Diese Woche In Kopenhagen

„Hurra, der Kindersegen ist ausgeblieben!“

Hurra, der Kindersegen ist ausgeblieben!

Hurra, der Kindersegen ist ausgeblieben!

Kopenhagen
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Die Geburtenrate in Dänemark ist rückläufig. Solange die Abwahl von Kindern auf einer freien Entscheidung beruht, ist das alles andere als ein Problem, meint Walter Turnowsky. Und dem Klima tut es auch gut.

Hast du es auch in den vergangenen Wochen vernommen? Das Gejammer über die angeblich zu wenigen Kinder, die geboren werden?

Der Stamm der Danen sei vom Aussterben bedroht. So zumindest klingt die Befürchtung von so einigen Meinungsführerinnen, Politikern und Medien. Übrigens sind auch im Stamm der Germanen immer weniger Kinderstimmen zu hören, wie in den meisten Stämmen der sogenannten westlichen Welt.

Zeugen für den Staat?

Doch lass uns – bevor wir weiter in die Zahlen eintauchen – ein wenig in die jüngsten O-Töne hineinhören. Der Parteichef, Gründer und Chefideologe der Moderaten, Lars Løkke Rasmussen, nutze seine Parteitagsrede, um zu erklären, dass wir mehr Kinder kriegen müssen.

„Mir dem Aufruf allein ist es ja nicht getan, obwohl hier die eindeutige Möglichkeit besteht, persönliche Verantwortung zu übernehmen und etwas dafür zu tun“, führte er weiter aus.

Quasi, Geschlechtsverkehr für den Staat. In meinen Ohren klingt das ein wenig wie eine Gedankenwelt aus einer anderen Zeit …

Frauen entscheiden sich gegen Kinder

Doch von den Meinungen zurück zu den Fakten. Der Rockwool-Fonds hat die sinkende Geburtenrate in einer Studie genauer untersucht. Die Schlussfolgerung: Die Bevölkerung bekommt weniger Kinder, weil sie weniger Kinder haben möchte.

Der Rückgang lässt sich weitgehend damit erklären, dass die Rate bei den Erstgeburten rückläufig ist. Mit anderen Worten: Mehr Menschen verbleiben kinderlos oder verbleiben es länger.

Dies deckt sich mit einer anderen Studie, auf die der Rockwool-Fonds verweist. 9 Prozent der heute 21 bis 25 Jahre alten Frauen geben an, dass Null für sie die optimale Zahl an Kindern ist. Bei denen, die zehn Jahre älter sind, sind es nur halb so viele.

Immer mehr Frauen entscheiden sich also gegen Kinder und bekommen daher auch keine – manchmal sind die einfachsten Erklärungen eben auch die richtigen. Ich schätze mal, dass Løkkes Aufforderung zum Kinderzeugen bei diesen Frauen so schlecht ankommt, wie sie wirkungslos ist.

Klima und Ressourcen

Und so ganz nebenbei: Dem Klima tut die sinkende Geburtenrate auch gut. Denn jedes Mitglied des Stammes der Danen verbraucht mehr Ressourcen als die meisten anderen Stämme. Würden alle so leben wie wir, bräuchten wir vier Erden. Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns von dieser Verschwendung werden verabschieden müssen, würde die Erde – könnte sie sprechen – wohl kaum sagen, dass sie sich ausgerechnet mehr Danen wünscht.

Genug Zeit für Reformen

Aber wer soll mir denn das Essen bringen, den Po abwischen und mich ins Bett legen, wenn ich das alles nicht mehr kann? So lautet häufig die Argumentation der Mehrkinderzeugen-Auffordernden.

Wenn wir noch einmal einen Blick in die Rockwool-Studie werfen, haben die beiden Autoren uns da Beruhigendes zu sagen. Trotz der sinkenden Fertilität steigt die Bevölkerungszahl nämlich aufgrund von Zuwanderung und höherer Lebenserwartung weiter an. Allerdings gibt es dadurch auch immer mehr ältere Danen und immer weniger jüngere.

Doch „demografische Verschiebungen geschehen langsam, und die Konsequenzen kann man häufig mehrere Generationen vorher am Horizont erkennen. Da bleibt ausreichend Zeit, um Reformen zu überlegen, sollte der Geburtenunterschuss permanent sein“.

Soziale Schieflage?

In einem Punkt gibt die Studie jedoch Anlass zu Sorgenfalten: Die Geburtenrate geht insbesondere unter Menschen mit niedrigem Einkommen zurück. Während Menschen mit einer weiterführenden Ausbildung jetzt wieder fast genau so viele Kinder bekommen, wie vor der Finanzkrise 2008, ist das für Menschen mit nur Grundschulabschluss nicht der Fall. Hier sinkt die Fertilität weiterhin.

Es ist also durchaus denkbar, dass sie sich aus finanziellen Nöten gegen Kinder entscheiden. Ob das tatsächlich so ist, geht aus der Studie nicht hervor. Sollte es so sein, ist eben nicht mehr eine freie Entscheidung. Dann ist ein politisches Problem, dass aber nicht durch irgendwelche Aufforderungen gelöst wird. 

Die Frage muss jedoch genauer untersucht werden, denn auch Frauen mit geringen Einkommen können sich ja aus freien Stücken gegen Kinder entscheiden.

„Immer noch genug Däninnen und Dänen“

Denn nur damit wird uns richtig verstehen: Ich plädiere hier nicht dafür, dass Menschen, die sich Kinder wünschen, keine bekommen sollen.

Alle sollen genau die Anzahl Kinder kriegen, die für sie richtig ist. Ganz egal, ob die Zahl nun Null oder Sechs lautet. Da sollen weder Løkke noch ich uns einmischen.

Lass mich zum Schluss noch einmal auf die Rockwool-Studie zurückkommen. Die Autoren erinnern in ihrer Schlussfolgerung daran, dass man sich in den 60er-Jahren über eine überfüllte Erde Sorgen machte. Jetzt machen wir uns Sorgen über einen leeren Planeten.

„Keiner weiß, worüber die nächste Generation sich Sorgen machen wird, aber es wird immer noch genug Däninnen und Dänen geben, die das mitbekommen werden.“

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