Grenzüberschreitendes

Wie Geoblocking das Grenzland spaltet und die Filmbranche besorgt

Wie Geoblocking das Grenzland spaltet und die Filmbranche besorgt

Geoblocking spaltet das Grenzland und besorgt Filmbranche

Brüssel/Kopenhagen
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Streaming-Anbieter
Die Filmbranche fürchtet, dass Streaming-Anbieter bei einem Wegfall des Geoblockings noch mehr Macht bekommen. Foto: Oscar Nord/Unsplash

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Während die Filmbranche bei einer Abschaffung des Geoblockings für Film, Fernsehen und Sportevents ein verschlechtertes Angebot und wirtschaftliche Einbußen befürchtet, sehen Befürworterinnen und Befürworter Vorteile insbesondere für Grenzregionen und Minderheiten.

Vor dem Hintergrund des beschleunigten digitalen Wandels, hat das Europäische Parlament am Mittwoch die Notwendigkeit unterstrichen, die seit vier Jahren geltenden EU-Vorschriften zum Geoblocking zu überarbeiten, um letzte Barrieren abzubauen.

Der Grund: Die EU möchte den digitalen Binnenmarkt vertiefen. Während die meisten Online-Dienste wie Shopping und Autovermietung seit 2018 in der EU kein Geoblocking mehr verwenden dürfen, wird die Technologie bei Film-, Fernseh- und Sportübertragungen immer noch eingesetzt – und wird wohl auch in naher Zukunft nicht abgeschafft werden.

Das Komitee für den Internationalen Markt und Verbraucherschutz (IMCO) schreibt in einer Pressemitteilung: „Als Reaktion auf die begrenzten Verbesserungen beim grenzüberschreitenden Zugang zu Online-Angeboten mit audiovisuellen Inhalten und Live-Sportveranstaltungen betonen die Abgeordneten, wie wichtig es ist, den audiovisuellen Sektor zu modernisieren, um die Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Bezug auf Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit, Flexibilität und Qualität der Inhalte zu erfüllen.“

Es ist ärgerlich, dass es in Grenzgebieten wie dem unseren nicht einfach möglich ist, die Sender des Nachbarlandes zu empfangen.

Harro Hallmann

Wichtiges Anliegen der Minderheiten im Grenzland

Verbesserungen wünschen sich vor allem die Minderheiten, etwa in Nord- und Südschleswig. Geoblocking ist ein besonderes Ärgernis, denn es unterbindet die Möglichkeit sich vollumfänglich mit dem muttersprachlichen Angebot aus den Titularnationen (kin-states) zu versorgen – also Medieninhalten aus jenen Ländern, in denen die eigene Sprache Landessprache ist. Auch bei privaten Streaming-Anbietenden sind Inhalte in der Muttersprache von Minderheitenangehörigen oft nicht über Landesgrenzen hinaus verfügbar.

Für die deutsche Minderheit in Nordschleswig ist das Thema ein wichtiges Anliegen. „Das Thema Geoblocking haben wir schon seit ca. 15 Jahre auf der Tagesordnung. Es ist ärgerlich, dass es in Grenzgebieten wie dem unseren nicht einfach möglich ist, die Sender des Nachbarlandes zu empfangen“, sagt Harro Hallmann, Kommunikationschef und Leiter des Sekretariats der deutschen Minderheit in Kopenhagen. 

Auswirkungen werden untersucht

Das Problem: „Es geht dabei um sehr viel Geld und vor allem die Fernsehrechte im Bereich Sport. Das hat bisher immer wieder dazu geführt, dass keine Einigung erreicht werden konnte“, so Hallmann. „Das ist sehr schade, ich hoffe, dass es dieses Mal klappt, bin aber nicht optimistisch.“

Harro Hallmann Foto: Karin Riggelsen

Seidler: Verstoß gegen Charta

Auch der Bundestagsabgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), Stefan Seidler, kritisiert auf „Nordschleswiger“-Nachfrage das Geoblocking: „Ich würde mir wünschen, dass man in Brüssel endlich Mut beweist und sich vom überflüssigen Geoblocking verabschiedet. Es ist kein Geheimnis, dass Geoblocking vor allem unerfahrene NutzerInnen trifft, die technisch vorhandenen Ausweichrouten nicht kennen. Was noch viel schwerer wiegt: Unter Geoblocking leiden derzeit vor allem unsere Minderheiten im Grenzland, weil audiovisuelle Inhalte etwa aus Dänemark in Deutschland nicht verfügbar sind. Meine Partei, der SSW, sieht darin auch einen Verstoß gegen die Europäische Charta für Regional- und Minderheitensprachen.“

So bleibt auch zunächst das Geoblocking für den audiovisuellen Bereich bestehen und wird nicht einfach abgeschafft. Erst sollen die genauen Auswirkungen auf bestehende Geschäftsmodelle und die Finanzierung der Kreativwirtschaft untersucht werden. Denn laut EU-Parlament könnte die Ausweitung des Geltungsbereichs der bestehenden Vorschriften zu erheblichen Einnahmeverlusten führen, Investitionen in neue Inhalte gefährden, die kulturelle Vielfalt der Inhalte verringern und die Vertriebskanäle einschränken. Dies könnte letztlich die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher erhöhen.

