Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik November 2021

Chronik November 2021

Chronik November 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Der britische Passagierdampfer „Appam“ 1916 aufgebracht und von dem 1921 verstorbenen Kapitän Hans Berg in die USA überführt. Foto: Wikipedia.com

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Chronik November 2021 – Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN

Mittwoch, 2. November 1921

Das schwimmende Quartier General Wrangels untergegangen

Der italienische Dampfer „Adria“ ist im Bosporus mit der Jacht „Lucullus“, aus der General Wrangel sein Quartier aufgeschlagen hatte, zusammengestoßen. Die Jacht sank innerhalb zweier Minuten. Im Augenblick der Katastrophe befanden sich General Wrangel und sein Generalstab auf dem Lande. Sämtliche Schriftstücke und das Privatvermögen Wrangels sind mit der Jacht untergegangen.

Peter von Wrangel (1878-1928) hatte während des russischen Bürgerkrieges seit 1920 den Oberbefehl über die antibolschewistischen Truppen im Süden Russlands. Ende 1920 musste er sich jedoch auf die Krim zurückziehen und unterlag auch dort bald den Truppen der Roten Armee. Schließlich verließ er Russland ganz. Er starb im Exil in Brüssel. Dort brachte er noch seine Erinnerungen zu Papier, die allerdings nie auf Deutsch erschienen sind.

 

Freitag, 4. November 1921

Die Mörder Erzbergers

Auf der Suche nach dem Mörder Erzbergers forscht man in den kleinsten Dörfern nach. So wurde ein Münchner Student, der Oberleutnant a. D. Lauenstein und sein Vetter in Hittfeld an der Elbe verhaftet, weil auf sie angeblich das Signalement der Mörder Erzbergers passen sollte. Man sah sich aber sehr schnell genötigt die Verhaftung rückgängig zu machen.

Die Zeitungen waren nach der Ermordung Erzbergers voll von Nachrichten über die Suche nach den Attentätern. Auch der Münchner Polizeipräsident Ernst Pöhner verkündete vollmundig die verstärkte Suche. Dabei kannte er die rechtsextremistischen Attentäter, versorgte sie mit gefälschten Papieren und Geld. Beim Hitlerputsch im November 1923 war unter den Teilnehmern des Marsches auf die Feldherrnhalle auch der nicht mehr amtierende ehemalige Polizeipräsident zugegen. Damals war die NS-Partei noch eine kleine süddeutsche Erscheinung unter den zahllosen völkischen Gruppierungen in Deutschland. In Nordschleswig kannten sie nur wenige. Einer war begeistert: Johannes Schmidt-Wodder: Er nahm kurz vor dem Marsch auf die Feldherrnhalle im August 1923 am sog. „Germanentag“ in Sassnitz auf Rügen teil, einer Tagung völkischer und antisemitischer Gruppen. Dort sprach auch Max Erwin von Scheubner-Richter, der damals zu den ideologischen Führern der noch jungen NSDAP gehörte. In der Partei habe sich – wie Schmidt-Wodder schrieb – „das deutsche Gewissen hier trotz mancher Übertreibung ursprünglicher und lebhafter als in allen sonstigen Parteien Deutschlands“ erwiesen. Trotz mancher „Radaumethoden“ sei „die Tatkraft in diesen Bewegungen“ imponierend. Scheubner-Richter wurde im Verlaufe des Hitlerputsches, an dem er teilnahm, erschossen. Er marschierte in der ersten Reihe, ernst Pöhner um einiges dahinter. Für Schmidt-Wodder war es die erste Begegnung mit der NS-Partei. Seine Nähe zu ihr wird anwachsen und letztlich bis zu seinem Tod andauern.

Näheres findet sich in der gerade erschienenen Studie von Peter Hopp: Pastor Johannes Schmidt-Wodder (1869-1959). Kiel und Hamburg 2021

 

Montag, 7. November 1921

Die Stuttgarter „Hockersteuer“

Der Stuttgarter Gemeinderat hat die vom Rechtsrat Dr. Kopp ersonnene und beantragte „Hockersteuer“, d. h. Nachtsteuer für Wirtshaushocker und andere Nachtschwärmer, mit 20 gegen 18 Stimmen angenommen. Die mit dem 1. Dezember in kraft tretende Steuer fordert von den „Hockern“, die nach der Polizeistunde (Mitternacht) noch in Vergnügungslokalen verweilen, fünf Mark für die erste, acht Mark für die zweite und zehn Mark für die dritte Stunde. Die Unabhängigen hatten Sätze von 500 bis 1000 Mark beantragt, waren aber mit diesem Antrag allein geblieben. Die neue Steuer gilt vorerst nur bis zum 31. März 1922. Sie wird verlängert, falls sie sich in der Praxis bewähren sollte.

 

Montag, 7. November 1921

Professor Oskar Montelius, der berühmte schwedische Altertumsforscher, ist 78 Jahre alt gestorben. Der Dahingeschiedene hielt noch vor kurzem in der deutsch-schwedischen Gesellschaft in Berlin einen fesselnden Vortrag über nordgermanische alte Kultur.

