Plastikmüll in der Schlei

Über 200.000 Plastikteile hat Wolfgang Behrendt gesammelt

Über 200.000 Plastikteile hat Wolfgang Behrendt gesammelt

Über 200.000 Plastikteile hat Wolfgang Behrendt gesammelt

Stephan Schaar/shz.de
Schleswig/Schaalby
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Wolfgang Behrendt
Wolfgang Behrendt pickt mit seiner Pinzette hunderte Plastikteile aus dem Flutsaum der Schlei. Foto: Stephan Schaar

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Der Kampf gegen den Plastikmüll am Schleiufer nimmt kein Ende. Bei jeder Tour findet der 69-Jährige hunderte Schnipsel.

„Wenn einer behauptet, vom Plastikskandal von 2018 sei nichts mehr zu finden, dann kann ich nur lachen“, sagt Wolfgang Behrendt kopfschüttelnd. Schon bückt er sich wieder und sammelt mit seiner Pinzette ein Dutzend winziger Plastikteilchen aus dem Flutsaum am Naturstrand von Winningmay bei Füsing. Der 69-Jährige geht seit 2018 regelmäßig auf Sammeltour an seinem Lieblingsstrand an der Schlei, sammelt ein bis zwei Stunden und hat jedes Mal am Ende einen vollen Beutel mit Plastikmüll, den er danach zu Hause entsorgt.
 
„Ich finde auch größere Teile und Dinge, die Strandbesucher einfach liegenlassen, wie Kippen und Verpackungen. Aber überall liegen auch noch immer die klein geschredderten Schnipsel herum, die durch die Kläranlage in die Schlei gekommen sind“, sagt er. Akribisch zählt er seine Funde, trägt sie in Tabellen ein und informiert die Stadtwerke, wenn er wieder weitere 5.000 Teile gefunden und entsorgt hat. „Ich will nicht, dass da einfach Gras über die Sache wächst“, erklärt Behrendt. „Sehr viel Plastik liegt auch auf dem Grund der Schlei, die Mengen sind ja gar nicht abzuschätzen.“ Bisher hat Behrendt mehr als 200.000 Plastikteile gesammelt.
 
Die Ausbeute einer Viertelstunde
Die Ausbeute einer Viertelstunde: Neben Plastikschnipseln sammelt Behrendt auch den frischen Müll von Strandbesuchern auf. Foto: Stephan Schaar

Tonnenweise Plastikmüll in die Schlei eingeleitet

Vor drei Jahren wurde bekannt, dass vermutlich jahrelang tonnenweise geschredderter Plastikmüll über die Schleswiger Kläranlage in die Schlei eingeleitet wurde. Das Unternehmen ReFood hatte das Klärwerk mit Lebensmittelresten beliefert, aus denen durch Vergärung Energie erzeugt werden sollte. Allerdings enthielten sie geschredderte Plastikverpackungen, die über Jahre in der Schlei gelandet sind. Es läuft noch immer ein Ermittlungsverfahren gegen Stadtwerke-Geschäftsführer Wolfgang Schoofs und führende Mitarbeiter der Firma ReFood, ob es zu einer Anklage kommt ist derzeit noch unklar. Wolfgang Behrendt, der früher selbst Angestellter der Stadtwerke war, ist das aber nicht so wichtig. „Es nützt auch nichts, jetzt den Schuldigen zu suchen. Davon verschwindet das Plastik auch nicht.“

Es nützt auch nichts, jetzt den Schuldigen zu suchen. Davon verschwindet das Plastik auch nicht.
Wolfgang Behrendt
14 Tage war Behrendt nicht auf Tour am Strand von Winningmay und ist erschreckt, wie viel Müll schon wieder zu finden ist. Langsam schreitet er den Uferbereich ab, den Blick am Boden und alle paar Schritte bückt er sich und findet ein Stückchen Plastik und noch eines und noch eines. „Wenn ich runter gehe und einen Schnipsel aufpicke, entdecke ich gleich fünf bis zehn weitere“, sagt er. Die Teile sind oft nur wenige Millimeter klein und es gibt sowohl scharfkantiges Hartplastik als auch Weichplastik von Verpackungsfolien, das oft schon ganz zerfleddert ist, weil es schneller zu Mikroplastik zerfällt.
Weichkunststoff einer Verpackungsfolie
Der Weichkunststoff einer Verpackungsfolie zerfällt schneller zu Mikroplastik und ist dann nicht mehr aus der Natur zu bergen. Foto: Stephan Schaar

Ein kleiner Ausschnitt eines großen Umweltschadens

„Ich bin ja immer nur an diesem kleinen Bereich, meinem Lieblingsplatz, den ich schon früher beim Windsurfen geliebt habe“, erklärt Behrendt. „Auf einer ein- bis zweistündigen Tour finde ich jedes mal 600 bis 800 Teile. Immer wieder, weil durch Wind und Hochwasser immer neuer Plastikmüll angetrieben wird.“ Dabei ist er keineswegs verbittert und einen Vergleich mit Sisyphos will er nicht gelten lassen. „Dem ist der Stein ja immer den Berg wieder runtergerollt, was er tat, war also sinnlos. Was ich mache, das hat seinen Sinn, auch wenn kein Ende in Sicht ist. Aber noch gebe ich nicht auf“, sagt er lachend.

Wolfgang Behrendt
Wolfgang Behrendt liebt den Strand von Winningmay und will weiter seinen Beitrag leisten, ihn etwas sauberer zu halten. Foto: Stephan Schaar
Behrendt hofft, dass er andere inspirieren kann, sorgsamer mit der Natur umzugehen und selbst auch einen Beitrag zu leisten, sei er auch noch so klein. „Nur zu sabbeln, das ist zu wenig. Man muss auch was tun. Vielleicht habe ich ja auch mal Nachahmer.“ Besonders ärgerlich findet er, dass auch täglich neuer Müll von Strandbesuchern dazu kommt. „Zuhause wird fleißig der Müll getrennt und hier bleibt einfach alles im Sand liegen, das verstehe ich nicht“, sagt Behrendt.
 

Vermutlich noch Tonnen von Plastik in der Schlei

Der engagierte Rentner sammelt nicht nur an der Schlei alles ein, was er sieht. Auch im Urlaub, sei es auf Sylt, den Kanaren oder Jamaika, macht er keinen Strandspaziergang ohne Müllbeutel, und er sieht oft viel mehr Müll, als er mitnehmen kann. „Wir müssen mehr tun! Die Natur gibt uns alles zum Leben, da können wir auch mal etwas zurückgeben“, sagt Behrendt.

Graben am Naturschutzgebiet Reesholm
Millionen kleiner Plastikschnipsel schwimmen in einem Graben am Naturschutzgebiet Reesholm. Foto: Stephan Schaar
Als Behrendt Richtung Naturschutzgebiet Reesholm geht, wird deutlich, dass es sich bei den Plastikschnipseln am Strand nicht nur um vereinzelte Reste des geschredderten Mülls aus der Kläranlage handelt, von dem die Schlei bereits weitgehend gereinigt sein soll. Dort durchziehen Gräben die Feuchtgebiete und in ihnen treiben Millionen bunter Plastikteilchen. „Das ist hier nur einer von vielen Gräben und man sieht nur das Plastik an der Oberfläche, das hier seit drei Jahren herumschwimmt“, erklärt er. „Da kann man sich ausrechnen, wie viele Tonnen Plastikmüll in der Schlei und den Uferbereichen noch drin sind.“
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