Leitartikel

„Mit wehenden Fahnen“

Mit wehenden Fahnen

Mit wehenden Fahnen

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Das höchste dänische Gericht hat das Verbot des Hissens mit ausländischen Flaggen aufgehoben, aber die Begründung der sieben Richter ist schon  höchst bemerkenswert. Jetzt muss das Folketing Flagge zeigen. Kommt jetzt endlich ein neues Gesetz – auch mit Ausnahmen, fragt der ehemalige Chefredakteur Siegfried Matlok in seinem Leitartikel. 

Es ist schon höchst seltsam, dass ein Treffen von Amerika-Freunden zu Gast bei der Familie Hedegaard aus Kolding, bei dem am 9. April 2018 in deren Sommerhaus in Nørre Bjert zur Verärgerung gewisser Nachbarn die „Stars und Stripes“ gehisst wurden, nun zu einem bemerkenswerten Urteil des höchsten dänischen Gerichts, dem „Højesteret“, geführt hat, wonach das Hissen ausländischer Flaggen im Königreich nun nicht mehr verboten ist.

Der Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN), Hinrich Jürgensen, zeigte sich spürbar erleichtert, glaubt, dass er künftig nicht mehr eine polizeiliche Genehmigung (in Holstebro!) einholen muss, um bei offiziellen Besuchen zu Ehren hoher Gäste die bundesdeutsche Fahne zu hissen. Für die deutsche Minderheit war dieser Behördengang zu Recht ein Irritationsmoment, gleichwohl entsprechende Wünsche vom BDN stets erfüllt worden sind. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass unter anderem darauf verwiesen worden ist, dass dänische Hotels offenbar mühelos ausländische Flaggen hissen konnten. Höchst bemerkenswert deshalb, weil in der einstimmigen Urteilsbegründung von einer Genehmigung für Hotels gar nicht die Rede ist.  Hier haben die (Kontroll-)Behörden ganz offensichtlich einfach nur die Augen zugedrückt.

Ein Augenöffner ist der Blick in den Urteilsspruch vom 22. Juni allemal, denn er entlarvt im angeblich stets so perfekten dänischen Rechtsstaat, dass jahrzehntelang schlicht und einfach eine gesetzliche Grundlage für das Flaggenverbot gefehlt hat, die sich bisher auf eine Bekanntmachung aus dem Jahre 1915 und auf eine königliche Resolution aus dem Jahre 1833 stützte. Also aus der Zeit des Absolutismus. Man spricht sogar von einem  „kasuistischen Charakter“, der im „Danske Lov“ von  König Christian V. im Jahre 1683 eingeführt wurde und der Einzelfallregelungen enthält statt einer allgemeinen Regelung per Gesetz,  wobei übrigens noch andere Bestimmungen von 1683 heute im dänischen Recht Gültigkeit haben!

Mit anderen Worten ist bisher nur administrativ entschieden worden, wobei als wichtigstes Prinzip die Neutralität Dänemarks zugrunde gelegt worden ist.  Hier verweisen die Richter besonders auf die dänische Neutralität im Ersten Weltkrieg (und was im Zweiten Weltkrieg?), um so den Schutz der dänischen Neutralität vor Flaggen kriegsführender Mächte zu sichern.  Die bisher angewandte Flaggen-Bekanntmachung aus dem Jahre 1915 ist also vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges zu sehen.  Das alleinig erlaubte Flaggen des Dannebrogs sollte bisher Dänemarks Neutralität   schützen – auch vor etwaigen Unruhen.  Eine Strafe beim Hissen ausländischer Flaggen konnte aber nicht erfolgen, ohne zu beachten, ob zum Tatzeitpunkt dadurch Dänemarks Verteidigung und Neutralität Schaden zugeführt wurde. 

Der Erste Weltkrieg ist vorbei, also sind dadurch auch Dänemarks (Flaggen-)Interessen aus dem Jahre 1915 heute nicht mehr berührt. Laut „Højesteret“ soll künftig nicht mehr beurteilt werden, ob eine ausländische Flagge dem Land eines dänischen Alliierten gehört oder nicht.  Im Fall Kolding – wo das Westliche Landesgericht ja in zweiter Instanz den „US-Täter“ für schuldig befunden hatte –  gehen die sieben Richter so weit, festzustellen,  dass das Flaggen von „Stars and Stripes“ als „Sympathiebekundung“ zu betrachten ist, da die USA  – seit der dänischen Nato-Mitgliedschaft von 1949 – „Dänemarks zweifelsohne wichtigster Alliierter sind“.

Ein recht politisches Votum, mit anderen Worten: Dänemark ist im Nato-Kontext nicht mehr neutral, was dann ja schwarz-rot-gold auch für das Flaggen-Verhältnis zu Deutschland gilt.

In anderen (vergleichbaren) Ländern gebe es keine restriktive Flaggen-Politik, so das Gericht, das zu dem Ergebnis kommt, dass die gesellschaftliche Entwicklung  (international) inzwischen so fortgeschritten ist, dass auch im Sinne der europäischen Menschenrechtskonvention „eine Einschränkung der Meinungsfreiheit in einem demokratischen Land nicht mehr zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit erforderlich ist“. Nach Ansicht des Gerichts liegt auch ein sozialer Bedarf („a pressing social need”) für das Verbot nicht vor.  Daraus zieht das höchste Gericht dann die logische Folgerung, dass im Gegensatz zur Regelung von 1915 das Hissen ausländischer Flaggen künftig nicht mehr administrativ geregelt werden darf. Wörtlich: „Es ist erforderlich, dass nun ein Gesetz verabschiedet wird, das diese Fragen nach festen Richtlinien und überschaubar für die Allgemeinheit klärt. Das Recht der Bürger zum Flaggen oder dessen Begrenzung kann, laut dem Grundgesetz nur per Gesetz erfolgen – nicht administrativ.“

Die dänische Polizei hat gleich nach dem Urteil vom 22. Juni mitgeteilt, zunächst auf alle Anträge zum Hissen ausländischer Flaggen zu verzichten. Nun hat die Politik das Wort, und hier sind bereits kritische Kommentare nach dem höchstrichterlichen Urteil zu hören; und nicht nur von rechtsnationalen Parteien. Der sozialdemokratische Justizminister Peter Hummelgaard hat sofort angekündigt, den „Bedarf nach einer Änderung“ politisch zu prüfen. Man darf hoffentlich davon ausgehen, dass die Parteien des Folketings in den Durchführungsbestimmungen eines neuen Gesetzes eine Ausnahme für das offizielle Flaggen der deutschen Minderheit in Nordschleswig garantieren werden, alles andere würde 2023 minderheitenpolitisch nicht in die Landschaft passen.

Aber Vorsicht, der Teufel steckt im Detail: Zurzeit gibt es in Dänemark eine bereits mehrfach verlängerte Ausnahme für die Flagge der Ukraine,  doch was geschieht, wenn etwa die aus dänischer Sicht russische Kriegsflagge in einem rot-weißen Schrebergarten auftaucht oder schlimmstenfalls sogar die Reichskriegsflagge  von Bundesdeutschen aus radikalisierten Querdenkerkreisen, von denen einige jetzt im „Hygge“-Heim Unterschlupf gefunden haben.

Wer die Däninnen und Dänen kennt, weiß, dass sie die besondere Kultur des Dannebrogs schätzen und schützen.

Mit wehenden Fahnen auch per Gesetz! 

 


 

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