Energiekrise

Gaspreisdeckel: Spagat zwischen Entlastung und Sparanreiz

Gaspreisdeckel: Spagat zwischen Entlastung und Sparanreiz

Gaspreisdeckel: Spagat zwischen Entlastung und Sparanreiz

dpa
Stuttgart
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Nur einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses brennt am frühen Morgen Licht. Die teils massiv gestiegenen Preise für Gas und Strom bereiten viele Menschen in Deutschland finanzielle Schwierigkeiten. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

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Verbraucher und Firmen sollen vom Staat wegen der sprunghaft gestiegenen Energiepreise mit sehr viel Geld gestützt werden. Aber wie lange eigentlich? Und kann es dabei gerecht zugehen?

Die von der Bundesregierung geplante Gaspreisbremse hat eine Debatte über ihre konkrete Umsetzung ausgelöst. Einer der Knackpunkte ist die Frage, wie trotz der milliardenschweren Entlastung Sparanreize bestehen bleiben können.

Nach Einschätzung der Bundesnetzagentur muss die Unterstützung für einen Zeitraum von fast zwei Jahren gelten. «Mindestens bis Sommer 2024 werden wir in irgendeiner Art von angespannten Situation sein», sagte Netzagentur-Präsident Klaus Müller in einem Podcast des baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz (Grüne). Der Gaspreisdeckel werde «mit Sicherheit» bis dahin gebraucht.

Die Mengen an russischem Gas, die ersetzt werden müssten, seien «riesengroß», sagte Müller. Es müssten zunächst die sechs Flüssiggas-Terminals und die Anbindung ins Hinterland gebaut werden, damit viel Gas aus Belgien, Frankreich und Norwegen nach Deutschland strömen könne. «Das braucht einfach Zeit.» Der Netzagentur-Chef empfahl der Regierung, jetzt schnell ein Modell für eine Gaspreisbremse vorzulegen. «Die Politik wird den Mut haben müssen, mindestens für diesen Winter 2022/2023 ein schnelles und einfach zu administrierendes Modell umzusetzen.»

Müller befürchtet, dass es viel Streit darum geben werde, wo man die Grenze für den Deckel einzieht. «Es wird eine bestimmte Pauschalierung geben müssen, die wird einen Hauch ungerecht sein.» Denn die Stadtwerke wüssten nun mal nicht, wie viele Menschen in einem Haushalt leben. Deswegen falle eine Berechnung pro Kopf schon mal weg. Es werde eine Lösung geben müssen, «wo vielleicht nicht alle Fragen der Einzelfallgerechtigkeit geregelt werden, sonst wird das so komplex, dass das niemand umsetzen kann.» Für den übernächsten Winter könne man das Modell noch verfeinern.

Müller für Entlastung, aber auch für Sparanreize

Müller hält es für richtig, Bürgerinnen und Bürger bei den sprunghaft gestiegenen Gaskosten zu entlasten, pocht aber auch auf Anreize zum Sparen. Ansonsten seien «wir schneller, als uns allen lieb ist, eben in einer Mangelsituation». Der Netzagenturpräsident rief erneut die Bevölkerung zum Energiesparen auf. «Wenn wir es nicht schaffen, in den privaten Haushalten mindestens 20 Prozent Einsparungen zu erzielen, dann werden wir in einem durchschnittlichen Winter nicht ohne Kürzungen bei der Industrie zurechtkommen.»

Auch der Deutsche Städtetag rief zu Einsparungen auf und mahnte Bund und Länder vor Gesprächen an diesem Dienstag im Kanzleramt zur Geschlossenheit. Die Gaspreisbremse müsse «jetzt sehr schnell klug konzipiert werden», sagte Städtetagspräsident Markus Lewe (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wenn private Haushalte einen Grundbedarf von 80 Prozent des Gas-Verbrauchs vergünstigt bekämen, bleibe der Spar-Anreiz bestehen.

