Leitartikel

Dankbar die Klappe halten

Dankbar die Klappe halten

Dankbar die Klappe halten

Peter Lassen
Peter Lassen Hauptredaktion
Kopenhagen
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Foto: Scanpix

Alle jammern im Gesundheitswesen: die Schwestern im Krankenhaus, die Ärzte ebenso, das kommunale Pflegepersonal, die Praxen. Das System wird mit immer neuen Milliarden gefüttert und gedeiht – und der Patient  muss offenbar damit leben, zahlen und auf gut Dänisch gesagt: dankbar sein und die Klappe halten, meint Peter Lassen.

Um es vorab ganz klar zu sagen: Der Bürger/Patient bezahlt über die Steuern für das Gros der Leistungen der Gesundheitsindustrie Dänemarks – und Tausende und Abertausende leben sehr gut davon; in den Praxen, in den Kommunen, in der Pharmaindustrie und natürlich in den privaten und öffentlichen Krankenhäusern. In Letzteren arbeiten laut Sundhedsdatastyrelsen  allein rund 120.000 – mit steigender Tendenz. Es gibt laut PLO-Ärzteverband knapp 3.500 praktizierende Ärzte in rund 1.900 Praxen mit leicht fallender Tendenz. Etc., etc.

Nein, es ist nicht Finanzminister Kristian Jensen, der allergnädigst aus seiner  Schatulle eine Milliarde zusätzlich für den Gesundheitsapparat  in den fünf Regionen  bewilligt. Und nein, es nicht nicht seine Venstrekollegin Stephanie Lose, die von ihrem Millionengehalt als doppelte Regionschefin Geld abzweigen muss, damit Frau Jensen in der medizinischen Abteilung im Apenrader Krankenhaus eine angemessene und würdige Pflege bekommen kann.

Wenn in Dänemark Gesundheitspolitik diskutiert wird, dreht es sich immer wieder und zentral ums Geld, das offenbar insbesondere bei diesem System so manchen Schmerz lindern kann.
Keine Frage, das Gesundheitspersonal steht hier und da unter extremen Druck. Das trifft dann auch immer wieder die Patienten direkt.

Den Druck etwas von den Krankenhäusern zu nehmen  – das ist einer der Gründe, weshalb die blaue Regierung Pläne hegt, noch mehr auszuflaggen an Kommunen und praktizierende Ärzte. Letztere sollen auch mehr zeitraubende Tests und Kontrollfunktionen übernehmen etc.

Das wird dem Bürger/Steuerzahler dadurch schmackhaft gemacht, dass man in gewohnter Umgebung daheim besser genesen und würdiger leben kann.

Mag sein, aber wenn die bisher vorangetriebene Industrialisierung der Behandlung nun verstärkt auf lokale Kräfte abgewälzt werden soll, müssen sich Jensen,  Lose und Genossen vorab absichern, dass das kommunale und privat praktizierende System auch in der Lage ist, diese Aufgaben auszuführen. Geld reicht da nicht aus, obwohl jede  Arztpraxis ja in gewisser Weise in erster Linie auch ein kleines Unternehmen ist, wo die Bilanz stimmen muss.

„Wir schieben einen ganzen Schwung von Patienten vor uns her. Die Ferien stehen an, und die Ärzte haben ja auch Anspruch auf Urlaub. Wir müssen immer mehr Aufgaben übernehmen. Es ist kaum mehr drin“, so der aktuelle Kommentar in einer Arztpraxis, nachdem der Patient moniert, dass er – Anfang Juni – nur einen  Vorferien-Termin bekommen kann, wenn es sehr, sehr  akut ist.

Alle jammern im Gesundheitswesen: die Schwestern im Krankenhaus, die Ärzte ebenso, das kommunale Pflegepersonal, die Praxen. Alle. Die Patienten kommen sich da vielfach  überflüssig und als reine Stressfaktoren vor. Und da soll dann noch mehr von oben nach unten geschoben werden?

„Ja, es reicht. Wir sehen auch das Problem der Patienten, die sich kaum geborgen fühlen können. Aber so ist das System eben“, so die teilweise einsichtige Antwort des Praxismitarbeiters m/w.
Man denkt unwillkürlich an den alten Spruch, dass das System für den Patienten da sein sollte – und nicht umgekehrt.

Das System wird mit immer neuen Milliarden gefüttert und gedeiht – und der Patient/Steuerzahler  muss offenbar damit (über)leben, zahlen und auf gut Dänisch gesagt: dankbar sein und die Klappe halten.
 

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