In einem Binnenmarkt für das Kino würden langweilige Filme entstehen, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner menschlicher Erfahrungen abzielen.

Ruben Östlund

Filmbranche warnt vor Folgen

Prominente Filmschaffende warnen bereits davor, etwa Streaming-Angebote der europäischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von überall in der EU zugänglich zu machen. Sie sagen voraus, dass dies das Geschäftsmodell der Branche zerstören würde, berichtet der britische „Guardian“.

Mehr als 600 europäische Produzenten, Filmfestivals und Filmmärkte, darunter Zentropa, Nordisk Film und Danske Biografer, haben einen entsprechenden Aufruf unterzeichnet, gegen die Aufhebung des Geoblockings für Audio und Video zu stimmen.

Würden die schützenden Barrieren beseitigt, so die Filmemacherinnen und -macher, gerieten sie unter kommerziellen Druck, den Geschmack eines durchschnittlichen europäischen Zuschauers zu treffen, und ihre Kunst würde darunter leiden. „In einem Binnenmarkt für das Kino würden langweilige Filme entstehen, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner menschlicher Erfahrungen abzielen“, so der preisgekrönte schwedische Regisseur Ruben Östlund gegenüber dem Medium. 

Ende des Geoblockings bringt keinen Nutzen

„Wir haben viele kleine Märkte mit kleinen Produzenten, die ihren eigenen filmischen Stil entwickelt haben. In der Vielfalt liegt die Stärke“, so Östlund, der die Originalität am europäischen Film schätze.

Ähnlich sieht es Anders Kjærhauge, CEO von Zentropa. Er sagt gegenüber „Ritzau“, die Aufhebung des Geoblockings würde den Verbraucherinnen und Verbrauchern keinen Nutzen bringen. „Dies ist ein völlig missverstandener Aspekt des Binnenmarktes, bei dem man glaubt, dass eine größere Menge besser für die Menschen ist.“

Die sozialdemokratische Europaabgeordnete Christel Schaldemose ist auf der Seite der Industrie und erklärt, dass die Aufhebung des Geoblockings kleine Sprachgebiete wie Dänemark benachteiligen würde. „Kurzfristig mag es den Eindruck erwecken, dass man als Verbraucher mehr Auswahl hat. Aber wenn Sie als Filmindustrie nicht die Möglichkeit haben, Geld mit anderen Verleihern zu verdienen, die Zugang zu Ihren Filmen kaufen, dann werden weniger dänischsprachige Filme produziert.“

Als Teil der dänischen Minderheit sowie als Grenzpendler erlebe ich die Einschränkungen durch Geoblocking täglich selbst und werde auch weiterhin für ein Geoblocking-Ende kämpfen.

Rasmus Andresen
Rasmus Andresen
Rasmus Andresen Foto: PR

Befürwortende wollen weiter kämpfen

Politikerinnen und Politiker, die sich für die Abstimmung einsetzen, sagen hingegen, dass die aktuelle Regelung Langzeitmigrantinnen und -migranten sowie sprachliche Minderheiten in Grenzregionen diskriminiert, die keinen Zugang zu Streaming-Inhalten aus Ländern haben, in denen sie vielleicht sogar wahlberechtigt sind. „Das Absurde an der Situation ist, dass die digitalen Rechte den Zugang zu europäischen Inhalten nicht erleichtert, sondern erschwert haben“, sagt die parteilose dänische Europaabgeordnete Karen Melchior. 

„Das Parlament hat mehrheitlich gegen unseren Änderungsantrag gestimmt, das Geoblocking für audiovisuelle Inhalte zu beenden. Dies ist vor allem für Mitglieder nationaler Minderheiten, die zum Beispiel das Fernsehprogramm, Filme oder Sportereignisse aus dem jeweiligen Nachbarland nicht empfangen können, besonders bitter“, kritisiert der schleswig-holsteinische Europaabgeordnete der Grünen, Rasmus Andresen, und führt fort: „Als Teil der dänischen Minderheit sowie als Grenzpendler erlebe ich die Einschränkungen durch Geoblocking täglich selbst und werde auch weiterhin für ein Geoblocking-Ende kämpfen.“

 

Am 18. Dezember um 14.53 Uhr wurde der Kommentar von Stefan Seidler (SSW) ergänzt.

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