Lesung

Ein Abend mit Anspruch

Ein Abend mit Anspruch

Ein Abend mit Anspruch

Lina Dingler
Apenrade/Aabenraa
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Mit einem schwingenden Zeigefinger unterstrich Feridun Zaimoglu jedes seiner Worte. Foto: Lina Dingler

Autor Feridun Zaimoglu entführte die gespannten Zuhörer mit einer Leseprobe aus seinem neuen Roman „Evangelio" auf die Wartburg in das Jahr 1521. Dort erzählt er aus Sicht des fiktiven Charakters Landsknecht Burkhard von der Begegnung mit Luther.

Autor Feridun Zaimoglu entführte die gespannten Zuhörer mit einer Leseprobe aus seinem neuen Roman „Evangelio" auf die Wartburg in das Jahr 1521. Dort erzählt er aus Sicht des fiktiven Charakters Landsknecht Burkhard von der Begegnung mit Luther.

„Sie müssen jetzt ganz tapfer sein.“ Mit diesen Worten bereitete der Autor Feridun Zaimoglu sein Publikum auf die 30-minütige Leseprobe vor. Denn – sein neuester Roman mit dem Titel „Evangelio“ ist nichts für schwache Gemüter. Hauptspielort dieses Werkes ist die Wartburg im Jahr 1521.  Der Ort, an dem Luther das Neue Testament binnen 10 Wochen ins Deutsche übersetzte.

Ein weiteres Buch, das sich in die lange Riege der Reformationsjubiläums-Literatur einreiht? „Reiner Zufall“, versichert Zaimoglu, der nicht zum ersten Mal in der Zentralbücherei in Apenrade zu Gast war. 
Der Roman beleuchtet eine ganz bedeutende Episode im Leben Luthers. Ich-Erzähler ist der streng katholische Landsknecht Burkhard, der Martin Luther während seiner einjährigen Schutzhaft zur Seite gestellt wird.

Die Grausamkeit und Düsterkeit des 16. Jahrhunderts

Zaimoglus Leseproben lassen tief in die Gedankengänge der fiktiven Figur blicken. Zwischen   Verachtung und Unverständnis, die er gegenüber dem angehenden Reformator verspürt und andererseits großer Sorgfaltspflicht, ihn vor allen äußeren Gefahren zu schützen, bewegen sich die Zeilen. Gepaart werden diese Gedankenflüsse mit bissigen Dialogen zwischen dem für vogelfrei erklärten Verdolmetscher und dem ungeratenen Kaufmannssohn.

Zaimoglu schafft es durch seine Worte, die Grausamkeit und Düsterkeit des 16. Jahrhunderts wieder aufleben zu lassen. So kommt es, dass einem bei der abschließenden Exorzismusszene – trotz Schwüle, die sich am lauen Abend unter der Glaspyramide sammelte – ein kalter Schauer über den Rücken läuft.

Anspruchsvolle Sprache

Das Buch verlangt viel von dem Leser und ist als Bettlektüre nicht jedem zu empfehlen. „Evangelio bedeutet Arbeit und kann nicht – wie andere Romane etwa – einfach konsumiert werden“, fasst es Claudia Knauer, Direktorin der Zentralbücherei, treffend zusammen. 

Schuld daran ist die Sprache, die Zaimoglu auf den 352 Seiten verwendet. Angelehnt an das Luther-Deutsch erfindet der Wahl-Kieler eine Kunstsprache, in die sich das Publikum erst einmal hineinhören muss. Dies funktioniert erstaunlich schnell, erfordert jedoch hohe Konzentration durch den eigenwilligen Erzählstil des Dramatikers. 

Zaimoglu könne es verstehen, wenn der ein oder andere Besucher die Lesung nach der ersten Hälfte verließe. Umso mehr überraschte es den Autor, als sich im zweiten Teil alle Plätze wieder füllen. Zu groß war das Interesse daran, wie sich Zaimoglu auf dieses sprachgewaltige Werk vorbereitete.

Konzentrierte Gesichter während der Lesung. Foto: Lina Dingler

38 Jahre Vorbereitung

„Seit nunmehr 38 Jahren“, antwortet der 52-Jährige. Als Jugendlicher nahm er sich der lutherschen Übersetzung der Bibel an. Seither habe er sich dem Werk dutzende Male gewidmet, las die überlieferten Tischgespräche und übernachtete auf Burgen. „Mit einem Mal verinnerlichte ich die Sprache und brachte sie aufs Papier.“ Genauer gesagt durch eine elektronischen Schreibmaschine.  Auch die innere Zerrissenheit Luthers, der im ständigen Kampf mit seinem Ich und dem Teufel ist, kommt in „Evangelio“ deutlich zur Sprache. Feridun wolle die Zeit auf der Wartburg – anders als andere Autoren – auf keinen Fall heroisieren.

Das Publikum ist sich in seiner Uneinigkeit einig. Von Stimmen wie „dieses Werk ist ein archaisch-sprachliches Kunstwerk“ bis „es ist schwierig der Handlung zu folgen“  war alles dabei. Am Ende war die Lesung vor allem eins: ein Abend mit Anspruch.

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