Diese Woche In Kopenhagen

„Die unaufgeregte Diskussion über den historischen Beschluss zur Abtreibung“

Die unaufgeregte Diskussion über den historischen Beschluss zur Abtreibung

Die unaufgeregte Diskussion über die Abtreibung

Kopenhagen
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Die Grenze für einen Schwangerschaftsabbruch wird von der 12. auf die 18. Woche angehoben. Doch mindestens genauso wichtig ist, dass auch junge Frauen unter 18 sich künftig ohne Einmischung für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden können, meint Walter Turnowsky. Im Gegensatz zu Deutschland schlägt die Abtreibungsdebatte in Dänemark keine hohen Wellen.

„Historisch.“ Das ist ein Wort, das man nicht fahrlässig durch die Gegend schleudern sollte – was dennoch Politikerinnen und Politiker nur allzu häufig tun.

Darüber wurde auch die Justizsprecherin der Einheitsliste, Rosa Lund, belehrt, als sie am Donnerstagabend die politische Absprache vom Freitagmorgen mit genau diesem Wort auf „X“ ankündigte – ohne zu verraten, worum es ging.

Nachdem bekannt wurde, dass es darum geht, dass ein Schwangerschaftsabbruch künftig selbstbestimmt bis zur 18. Woche stattfinden kann, sind die meisten – zu denen sich auch der Autor dieser Zeilen zählt – geneigt, Lund recht zu geben. Ausnahmsweise ist der Ausdruck „historisch“ korrekt eingesetzt.

Dänemark als Vorreiter

Schließlich ist es die erste wesentliche Änderung im Abtreibungsrecht seit mehr als 50 Jahren. Dabei war Dänemark ganz vorn mit dabei, als man 1973 den Schwangerschaftsabbruch legalisierte. Schweden entschied sich 1975 dafür, Frankreich 1974 und Norwegen 1978.

Und Deutschland? Tjah, Deutschland. Dort gibt es im Gegensatz zu Dänemark bis heute kein „Gesetz zum Zugang mit dem Schwangerschaftsabbruch“ (Lov om adgang til svangerskabsafbrydelse). Der Schwangerschaftsabbruch ist weiterhin rechtswidrig, in den ersten zwölf Wochen jedoch straffrei. 

Doch so weit Dänemark 1973 auch vorn lag, war das bezogen auf die Frist 2023 nicht mehr der Fall. So kann eine Frau zum Beispiel in Belgien, Spanien oder Rumänien laut „Altinget“ bis zur 14. Woche eine Abtreibung vornehmen lassen. In Schweden ist der Abort von Beginn an bis zur 18. Woche zugelassen. In Island bis zur 22. und in den Niederlanden und Großbritannien bis zur 24 Woche. 

50 Jahre Stillstand

Es waren die rechtsliberale Partei Venstre und die Linksaußenpartei Einheitsliste, die vor ein paar Jahren die Diskussion anstießen, ob die 12-Wochen-Frist noch zeitgemäß ist. Im vergangenen Jahr kam eine Mehrheit des Ethischen Rates dann mit seiner Empfehlung: Die Frist soll bei der 18. Woche liegen. 

Zentrales Argument: Das Ergebnis der Nackentransparenzmessung liegt typisch in den Schwangerschaftswochen 13 bis 15. Mit der 18-Wochen-Frist hat die Frau noch Zeit zu entscheiden, ob sie das Kind zur Welt bringen möchte oder nicht. Andererseits ist auch noch Spielraum bis zu dem Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des Embryos, der in der 22. Woche liegt. Ab diesem Moment wird es übrigens in der dänischen Gesetzgebung als ein Kind bezeichnet. 

Unaufgeregte Debatte

Nicht alle stimmen diesen Argumenten zu: Die bürgerliche Opposition möchte die bisherigen Regeln beibehalten; die Einheitsliste wollte 22 Wochen, hat aber letztlich der Absprache zugestimmt. Auffällig ist – im Vergleich zu anderen Ländern wie Deutschland –, wie weitgehend unaufgeregt die Diskussion geführt wurde. Große Wellen hat sie nicht geschlagen. 

Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, dass allen klar ist, dass die Schwangerschaftsabbrüche nach der 12. Woche so und so vorgenommen werden. Nur bedarf es nach geltendem Recht dafür eine Genehmigung durch einen Abtreibungsrat, die bei einer Behinderung des Fötus meist erteilt wird. Das Gesundheitsministerium erwartet nicht, dass die Anzahl der späten Schwangerschaftsabbrüche steigen wird. Der Unterschied ist also, dass die Frauen und ihre Partner jetzt in Ruhe selbst ihre Entscheidung treffen können und sich nicht mehr dieser Prozedur unterziehen müssen. 

Minderjährige entscheiden selbst

Die Unaufgeregtheit in der Debatte gilt in noch höherem Maß für eine weitere Änderung, die mindestens so entscheidend ist wie die Frist. Auch junge Frauen zwischen 15 und 18 Jahren können sich zukünftig frei für eine Abtreibung entscheiden. Weg ist die Forderung nach dem Einvernehmen der Eltern, und weg ist jene nach der Genehmigung durch den Abtreibungsrat.  

Hier wird der Unterschied zu Deutschland noch einmal besonders deutlich. Dort müssen sich nicht nur Minderjährige, sondern alle Frauen vor einem Abbruch einer „Schwangerschaftskonfliktberatung“ unterziehen. Laut Gesetz „wird erwartet, dass die schwangere Frau der sie beratenden Person die Gründe mitteilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt“. 

Abtreibung ist kein Gewinnerthema

Die Regeln in Deutschland sind zwar die Konsequenz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1975, aber auch die politischen Gegensätze sind in dieser Frage größer. Die Abstimmung zur Fristenlösung (die vom Verfassungsgericht gekippt wurde) fiel 1974 im Bundestag mit 247 zu 233 Stimmen sehr knapp aus. 

Im Folketing stimmten 1973 95 Angeordnete für das Recht auf freie Abtreibung und nur 56 dagegen. Als Reaktion auf die Abtreibungsdebatte und die Freigabe der Bilderpornografie gründete sich die Christliche Volkspartei. Sie schafften gerade mal 4 Prozent der Stimmen und sind, bis sie aus dem Folketing flogen, nie über 5 Prozent gekommen.

Seither ist allen Politikerinnen und Politikern in Dänemark klar, dass mit einer restriktiven Politik zum Schwangerschaftsabbruch kein Blumentopf und schon gar keine Wahl zu gewinnen ist. Und daher wird keine Partei auf den Gedanken kommen, eine solche Politik zu einer Kernfrage zu erklären.

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