Neues Buch

„Uffe, du bist ganz schön frech“

„Uffe, du bist ganz schön frech“

„Uffe, du bist ganz schön frech“

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Berühmt wurde der rhetorisch stets schlagfertige Ellemann bei einem EU-Gipfel 1992 nach dem dänischen Nein zum Maastricht-Vertrag und dem dänischen 2:0-Sieg im EM-Endspiel gegen Deutschland in Göteborg durch den Fußballspruch „If you can’t join them, beat them.“ Bundeskanzler Helmut Kohl fand den dänischen Roligan gar nicht lustig. Foto: Archiv

Aus den jüngsten Erinnerungen von Uffe Ellemann-Jensen über sein Leben nach der Politik – und er kann es doch nicht lassen.

Uffe Ellemann-Jensen gilt ja hier im Lande als der beste Staatsminister, den Dänemark nie bekommen hat. Als Außenminister in der Zeit des Kalten Krieges, als die parlamentarische Opposition mit ihrer sogenannten Fußnoten-Politik  der Regierung Schlüter nicht nur innenpolitisch größte Schwierigkeiten bereitete, ist er unvergessen. Über diese Periode hat der ehemalige Journalist/Chefredakteur mehrfach selbst geschrieben und berichtet. Jetzt hat er im Verlag „Lindhardt og Ringhof“ sein neuestes Buch herausgegeben, das das klassische Jeppe-Aaakjær-Zitat „Som blad i høst“ als Titel trägt und sich – so die Verlagsankündigung – mit seinem „Leben nach der Politik“ beschäftigt.

Das ist natürlich allemal spannend, denn ein Vollblut-Politiker wie Uffe Ellemann kann sich nicht aufs Altenteil zurückziehen. Glücklicherweise, denn er trägt noch heute öffentlich dazu bei, dass die Perspektiven in der dänischen Politik, vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik,  über den  heimisch oft zu kleinen Tellerrand gehoben werden. Wobei er auch in seinem neuesten Buch nicht zu verstehen ist ohne seine Vergangenheit als Folketingsabgeordneter 1977-2001, Venstre-Vorsitzender 1984-1998, und als Außenminister von 1982-1993 und dem daraus erworbenen Riesenschatz an nationaler, vor allem  aber an internationaler Erfahrung.

Meist zitierter Politiker: Hans-Dietrich Genscher

Ein Beispiel für dieses enge Band zur Vergangenheit zeigt ein Blick in das Namenregister des Buches. Da zählt sein alter Freund, der frühere deutsche Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, zu den meist zitierten Politikern, während – oh Wunder – der Name Angela Merkel nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Was schon verwundern kann, wenn man beim Lesen die sorgenvollen Mienen im Uffe-Gesicht vor sich sieht, angesichts der Komplexität und Bedrohungen in der heutigen Politik. 
In Europa durch Brexit, aber auch durch den Wegfall der moralischen Führungsmacht  USA durch Donald Trump. Ist Merkel etwa für ihn schon gar  nicht mehr Teil jener Lösung, die er so händeringend sucht?

Unbestrittene Verdienste im Baltikum

Nehmen wir mal drei Abschnitte aus seinem Buch näher unter die Lupe.
1) Seine unbestrittenen Verdienste im Baltikum, wo nach der Unabhängigkeit von Estland, Litauen und Lettland seine „Vaterschaft“ Folgen hatte, da viele Kinder aus Dankbarkeit gegenüber dem dänischen Außenminister damals auf den Namen Uffe getauft wurden. Als im August 1991 die Sowjetunion zusammenbrach, erkannte Ellemann die historische Chance. Im  selben Jahr hatte Dänemark mit den baltischen Staaten  vereinbart, die diplomatischen Beziehungen so rasch wie möglich wieder aufzunehmen. Jene Beziehungen, die seit der dänischen Anerkennung ihrer Unabhängigkeit 1921 trotz sowjetischer Zwangsherrschaft nur „eingefroren“ waren. 

Annexion im Baltikum wurde nie anerkannt

Die Dänen hatten nämlich –  beispielsweise im Gegensatz zu den Schweden – die sowjetische Annexion im Baltikum nie anerkannt. Am 23. August nahm Dänemark die diplomatischen Beziehungen wieder auf, und am 24. August  rief ihn sein Freund, Genscher, während des Morgen-Frühstücks an und fragte, ob seine Informationen richtig seien, dass Dänemark  bereits die Aufnahme diplomatischen Beziehungen zu den baltischen Staaten durchgeführt habe. Ellemann korrigierte: Nur Wiederaufnahme, und Genscher antwortete darauf mit dem Hinweis, man habe doch vereinbart, dass man darüber noch einmal im Ministerrat sprechen solle. Ellemann: „Ja, ihr habt mich gebeten zu warten, aber das wollte ich nicht und deshalb habe ich euch dieses Erlebnis ersparen wollen.“ 

Baltische Außenminister in Kopenhagen

Genscher: „Du bist ganz schön frech. Das gibt bestimmt Ärger, aber ich werde dich schon unterstützen.“
Bewegend schildert Ellemann das Ende der Spezialoperation Uffe:  am 26. August eilten die Außenminister der drei baltischen Staaten nach Kopenhagen  und traf erst spät abends auf Schloss Fredensborg ein: Das königliche Tambourkorps spielte bei Vollmond „Nu kommer Jens med fanen“, Schlosshund „Balthazar“ bellt und ganz außerhalb jeden normalen Protokolls empfängt die Königin zu nächtlicher Stunde die freien Balten – beim estischen Außenminister Lennart Meri flossen die Tränen.

