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EM 92 – zwischen Jubel und Trauer

EM 92 – zwischen Jubel und Trauer

EM 92 – zwischen Jubel und Trauer

DN
Apenrade/Aabenraa
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John Faxe Jensen
John Faxe Jensen schoss in Göteborg das 1:0 gegen Deutschland. Foto: Scanpix

Vor der „EM-Revanche“ zwischen Deutschland und Dänemark am Dienstag: Wir haben Angehörige der deutschen Minderheit gefragt, wie sie das EM-Finale 1992 erlebt haben.

Vor der „EM-Revanche“ zwischen Deutschland und Dänemark am Dienstag: Wir haben Angehörige der deutschen Minderheit gefragt, wie sie das EM-Finale 1992 erlebt haben.

Es ist eine dieser Ereignisse, über die man nicht lange nachdenken muss. Man weiß ganz genau, wo man war, mit wem, und auch die Gefühlslage ist heute noch nachzuvollziehen: das Finale um die Europameisterschaft 1992 in Göteborg zwischen Dänemark und Deutschland.
Der 26. Juni ist auch heute noch in Dänemark so etwas wie ein nationaler Feiertag, und natürlich wird der 25. Jahrestag des dänischen EM-Sieges, des einzigen nennenswerten dänischen Fußballerfolges der Geschichte, auch gebührend gefeiert. Zunächst mit einem Länderspiel am Dienstag in Kopenhagen zwischen Dänemark und Deutschland – die späte EM-Revanche.

Auch für Minderheitenangehörigen in Nordschleswig ist das EM-Finale immer noch etwas Besonderes, da viele Fußballfans sozusagen ein Bein in jedem Lager haben. Es ist keineswegs so, dass alle in der deutschen Volksgruppe Deutschland die Daumen gedrückt haben, wie eine kleine Umfrage zeigt. Wir haben Fußballinteressierte aus der Minderheit gefragt:  Wie hast du das EM-Finale 1992 erlebt? Und dazu auch noch einen Tipp für das Spiel am Dienstag.
 
Gwyn Nissen, Chefredakteur des Nordschleswigers:
Ich weiß selber noch ganz genau, dass wir in Tingleff gemeinsam mit zwei anderen Pärchen das Spiel gesehen haben. Wir haben über den dänischen Sieg gejubelt – und mit den deutschen Verlierern gefühlt. Komisch war aber der  Spaziergang durch Tingleff nach dem Spiel. Alle Dänen im Ort sahen uns triumphierend an – für sie waren wir ja die Deutschen. In diesem Augenblick war es schwer, die gleiche Freude aufzubringen: Man hätte  es uns nicht abgenommen. Mein Tipp Dienstag: 1:1.

Uwe Jessen, Generalsekretär des BDN: Ich war damals Student und hatte Semesterferien, in denen ich auf Röm in einem Hotel bzw. auf einem Campingplatz gearbeitet habe. Ich hatte die Tage vorher viel gearbeitet, und da alle Kollegen ohnehin für Dänemark und ich für Deutschland waren, habe ich das Spiel alleine im Sommerhaus meiner Eltern gesehen. Begeistert über das Ergebnis war ich nicht, aber die dänische Mannschaft hat absolut verdient gewonnen. Am nächsten Tag am Empfang auf dem Campingplatz war es sehr erstaunlich und erfreulich zu sehen, wie alle anreisenden deutschen Camper  gute Verlierer waren, Dänemark beglückwünschten und sich eigentlich freuten, dass Dänemark und nicht Deutschland gewonnen hatte.
 Mein Tipp: 1:3.

Auf dem Rathausplatz in Kopenhagen war die Hölle los. Foto: Scanpix

Harro Hallmann, Kommunikationschef des BDN: Ich wohnte damals in Frederiksberg und sah das Spiel bei einem Freund, der auch deutscher Nordschleswiger ist. Unsere Frauen waren Däninnen, aber wir waren alle gar nicht im Zweifel, dass wir natürlich die dänische Nationalmannschaft unterstützen. Nach dem Sieg fuhren wir auf dem Fahrrad zum Rathausplatz, wo wilder gefeiert wurde als zu Silvester – alle lagen sich in den Armen und grölten. Mein Tipp: 2:0.

