Leitartikel

„Zum Tode von Günter Weitling – Seelsorger und Seele“

Zum Tode von Günter Weitling – Seelsorger und Seele

Zum Tode von Günter Weitling – Seelsorger und Seele

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Günter Weitling
Günter Weitling (Archiv) Foto: Der Nordschleswiger

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Günter Weitling ist gestorben. Der frühere Chefredakteur Siegfried Matlok würdigt den Verstorbenen und dessen Verdienste um die deutsche Minderheit. Weitling war Seelsorger, aber auch Seele für die Identität als Geschichts-Minderheit.

Im Alter von 89 Jahren ist nach längerem Leiden Pastor emeritus, Dr. theol. Günter Weitling, verstorben. In der Geschichte der deutschen Volksgruppe haben Pastoren eine führende Rolle gespielt – auch jenseits ihrer kirchlichen Seelsorge. 

Beginnend mit Pastor Schmidt-Wodder 1920 und mit den Pastoren Beuck, Prahl und Braren beim demokratischen Wiederaufbau 1945 haben sie sich in das Geschichtsbuch der deutschen Minderheit eingetragen, ja selbst Geschichte gestaltet, geschrieben. 

Zu denen, die auch historische Spuren hinterlassen haben, gehört zweifelsohne der Kirchenmann Weitling, der in der ewigen Diskussion über die Identität der deutschen Nordschleswigerinnen und Nordschleswiger die deutsche Volksgruppe als eine „Geschichts-Minderheit“ definierte. Ausgehend vom englischen Historiker Toynbee, den er mit den Worten zitierte: „Geschichte ist die geistige Form, in der sich ein Volk über seine Vergangenheit Rechenschaft gibt, um seine Zukunft zu gewinnen.“ 

Der aus Hadersleben stammende Weitling, der in Deutschland und Dänemark Theologie und Orientalistik studiert hatte, war ein geistiger Grenzland-Pendler – aber mit Haltung, mit dem klaren Bekenntnis als „hjemmetysker“. 

Von 1963 bis 1965 war er deutscher Pastor in Sonderburg im Rahmen der dänischen Volkskirche, eine Regelung, die nach 1945 beibehalten wurde – neben den deutschen Pfarrstellen der Nordschleswigschen Gemeinde, ein (auch) in seiner Zeit nie unproblematisches Verhältnis. Für fünf Jahre wechselte er dann zur „Højvangskirke“ auf Amager nach Kopenhagen, von 1970 bis 1987 war er als Oberstudienrat am dänischen Gymnasium in Sonderburg tätig und schließlich von 1987 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2000 wieder deutscher Pastor in Sonderburg. 

Günter Weitling
Günter Weitling bei einer Veranstaltung in Nordschleswig Foto: Der Nordschleswiger

Der aus Hadersleben stammende Weitling, der in Deutschland und Dänemark Theologie und Orientalistik studiert hatte, war ein geistiger Grenzland-Pendler – aber mit Haltung, mit dem klaren Bekenntnis als „hjemmetysker“. 

Siegfried Matlok

1964 hatte er die Ehre, im Gedenkgottesdienst in der Sonderburger Marienkirche anlässlich des 100. Jahrestages von Düppel auf Deutsch zu predigen – mit dem eindringlichen Appell, als Christen für den Frieden einzutreten. Er erinnerte dabei an zwei Missionare, die vor 100 Jahren in preußische Gefangenschaft gerieten. Als sie vom preußischen General gefragt wurden, was sie getan hätten, antworteten sie ihm, dass sie Missionare seien. Daraufhin antwortete der General: Ja, dann sind wir Brüder. 

Weitling war in diesem Sinne auch Missionar, was er als Kirchenhistoriker nachdrücklich demonstrierte. Seine wissenschaftlichen Arbeiten fanden sowohl auf deutscher als auch auf dänischer Seite großes Lob, besonders 1998: „Die Geschichte der Kirche im indischen Ost-Jeypore 1924-1964. Beziehungen der Breklumer Mission zu Nordschleswig und Dänemark.“ 

Sein Herz schlug aber für Nordschleswig, wo er frühzeitig enge persönliche Beziehungen zur dänischen Historikerin Inge Adriansen pflegte, die ihn auch bei seiner Gründung des deutschen Museums in Sonderburg unterstützte, damals allein sein Werk – unterstützt von treuen ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Von 1986 bis 2001 war er dafür nebenberuflich verantwortlich und pflanzte hier einen für die Volksgruppe keimenden Baum. 

Immer wieder beschäftigte er sich mit Identitätsfragen, und für die heimdeutsche Identität war nach seiner Meinung vor allem die „Zweiströmigkeit“ definierend, weil sie das Wesen des Grenzlandes manifestiert und weil sie den Heimdeutschen geprägt hat. 

Große Anerkennung auf deutscher und dänischer Seite sind Beweis genug dafür, wie bedeutsam das Wirken des Günter Weitling gewesen ist. Als Seelsorger, aber auch als Seele der deutschen Volksgruppe.

Siegfried Matlok

Auch hinter den Kulissen hat sich Günter Weitling große Verdienste erworben – auch minderheitenpolitisch, obwohl er seine Mitwirkung an manchen Entscheidungen nicht als politisches Handeln verstanden wissen wollte. Gemeinsam mit Generalsekretär Peter Iver Johannsen habe ich miterleben dürfen, wie er wichtige Passagen der Rede formulierte, die der BDN-Hauptvorsitzende Gerhard Schmidt beim Besuch von Königin Margrethe 1986 in Tingleff hielt. 

Und besonders wertvoll war sein Beitrag in einer minderheitenpolitisch heiklen Diskussion, ausgelöst im BDN-Hauptvorstand, als von führender Seite eine offizielle Rehabilitierung der Kriegsfreiwilligen durch die dänische Regierung gefordert wurde. Um eine öffentliche „Explosion“ in dieser Frage zu vermeiden, bat Generalsekretär Johannsen vertraulich den Ruheständler Weitling in Pattburg um Rat und Tat. Im Februar 2004 legte er ein Gutachten („zum internen Gebrauch für den Hauptvorstand“) vor und widersetzte sich so dem Versuch, einen Mythos zu pflegen. Große Anerkennung auf deutscher und dänischer Seite sind Beweis genug dafür, wie bedeutsam das Wirken des Günter Weitling gewesen ist. Als Seelsorger, aber auch als Seele der deutschen Volksgruppe.

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