Wenige Tage später folgte auch Deutschland dem dänischen Beispiel, das Ellemann ohne vorheriges Mandat durch den Außenpolitischen Rat im Folketing und also auch ohne jede Abstimmung bei Nato und EU durchgesetzt hatte. Mag sein, dass er sich an Bundeskanzler Helmut Kohl orientierte, der ja seinen berühmten Zehn-Punkte-Plan zur deutschen Wiedervereinigung auch sozusagen im Alleingang beschlossen und veröffentlicht hatte.

Herzensangelegenheit: das Baltikum

Das Baltikum ist noch immer eine Herzensangelegenheit für Ellemann. Angesichts der russischen Übernahme der Krim und der russischen Einflussnahme auf die Ukraine, macht sich Ellemann spürbar große Sorgen vor den neo-zaristischen Ideen von Putin.
 In diesem Zusammenhang spielt in der Diskussion im Westen immer wieder die Behauptung eine Rolle, die Nato habe damals als Gegenleistung für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten den Russen versprochen, sich von ihren Grenzen fernzuhalten. Diese These wird besonders in Deutschland von sogenannten „Putin-Verstehern“ vertreten – von manchen Personen, die laut Ellemann „bestochen und bezahlt werden“.  Denkt er da an den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder und dessen Gazprom-Aktivitäten? Da macht es sich der gute Uffe doch wohl etwas zu leicht, wenn  er Putin-Versteher ganz allgemein als nützliche Idioten, als eine neue fünfte Kolonne verdächtigt. 

Wahr ist jedoch, dass es diese  angebliche Zusage der Nato an die Russen weder bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die deutsche Einheit an die Russen noch bei der (ersten) Osterweiterung der Allianz 1999 gegeben hat; 2004 folgten dann die drei baltischen Staaten.  

Überwindung deutscher und europäischer Teilung

Am Timmendorfer Strand, wo er 2015 Genscher in dessen Feriendomizil zum letzten Mal gesehen hat, fragte er seinen früheren deutschen Kollegen, und Genscher dementierte ganz entschieden mit den Worten: „Da ist nichts dran, und absolut nichts ist in dieser Richtung versprochen worden.“ 

2) Mit der Überwindung der deutschen und europäischen Teilung wurde eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa beschlossen. Ellemann macht den Russen den schweren Vorwurf, dass sie die damals gemeinsam getroffenen  Beschlüsse heute ignorieren – ja – nicht mehr wahrhaben wollen.  Daraus muss Dänemark Konsequenzen ziehen, auch im militärischen Bereich. Das heißt für ihn, es muss wieder mehr Geld für die Verteidigung ausgegeben werden, wobei sich die strategische Lage des Landes natürlich ganz entscheidend verändert hat. Dänemark ist kein Frontstaat mehr, die Außengrenzen der Nato müssen in den baltischen Staaten gesichert werden.  Kalt-Krieger Uffe (auf diese Bezeichnung ist er stolz!) mahnt, die Fehler der Geschichte nicht zu wiederholen. Ein neuer kalter Krieg hat begonnen, nach seiner Ansicht sogar gefährlicher als in der  Zeit von 1945-1990!   

3) Uffe Ellemann fordert (geistige) Führung in Europa und in der westlichen Welt, wobei er bei den USA nur auf die Nach-Trump-Ära zu setzen hofft, aber was geschieht bis dahin? Sein Plädoyer für Europa ist und war immer beeindruckend, jedenfalls – von wenigen Ausnahmen abgesehen – alles andere als typisch für Politiker im Königreich.

Vor allem der neue französische Präsident Emmanuel Macron scheint ihm jene Visionen zu bringen, die Europa weiter entwickeln könnten. Ob das realistisch ist, bleibt abzuwarten, aber sicher ist, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit  gerade in diesen Zeiten als „Achse“  eine dringende Re-Aktivierung braucht. Das hätte jedoch zur Folge, dass  Dänemarks Europa-Politik enorm unter Druck gerät. Die Antwort darauf, wer in diesem Land hoffentlich diese Gefahr, aber auch Chance zugleich erkennt, bleibt Ellemann in seinem Buch aber leider schuldig. 

Ohne Grenzkontrollen und Abschottung

Ellemann-Jensen sieht in  seinem Buch nicht nur neue Gefahren von außen, sondern auch von innen, DF ist wahrlich nicht sein Leibgericht!   Dass es viele Menschen auch im eigenen Lande gibt, die Angst haben und verwirrt sind angesichts der internationalen Entwicklung und nicht nur wegen der Flüchtlingssituation 2015, das versteht er durchaus, aber Nationalismus und Populismus sind für ihn der falsche Weg für Dänemark und Europa. „Wir brauchen eine politische Führung, die den Mut hat, den Bürgern zu erklären, weshalb eine Welt ohne Grenzkontrollen und Abschottung für uns alle von Vorteil ist“, lautet seine Botschaft. 
Ellemanns Welt ist idealistisch, aber ist sie 2017 innenpolitisch nicht doch wirklichkeitsfremd. Zwei seiner Kinder, die Ministerin Karen Ellemann und Venstres politischer Wortführer Jakob Ellemann,  müssen ja mit den politischen Mehrheitsverhältnissen auf Christiansborg leben und können nicht die scharfe rhetorische Waffe ihres Vaters einsetzen.
Die Antworten von gestern sind nicht die Antworten von morgen, dennoch hat Uffe
Ellemann-Jensen mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag geleistet, um aus den Lehren der Vergangenheit die richtigen Schlüsse für unsere Zukunft zu ziehen.  

„Som blad i høst“  wird nicht vom Winde verweht! 

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