Uffe Iwersen, Kulturkonsulent des BDN: Im Juni 1992 war ich mit der Nordschleswig-Auswahlmannschaft beim Handballturnier Horslunde Legene auf Lolland. Am vorletzten Abend fand das Finale zwischen Deutschland und Dänemark in Göteborg statt, und es wurde in der großen Handballhalle in Horslunde, die während des Outdoorturniers zum Speisesaal umfunktioniert wurde, auf Großleinwand gezeigt. Beim Turnier waren auch viele deutsche Mannschaften am Start, sodass in der Halle eine gefühlte 50:50-Verteilung zwischen deutschen und dänischen Anhängern war. Die meisten unserer Mannschaft waren von Anpfiff an für Dänemark. Ich war unentschlossen, entschied mich dann aber für Deutschland, weil mich die WM 1990 in Italien begeistert hatte. Als Minderheitler ist man ja oft hin- und hergerissen, und die 1:0-Führung Dänemarks zur Halbzeit riss mich auf die rot-weiße Seite, sodass ich die zweiten 45 Minuten für Dänemark schrie, am Ende jubelte und mich über die enttäuschten deutschen Fans lustig machen konnte. Es wurde eine wilde Siegesfeier mit Jolly Cola und Chips. Am Folgetag gewann außerdem unsere Nordschleswigauswahl das Handballturnier im Finale gegen ein dänisches Team. Nordschleswig, Nordschleswig, nichts ist vorbei.

Mary Tarp, Kirchenvorsitzende: Während Helmuht und ich damals der Meinung waren, dass wir bei diesem Spiel nur gewinnen können, fragten unsere Kinder, ob sie für Dänemark die Daumen drücken dürfen.Nachdem Dänemark gewonnen hatte, hingen Carina und Meike ein weißes Bettlaken mit dem Ergebnis an die Veranda, gut sichtbar zur Straße. Unser Nachbar gegenüber war entsetzt, wusste er doch, dass wir zur Minderheit gehören. Die Erklärung, dass wir uns natürlich über deren Sieg freuen, fand er gut.

Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des BDN: Vor 25 Jahren waren meine Familie und ich in einem Ferienhaus in Steinbergkirche. Für uns war es ganz klar, dass wir uns das Spiel ansehen würden.  Wir hatten uns mit Chips, Bier und Limonade versorgt. Plötzlich klopfte es an unsere Tür. Es war der damalige Pastor aus Tingleff, Tom Pralow. Er fragte, ob er bei uns Fußball sehen durfte, denn seine Frau würde gerne einen anderen Film sehen. Dass durfte er natürlich. Beim Spiel Deutschland gegen Dänemark konnte ich als Angehöriger der deutschen Minderheit ja nur gewinnen. Er als deutscher Staatsbürger war nach dem Spiel nicht so begeistert. Am nächsten Tag, als wir nach Hause fahren sollten, wollte sein Auto nicht anspringen, und er dachte schon an nächtliche Sabotage, weil er ein dänisches Kennzeichen hatte. Es zeigte sich aber, dass die Batterie leer war. Als wir zur Grenze in Krusau  kamen, konnten wir sehen, wie die Dänen an der Grenze gefeiert hatten. Ich glaube, man hat einen ganzen Tag gebraucht, um den ganzen Müll wegzuräumen.

Siegfried Matlok, Journalist und politischer Kommentator: Dass Deutschland in Kopenhagen zum „Jubiläum“ nur mit einer B-Mannschaft antritt, zeigt, dass die Niederlage von Göteborg – so schmerzlich sie einst war – inzwischen in Deutschland fast völlig vergessen ist.

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