Rezension
Wir brauchen mehr Emmas – auch 2022
Wir brauchen mehr Emmas – auch 2022
Wir brauchen mehr Emmas – auch 2022
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„Das Lied des Himmels und der Meere“ ist ein historischer Roman, dessen Hauptperson jedoch äußerst gegenwärtig ist. Die Autorin Anne Müller hat dabei keinen Schmalzroman geschrieben, sondern nahezu einen feministischen.
Ende des vorvergangenen Jahrhunderts Frau zu sein, war nur in Maßen amüsant, vor allem wenn man eine Frau mit eigenem Sinn und dem Mut war, sich seines Verstandes zu bedienen. Emma Jensen, geb. Callsen, war genau so eine Frau. Oder war es zumindest in der Fantasie von Anne Müller, die Emma auf dem Papier zum Leben erweckt. Allerdings gab es ein reales Vorbild – die Vorfahrin der Autorin, die tatsächlich nach Amerika ausgewandert ist. Anne Müller hat sich auf ihre Spuren begeben und mit aller Verfasserinnenkunst dafür gesorgt, dass aus dürren geschichtlichen Fakten ein praller lebensvoller Roman wurde.
„Das Lied des Himmels und der Meere“ ist ein ganz klassischer Roman, der zunächst seltsam aus der Zeit gefallen anmutet. Anne Müller hat einen historischen Roman geschrieben und wieder auch nicht. Aufbau und Sprachduktus passen durchaus in vergangene Tage, aber die Emma, die da aus Schleswig auswandert und in Kalifornien als Gesellschaftsdame anheuert, ist äußerst gegenwärtig. Sie ist Frau, sie will es sein. Sie mag ihren Körper und die Liebe – Anne Müller gelingen erfreuliche erotische Geschichten, die sich wohltuend von manch anderen Büchern, inklusive Krimis, abheben, bei denen man förmlich Lektor und Verlag sagen hört, „da muss aber noch ein bisschen Sex rein“.
Ein nahezu feministischer Roman
Emma findet in der neuen Welt ihr Glück, aber ohne etliche Tropfen Wermut geht es nicht, denn Anne Müller hat keinen Schmalzroman geschrieben, sondern nahezu einen feministischen. Emma arbeitet, rudert, liebt nicht nur einen Mann, sie redet in der Öffentlichkeit von Frauenrechten und ist äußerst findig, wenn es darum geht, den Aberglauben, dass ein Toter an Bord dem Schiff Unglück bringt, zu unterlaufen. Sie überschreitet Grenzen und sieht nur Menschen, nicht Dänen und Deutsche bzw. Schleswig-Holsteiner, die sich wegen der Schlacht auf Düppel noch spinnefeind sind.
Diese Art Frau, die das Leben anpackt und wenn sich wegen der Konventionen, um die sie sich keinen Deut schert, eine Tür schließt, sich eine andere mit Kraft öffnet, können wir auch 2022 brauchen. Wie gut, dass es am Ende des Romans zwei Emmas gibt. Wer weiß, vielleicht lesen wir eines Tages eine Fortsetzung der Linie der Emmas in den USA und in Schleswig. Lohnenswert wäre es.