Leitartikel

Machtspiele statt Demokratie

Machtspiele statt Demokratie

Machtspiele statt Demokratie

Apenrade/Aabenraa
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Mette Frederiksen
Alles nur Show? Mette Frederiksen bei einem Auftritt im Cirkusbygningen in Kopenhagen am 22. Mai. Foto: Scanpix

Wie glaubwürdig ist die Parteiendemokratie, wenn sich die Parteien organisieren wie Unternehmen, die die „Ware Politik“ verkaufen? Cornelius von Tiedemann stellt mit Besorgnis fest, dass der Raum für Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Folketingsfraktionen immer enger wird. Die lebendige dänische Demokratie solle doch bitte nicht zu reinem Theater verkommen, meint er.

Die großen Parteien, allen voran Venstre und die Sozialdemokraten, werden heute wie Unternehmen geführt. Es gibt eine Unternehmensphilosophie, an die sich gehalten wird. Wer öffentlich an diesen engen, bis in den Einzelfall in der Parteiführung festgelegten Grenzen rüttelt, wird kaltgestellt. Ehemalige „Spindoktoren“ und Parteifunktionäre berichten freizügig davon, dass sie in den Parteizentralen mehr Macht besaßen als so mancher Minister und schon gar als „einfache“ Abgeordnete – die im Gegensatz zu ihnen vom Volk gewählt wurden.

Politiker, die sich gegen den Masterplan, der in den kleinen Führungsklubs der Parteien ausgeheckt wird, sträuben, können sich mit einem Dasein in der zweiten Reihe anfreunden. Als Volksvertreter nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden und sich auch mal gegen den Fraktionszwang zu stellen, das kann teuer werden.

Wie gut das funktioniert, sehen wir bei den Sozialdemokraten. Deren Vorsitzende heißt seit 2015 Mette Frederiksen. Der Mann dahinter ist  der „Spindoktor“ Martin Rossen. Er hält mit seinem Team die Zügel bei der ehemaligen Arbeiterpartei in der Hand. Dass sich die Partei immer weiter nach rechts orientiert und es kaum Widerspruch dagegen gibt, das liegt auch an Rossen. Denn der berät nicht nur Frederiksen, auch der rote Rechtsausleger Henrik Sass Larsen ist sein enger Freund und Kunde.

Wer bei der Linie des Rossen-Trios mitzieht, der wird belohnt. Trine Bramsen zum Beispiel macht sich als rechtspolitische Sprecherin der Partei immer wieder mit DF-artigen Forderungen nach mehr Schärfe bei der Parteiführung beliebt – und wird dafür unter anderem mit viel Medienpräsenz belohnt. Nicolai Wammen, ehemaliger Verteidigungsminister und ebenfalls ein Freund Rossens, fällt in jüngster Zeit mit ungewohnten Hardliner-Äußerungen auf – während er als Aarhus-Bürgermeister und im Kabinett Thorning noch als moderater Nice-Guy galt. Doch von Querschlägerinnen wie Mette Gjerskov, den Landwirten noch aus ihrer Zeit als Nahrungsmittelministerin mehr oder weniger gut erinnerlich, hören wir so gut wie gar nichts mehr, seit sie sich in Frederiksens Anfangszeit kritisch zum Rechtsruck der Partei geäußert hat.

Partei- und Fraktionsdisziplin, sie gab es schon immer. Doch heute drohen Dänemarks Parteien, sich in undemokratisch strukturierte Machtfabriken zu verwandeln, die austauschbare Politiker produzieren, deren Arbeit darin besteht, das „Produkt Sozialdemokratie“ oder das „Produkt Venstre“ zu verkaufen – anstatt jeder für sich und alle zusammen für die Sache einzutreten, von der sie glauben, dass sie Dänemark und die Welt zu besseren Orten macht.
Die Bevölkerung spürt, dass ihr von einigen Politikern Theater vorgespielt wird, dass sie als „Stimmvieh“ herhalten soll. Dass auch aus Protest dagegen ausgerechnet eine strikt führungsgesteuerte Partei wie DF großen Zulauf findet, ist politische Ironie.  

Dänemark ist  und bleibt trotz allem eine stabile und lebendige Demokratie. Doch ganz langsam driftet die Gesellschaft auseinander – verlieren die Menschen Vertrauen in die Politik und ineinander. Mit der abgekarteten Art, wie derzeit Parteipolitik gemacht wird, wird dies leider nur beschleunigt.

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