Leitartikel

Das Jammern der Profiteure

Das Jammern der Profiteure

Das Jammern der Profiteure

Apenrade/Aabenraa
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Foto: dpa

Die EU-Kommission hat ihre Haushaltspläne vorgestellt und will, als eine Folge des Brexits, die Rabatte für Dänemark streichen - und schon wird protestiert. Cornelius von Tiedemann rechnet einmal vor, wie das Königreich von der EU profitiert.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat es schon vor einigen Jahren auf Cent und Öre ausgerechnet: Die beiden größten Profiteure des EU-Binnenmarktes sind Deutschland – und an erster Stelle Dänemark. Beide Volkswirtschaften boomen seit 1992, seit der Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht am 7. Februar. Jeder einzelne Däne hat in den Jahren 1992 bis 2014 demnach jährlich durch die gestiegene Wirtschaftsleistung, die der EU-Binnenmarkt ermöglicht, 500 Euro an Einkommen hinzugewonnen. Wer die Entwicklung seither verfolgt hat, wird feststellen, dass es aller Weltuntergangs-Panikmache seither noch viel weiter bergauf ging.

Erst vor einigen Tagen haben wir darüber berichtet, dass die dänischen Landwirte ebenfalls zu den großen Profiteuren der EU gehören. In den Jahren 2012 bis 2016 war es die Europäische Union, die sie über Wasser gehalten hat. Jeder einzelne der dänischen Landwirtschaftsbetriebe hat in diesem Zeitraum im Schnitt 2,3 Millionen Kronen EU-Zuschüsse bekommen. Das entspricht ziemlich genau dem Durchschnittsgewinn der dänischen Landwirtschaftsbetriebe.

Ohne diese Subventionen aus Brüssel würden noch mehr Landwirte als ohnehin schon ihre Existenz aufgeben müssen. Und mit ihren Betrieben würden weitere Arbeitsplätze verschwinden. Gut für sie, dass Landwirtschaftskommissar Phil Hogan unter anderem kürzlich beim LHN in Tondern versprach, die EU-Unterstützung künftig deutlich zu entbürokratisieren und die Handhabung und Ausgestaltung den Mitgliedsländern zu überlassen. So könnte, wenn Jakob Ellemann-Jensen gute Arbeit leistet, das EU-Geld den dänischen Landwirten und ihren Mitarbeitern noch viel effektiver unter die Arme greifen.

So oder so steht unter dem Strich ein riesiger Gewinn für Dänemark durch die EU-Mitgliedschaft, und das alleine rein finanziell. Auch in Nordschleswig sorgt die europäische Freizügigkeit dafür, dass große Unternehmen und Zugpferde wie Danfoss, Linak oder Danish Crown, aber auch mittelständische (Zulieferer-)Betriebe und selbst die Kommunen mit Mitarbeitern aus Deutschland und anderen Ländern unter Volldampf abliefern können. Von Interreg- und anderen Fördermaßnahmen zum Beispiel im Bildungsbereich ist dabei noch gar nicht die Rede. Dass nun nach dem Brexit die EU-Mitgliedschaft teurer wird als bisher, sollte Dänemark daher nicht groß stören. Denn ein riesiger Gewinn bleibt sie so oder so.

Dennoch hat Regierungschef Lars Løkke Rasmussen sogleich reflexhaft seinen Unmut markiert, als nun die Prognosen aus Brüssel für die kommenden Beiträge veröffentlicht wurden. Na klar – es wird um jede Öre gerungen werden  (die übrigens fest an den Cent bzw. den Euro gebunden ist und Dänemark somit eine wertvolle Währungs-Stabilität beschert, von der Wirtschaft und Bevölkerung profitieren). Und innenpolitisch macht es sich leider immer gut, meint Løkke offenbar, ein wenig gegen „die da“ in Brüssel zu stänkern.

Doch tatsächlich sind es lediglich Rabatte, die Dänemark, wie die anderen Super-Profiteure der EU, künftig nicht mehr erhalten wird. Dafür wird sich die Politik der „neuen“ EU ohne Großbritannien, das versprach Haushaltskommissar Oettinger, mehr in die Richtung bewegen, in die Dänemark ohnehin will – zum Beispiel mit verstärktem Fokus auf Grenzkontrollen und Migration. Die Länder, die viel EU-Subventionen beziehen, sollen enger an die Dampfmaschinen wie Dänemark herangeführt werden – was aber eben auch bedeuten muss, auf ehrlich betrachtet unfaire Vorteile durch die eigene Stärkeposition zu verzichten und nachhaltig Solidarität zu zeigen – um Europa global zu stärken.

Dass die dänische Regierung statt mehr zu zahlen lieber auf EU-Mittel für Regionalförderung verzichten will, gleicht dabei einem schlechten Witz der vermeintlich so am Ausgleich zwischen Stadt und Land interessierten Regierung. Das beklagt auch der Verband der Landdistrikte in Dänemark, der dadurch weiteren Wegzug und Arbeitsplatzverluste befürchtet – aller neuen Behördenjobs hier und da zum Trotz.

Also, nur über eine zu teure und bürokratische  EU zu jammern, anstatt auch die positiven Fakten zu sehen, dafür sollte sich so mancher Deutscher und so mancher Däne angesichts des Wohlstandes, den ihnen Europa schenkt, fast schon schämen. Die Ausgestaltung Europas muss umstritten, umkämpft bleiben. Doch dass an der Zusammenarbeit zum Vorteil aller und jedes Einzelnen kein Weg vorbeiführt, das sollte inzwischen eigentlich  auch der Letzte begriffen haben.

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