Doch nicht nur die Verbraucher sind gefragt: Mit einem sogenannten Gas-Auktionsmodell will die Bundesregierung der Industrie Anreize geben, Gas einzusparen und dieses gegen Entgelt etwa zum Heizen zur Verfügung zu stellen. Das Modell ist am Wochenende gestartet, wie die Deutsche Presse-Agentur aus dem Wirtschaftsministerium erfuhr.

Die Ampelkoalition hatte am Donnerstag einen neuen «Abwehrschirm» von bis zu 200 Milliarden Euro angekündigt, um Verbraucher und Unternehmen wegen der steigenden Energiepreise zu stützen. Die umstrittene Gasumlage ist vom Tisch - dafür soll es eine Gaspreisbremse geben. Mindestens für einen Teil des Verbrauchs sollen die Preise so gedeckelt werden, dass private Haushalte und Firmen nicht überfordert sind. Was das genau bedeutet, ist aber noch offen. Eine Kommission soll bis Mitte Oktober Vorschläge machen.

Lindner verteidigt milliardenschweres Entlastungspaket

Am Rande eines Treffens der Euro-Finanzminister in Luxemburg verteidigte Bundesfinanzminister Christian Lindner den Umfang des Pakets und sprach auch explizit von einer Laufzeit. «Die Maßnahmen sind gemessen an der Größe der deutschen Volkswirtschaft und gemessen an der Laufzeit bis zum Jahr 2024 in der Proportion angemessen», sagte der FDP-Politiker. Sie entsprächen dem, was andere Staaten in Europa eingeführt hätten und seien daher «gewiss nicht überdimensioniert.» Lindner reagierte damit auf Kritik etwa aus Italien, Spanien oder Luxemburg daran, dass nicht alle Länder die finanziellen Mittel für solche Maßnahmen hätten und daher der Binnenmarkt verzerrt werden könnte.

Zuvor hatte Lindner der «Rheinischen Post» gesagt, er wolle «die 200 Milliarden möglichst nicht ausschöpfen». Die FDP-Jugendorganisation hatte von der Regierung ein Enddatum für das Programm gefordert.

Gas bei Mangellage auch für international agierende Konzerne?

Oppositionspolitiker erwarten von der Bundesregierung Klarheit über die Verteilung von Gas im Falle einer Mangellage. «Das sehr teuer eingekaufte Gas in unseren Speichern muss im Winter bei den deutschen Verbrauchern ankommen. Dazu muss die Ampel endlich einen Ausspeicherplan vorlegen», sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) der «Bild am Sonntag». Der Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte kritsierte gegenüber der Funke Mediengruppe, die Regierung schweige sich darüber aus, «nach welchen Kriterien das Gas im Krisenfall konkret verteilt werden soll».

In dem Bericht der «Bild am Sonntag» wird auch darauf verwiesen, dass das in Deutschland eingespeicherte Gas nicht für deutsche Verbraucher und Firmen reserviert sei, sondern auch an international agierende Konzerne vergeben werden könne. Das Wirtschaftsministerium sieht darin aber keinen Anlass für Kritik. Alles andere würde die Vorgaben des europäischen Binnenmarkts ignorieren, so eine Sprecherin auf Anfrage. Es gelte «gegenseitige Solidarität».

Um die Gasvorräte in der EU bis zum Ende der Heizsaison auf einem angemessenen Niveau zu halten, müsste nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA die Nachfrage im Vergleich zum Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre um 9 bis 13 Prozent reduziert werden. Ohne reduzierten Gasverbrauch und bei einem vollständigen russischen Lieferstopp ab November könnten die Speicherstände demnach auf knapp fünf Prozent sinken, wenn zugleich nur wenig Flüssiggas in die EU geliefert wird. Dann gäbe es ein erhöhtes Risiko von Versorgungsunterbrechungen bei einem späten Kälteeinbruch.

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