary. Fotografieren dürfen wir das – wie uns eingeschärft wurde – nicht.

Selenskyjs Besuch ist immer noch nicht bestätigt. Erst um 16.11 bekommt „TV2“ die Bestätigung, er werde in wenigen Minuten landen. Letzte Anpassungen meines Artikels und auf „veröffentlichen“ drücken. Die erste Version des Artikels ist kaum veröffentlicht, da hört man auch schon den Lärm eines landenden Flugzeuges.

Die symbolträchtigen Fotos

Die Fotografen und Kameraleute dürfen auf die Landebahn, um die Begrüßung Selenskyjs durch Frederiksen, Ellemann, Løkke und die Kronprinzessin zu fotografieren beziehungsweise zu filmen. Wir anderen müssen im Hangar bleiben.

Selenskyj und Frederiksen werden über diese Treppe ins Cockpit steigen. Foto: Walter Turnowsky

Das „Etwas“ um 15 Uhr verschiebt sich auf 16.30 Uhr. Ich kann also bis dahin den Artikel noch einige Male aktualisieren. Jetzt erfahren wir auch, was das „Etwas“ ist: Selenskyj und Frederiksen werden in eine F-16 klettern – „Photo Opportunity“ nennt sich das im Englischen beziehungsweise Amerikanischen.

Erneute Wartezeit

Nach gut zwei Minuten ist der Spuk vorbei, die dänische Regierung, die Militärs und der ukrainische Präsident ziehen sich zu einer Sitzung zurück. Also erneut Wartezeit – Zeit darüber zu spekulieren, ob die späte Bestätigung des Besuchs alleine Sicherheitsgründen geschuldet ist.

Wenn uns im Hangar schon längst klar war, dass Selenskyj hierher unterwegs war, dürfte es der russische Geheimdienst wohl auch durchschaut haben.

Die Kulisse muss stimmen. Foto: Walter Turnowsky

Dann der Bescheid der Pressemitarbeiterin des Staatsministeriums: Da der Zeitplan sich verschoben hat, muss die Pressekonferenz mit Selenskyj und Frederiksen kurz ausfallen. Den beiden dänischen Fernsehsendern und den beiden ukrainischen werden je zwei Fragen bewilligt. Alle anderen Journalistinnen und Journalisten sind Kulisse.

Die Inszenierung

Als Vertreter des wohl kleinsten hier anwesendem Mediums hatte ich nicht unbedingt damit gerechnet, eine Frage unterbringen zu können – andere schon. Es ist eben recht viel Inszenierung bei einem solchen Ereignis dabei.

Es ist keine Frage, dass die F-16 für die Ukraine eine wichtige Waffe ist, um wieder Herrschaft über den eigenen Luftraum zu erlangen. Doch ein Krieg wird nicht nur auf dem Schlachtfeld ausgefochten, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung.

Nach acht Stunden im Hangar fand die Pressekonferenz statt. Foto: Walter Turnowsky

In Skrydstrup und dem darauffolgenden Besuch in Kopenhagen ist Selenskyj ein wichtiger Sieg im Informationskrieg gelungen. Das Foto von ihm und Frederiksen im Cockpit der F-16 schickt eine deutliche Botschaft an die eigene Bevölkerung, die dänische und westliche Öffentlichkeit, an Putin sowie an die Nationen, die noch zögern, Kampfflugzeuge an die Ukraine zu liefern.

Rückkehr der Fahrradständer

Nachdem die Pressekonferenz gut überstanden ist, entspannt sich die Stimmung im Hangar. Die vorher so strenge Pressemitarbeiterin des Fliegerhorstes unterhält sich nun locker mit den Medienvertreterinnen und -Vertretern. Vor der Rückfahrt werden noch einige der Brötchen, die noch übrig geblieben waren, verzehrt.

Ungefähr um 19 Uhr setzt uns der Bus wieder beim Eingang ab. Auch am Montag konnte ich das Fahrrad nicht am gewohnten Platz abstellen: Selenskyj sollte vor dem Haupteingang von Christiansborg seine Rede ans dänische Volk halten. 

Am Dienstag kehren der Alltag und vermutlich auch die Fahrradständer wieder zurück.

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