Flexicurity vs. Hartz IV

Warum scheiterte in Deutschland, was in Dänemark so erfolgreich läuft?

Warum scheiterte in Deutschland, was in Dänemark so erfolgreich läuft?

Warum scheiterte in Deutschland, was in Dänemark so erfolgreich läuft?

DN
Kopenhagen
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Mogens Lykketoft
Mogens Lykketoft im Gesprächszimmer des Folketings beim DK4-Interview mit Siegfried Matlok. Foto: DK4

Der frühere sozialdemokratische Finanzminister und Politikwissenschaftler Mogens Lykketoft zieht im DK4-Interview mit Siegfried Matlok einen Vergleich zwischen dänischer Flexicurity und Schröders Hartz-IV-Reform.

Viele Deutsche leiden noch unter den Hartz-IV-Reformen – auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz  in seinem Kampf um mehr Gerechtigkeit und um die Macht. In Dänemark war der Sozialdemokrat Mogens Lykketoft Finanzminister von Januar 1993 bis Dezember 2000. Er gilt als einer der Väter des weltweit anerkannten dänischen Begriffs Flexicurity. In einem Interview mit DK4 nennt Lykketoft die Gründe aus seiner Sicht dafür, warum die Reformen unter Kanzler Gerhard Schröder scheiterten und dann 2005 zum Sturz der damaligen SPD-Bundesregierung führten.

Lykketoft berichtet, dass er damals viele  Diskussionen mit seinen deutschen Genossen geführt habe und mehrfach zu Vorträgen über das dänische Modell nach Berlin eingeladen worden war. Vor allem in Gesprächen mit dem damaligen SPD-Finanzminister Hans Eichel hatte er versucht, die SPD von den dänischen Reformen auf dem Arbeitsmarkt zu überzeugen.

Die Kulturen in beiden Ländern sind ja unterschiedlich, „aber wir haben damals die Flexicurity reformiert, ohne mehr Ungleichheit zu schaffen und ohne Niedriglohn-Jobs  zu erzeugen“. „Das dänische Flexicurity-Modell war schon älter, aber wir haben es durch einen massiven öffentlichen Einsatz auf dem Arbeitsmarkt ergänzt  und gleichzeitig dafür gesorgt,  dass Tausende von  Arbeitnehmern, die ihren alten Job verloren hatten, nun bestens auf eine neue Beschäftigung vorbereitet wurden.

„Es wurden zwei grundlegende Fehler begangen“

Entgegen meinem Rat – und sage ja nicht, dass die Deutschen meinen Vorschlägen 1:1 folgen sollten – wurden nach meiner Ansicht zwei grundlegende Fehler begangen:  Kanzler Schröder wartete zu lange, sodass keiner mehr vor der Wahl die Vorteile seiner Reform erkennen konnte, und dann machte er es auch anders, als wir es gemacht und vorgeschlagen hatten.

Er schuf einen Niedriglohn-Sektor in Deutschland, den wir in  Dänemark nicht gekannt haben. Das soziale Profil, das durch die Reformen geschaffen wurde, machte auf jeden Fall den Sozialdemokraten das Leben schwerer“, so Lykketoft im Interview mit Siegfried Matlok.

Der frühere Außenminister und Folketingspräsident erinnert sich an ein Gespräch im Rahmen der 150-Jahrfeier auf Düppel mit dem damaligen schleswig.-holsteinischen SPD-Ministerpräsidenten Albig, der darauf hinwies, dass die letzte Koalitionsabsprache mit der CDU/CSU aus sozialdemokratischer Sicht viel besser sei als die erste und auch SPD-Erfolge gebracht habe.

Merkel sei jedoch nicht extrem bürgerlich, sondern habe sich in der  politischen Mitte platziert, dass selbst  diese SPD-Erfolge ihr zugutekommen, und dies macht die Sozialdemokraten zum kleinen Bruder  in der deutschen Regierung, lautete die Albig-Lykketoft-Analyse.

Merkels „rigoristische“ Südeuropa-Politik gefährlich für die Demokratie

Lykketoft übt in dem Interview aber auch Kritik an der „rigoristischen“  Berliner Haushaltspolitik – auch in der Euro-Frage im Hinblick auf die Probleme in Südeuropa, die sogar die Demokratie gefährden können.  Er erinnert an eine Aussage seines früheren deutschen Kollegen Joschka Fischer, der Merkel darauf hingewiesen hatte, dass es heute nicht um Inflation, sondern um Deflation geht. „Deflation ist aber Stagnation.“

Man solle, so Lykketoft, nicht an die Situation in den 20er Jahren denken, sondern an die Lage in den 30er Jahren, als der damalige Reichskanzler Brüning seine Sparpolitik führte.  
„Wir wissen, was sie uns damals gebracht hat. Das ist heute kein Risiko für Deutschland oder Dänemark, aber ich wünsche mir eine solidarische Politik in Europa und – ungeachtet wer künftig Kanzler sein wird – vor allem eine enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und dem französischen Präsidenten Macron, um die zu strengen Haushaltsregeln aufzulockern und um mehr Investitionen durchzuführen.“

Das Gespräch mit Mogens Lykketoft in voller Länge:

Die Sendung wird am 31. August 2017 um 17 Uhr auf DK4 ausgestrahlt. Weitere Folgen der DK4-Reihe sind hier zu sehen.

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