Diese Woche in Kopenhagen

„Pia und Alex im Höhenflug“

Pia und Alex im Höhenflug

Pia und Alex im Höhenflug

Kopenhagen
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Die Vorsitzende der Sozialistischen Volkspartei und ihr Kollege von der Liberalen Allianz profitieren von der geringen Popularität der Regierung. Nach der kommenden Wahl wird der einen, dem anderen oder beiden eine zentrale Rolle in der dänischen Politik zukommen. So die Einschätzung von Walter Turnowsky.

Hoppla, was war das für eine Menschenmenge, die da gerade an mir vorbeigehuscht ist. Ah ja; jetzt erkenne ich es: Es sind die Wählerinnen und Wähler, die den Regierungsparteien davonlaufen.

Und wie ein Sprichwort besagt: Wo Drei sich unpopulär gemacht haben, freuen sich die Vierte und der Fünfte. Möchtest du daher bei der Familienfeier oder am Stammtisch über die dänische Politik mitreden, solltest du dir gleich schon einmal die Namen Pia Olsen Dyhr und Alex Vanopslagh notieren.

Die kannst du dann regelmäßig ins Gespräch einstreuen, um dann nach der Wahl (die spätestens am 31. Oktober 2026 stattfindet) darauf hinzuweisen, dass du ja gewusst hast, dass die Sozialistische Volkspartei (SF) und die Liberale Allianz (LA) die neuen Volksparteien werden.

Die nomadische Wählerschaft

Einen kleinen Vorbehalt erlaube ich mir dann doch an dieser Stelle; in zweieinhalb Jahren kann in der Politik viel passieren. Das gilt gerade in diesen Jahren, in den die Wählerin oder der Wähler – also du – immer untreuer wird. Bei der vergangenen Wahl haben historisch viele Menschen ihr Kreuzchen bei einer anderen Partei gemacht als bei der Wahl davor.

Damals – also vor anderthalb Jahren – profitierten unter anderem die Moderaten und die Sozialdemokratie von dem nomadischen Wahlvolk. Beide Parteien hatten im Wahlkampf die breite Regierung über die Mitte hinweg propagiert – für die Moderaten ist das Projekt sogar ihre Existenzberichtigung. Das legten sie dann so aus, dass die Bevölkerung diese auch heiß herbei ersehnte. Und Venstre machte dann – zunächst zähneknirschend – auch mit, um nach der Wahlniederlage doch noch Ministersessel zu erhaschen.

Doch entweder hatten sie die Botschaft der Wahl falsch gedeutet oder das untreue Wahlvolk hat sehr schnell gesagt: Nee, doch nicht. Zumindest war die Koalition kaum geschmiedet und die Abschaffung des Buß- und Bettages angekündigt, bevor die drei Regierungsparteien in den Umfragen abrutschten – und dort unten sind sie seither geblieben.

Mehrheitsregierung als Ausnahmeerscheinung

In Pias SF haben die abtrünnigen sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler eine neue Heimat gefunden und dem liberalen Alex sind die Menschen zugelaufen, die zuvor Venstre und den Moderaten ihre Stimme anvertraut hatten. Nun bedeuten viele Stimmen nicht immer auch politischen Einfluss – es kommt immer auch auf die Konstellationen und Mehrheiten an.

Wenn ich dennoch Pia und/oder Alex in einer bedeutenden Rolle sehe, hängt es damit zusammen, dass meine Kristallkugel und ich es für sehr unwahrscheinlich halten, dass es nach der Wahl eine Neuauflage der breiten Regierung über die Mitte hinweg geben wird. Diese Konstellation ist eine Anomalie in der dänischen Politik.

Alex, der Volksredner

Und das heißt, dass bei einer Mitte-Links-Regierung SF ein entscheidendes Wort mitzureden hätte, bei einer Mitte-Rechts-Regierung wäre es LA. Wobei Pia und Alex sich im Stil wie im Inhalt durchaus unterscheiden. Ach, was rede ich: Sie sind in so gut wie in allen Punkten der Gegensatz des anderen.

Der LA-Chef ist der Volksredner, der derzeit mit seiner politischen Tournee „Alex og Ansvaret“ in Herning, Kolding, Aarhus und Aalborg ganze Hallen füllt. Und das Publikum zahlt sogar dafür, die Predigt von der Eigenverantwortung zu hören. Der Slogan „Du kan godt“ (ungefähr: „Du packst das“) kommt an – das „godt“ steht über einem durchgestrichenen „ikke“.

Die neue Sozialdemokratie

Er inszeniert also seine Partei sehr bewusst als Gegenpol zum sozialdemokratischen Weltbild. Pia beschreitet – in ihrer im Vergleich eher unauffälligen Art – den entgegengesetzten Weg. Sie macht allmählich aus der Sozialistischen Volkspartei die neue Sozialdemokratie.

Bis sie die alte Sozialdemokratie in den Umfragen überholt, ist es zwar noch ein Stückchen. Aber immerhin belegt SF jetzt regelmäßig den zweiten Rang. Nur eine Partei kann ihr derzeit diesen streitig machen: die Liberale Allianz.

Alex als Regierungschef?

Das bedeutet wiederum, dass Alex‘ Truppe bei einer morgigen Wahl unangefochten die größte Partei des bürgerlichen Lagers wäre. Und das gilt auch, wenn man die Zentrumspartei der Moderaten dazuzählt.

Wenig überraschend also, dass Alex Vanopslagh immer häufiger als kommender Staatsministerkandidat des bürgerlichen Lagers genannt wird. Selbst hält er sich wohlweislich damit zurück.

Die Sozialdemokratie hat ihn zumindest schon einmal als derzeitigen Hauptgegner ausgemacht. In den sozialen Medien dreschen profilierte Politikerinnen und vor allem Politiker der (einstigen) Arbeiterpartei auf ihn ein. Was Alex eigentlich nur recht sein kann.

Bittere Erfahrungen

So bereiten sich Alex und Pia schon einmal auf eine mögliche Regierungsbeteiligung vor – sie werden allerdings nicht Teil derselben Koalition werden. Mit zur Vorbereitung gehört, aus der Vergangenheit zu lernen. Denn für beide Parteien endete die vorherige, kurze Regierungsbeteiligung in einem Desaster.

Sind SF und LA nicht gut genug vorbereitet, werden die nomadischen Wählerinnen und Wähler genauso schnell wieder aus der Tür herausströmen, wie sie hereingeströmt sind.

Und mit diesen Worten verabschiede ich mich für eine Woche in den Urlaub. Aber keine Bange, meine Kollegin Marle Liebelt hat versprochen, die Kolumne am kommenden Freitag, dem Internationalen Frauentag, unter ihre Fittiche zu nehmen.

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