Oscar Montelius (1843-1921) war ein schwedischer Ur- und Frühgeschichtler auf den die Chronologie der Bronzezeit zurückgeht, die im Prinzip heute noch Gültigkeit hat.

 

Dienstag, 8. November 1921

Abenteuerliche Flucht des Obersten Lehar

Bei der Familie des Komponisten Franz Lehar ging, wie aus Wien gemeldet wird, die Meldung ein, dass sein Bruder, der vielgenannte Oberst Lehar, welcher als der militärische Führer des letzten karlistischen Staatsstreiches gesucht wird und gegen den ein Haftbefehl erlassen ist, bei Komorn die Donau durchschwommen hat und auf tschechisches Gebiet über Prag an die bayerische Grenze gelangte, welche er bei Tachau überschritt. Lehar soll sich gegenwärtig in München aufhalten. Die Meldung ist vorläufig noch nicht bestätigt.

Oberst Anton von Lehar war der Bruder des bekannten Komponisten Franz Lehar. Er war ein Kämpfer für die Wiedererrichtung der ungarischen Monarchie unter Karl I. Karl war von 1916 bis 1918 der letzte Kaiser Österreichs und als Karl I. zugleich König von Ungarn. Er beschloss sein Leben als Exilant auf Madeira, wo er am 1. November 1921 eingetroffen war. In dieser Zeit war Lehar nach Deutschland geflohen. Erst als die Nationalsozialisten in Österreich die Macht übernommen hatten, kehrte er nach Wien zurück. Dort starb er 1962 in hohem Alter.

 

Sonnabend, 12. November 1921

Sonderburg: Starker Schneefall

Starker Schneefall setzte über Nacht ein. Heute morgen hatte die Stadt ihren neuen schönen weißen Pelz angelegt und damit das offizielle Zeichen zum Beginn der Wintersaison gegeben. Da nach den Wetterberichten fallende Temperaturen zu erwarten sind, dürfen wir annehmen, dass das hübsche Winterkleid sich den morgigen Sonntag über hält und wir vor dem Anblick von zerfetzten, nass-schmutzigen und grauen Lappen wenigstens an dem Wochenfeiertage verschont bleiben.

 

Montag, 14. November 1921

Frauenrechtlerin, Romanschriftsteller und Unteroffizier

Halide Edib Hanem, die in der Türkei als Romanschriftstellerin bekannt ist, hat jetzt im Kampf gegen die Griechen selbst die Flinte geführt und ist dafür von dem türkischen Oberbefehlshaber Kemal zum  Unteroffizier befördert worden. Während ihrer Beteiligung am Krieg soll sie auch einen Roman, der sich mit dem Unabhängigkeitskampf der Türken beschäftigt, fast vollendet haben. Halide Edib  ist die Vorkämpferin für die Frauenforderungen unter den Mohammedanerinnen gewesen und ist als erste Türkin in die amerikanischen Frauenkurse zu Konstantinopel eingetreten. Sie heiratete dann einen Arzt und war während des Weltkrieges als Pflegerin tätig.

Halide Adib Alivar (1884-1964) war eine türkische Schriftstellerin und gewissermaßen die Begründerin der türkischen Frauenbewegung, die heute dort keinen Einfluss hat. Sie nahm am Unabhängigkeitskampf Atatürks teil, kehrte ihm aber bald den Rücken und ging ins Exil. Mahatma Gandhi holte sie 1935 nach Indien, wo sie an verschiedenen Universitäten lehrte. Seit 1940 war sie Professorin für englische Literatur in Istanbul, wo sie Beziehungen zu deutschen Emigranten hatte. In ihren Romanen schildert sie oft Frauenschicksale. Ihr Roman „Das Flammenhemd“ erschien 1923 auf Deutsch  in Wien und erreichte immerhin vier Auflagen. In der berühmten „Bibliothek der Weltliteratur“ des Manesse-Verlages erschien 2008 der Roman „Die Tochter des Schattenspielers“. Der wie der Manesse-Verlag in Zürich beheimatete linke Unionsverlag, der viele türkische Autoren betreut, publizierte 2010 die Erinnerungen der Schriftstellerin (die bis 1927 reichen) unter dem Titel „Mein Weg durch das Feuer“.

 

Freitag, 18. November 1921

Der Friedensnobelpreis ist, wie aus Stockholm gemeldet wird, dem Professor der Astronomie am Kopenhagener Observatorium Elias Stroemgren verliehen worden. Stroemgren ist 1870 in Helsingborg in Schweden geboren. Er war Privatdozent an der Universität Kiel. 1907 wurde er als Ordinarius für Astronomie und Direktor der Sternwarte in Kopenhagen als Nachfolger Thieles berufen. Professor Stroemgren gehört zu denen, die vom ersten Tage des Krieges an ehrlich und zielbewusst im Geiste Nobels gearbeitet haben, insbesondere hat er auch für die Aufrechterhaltung der wissenschaftliche Beziehungen auf dem Gebiete der Astronomie gewirkt.

Strömgren (1870-1947), der von 1901 bis 1907 in Kiel arbeitete, war danach Professor für Astronomie in Kopenhagen und Chef der dortigen Sternwarte. Er rief nach dem Krieg intensiv zur Aussöhnung der Völker auf. Da er 1921 gerade zum Vorsitzenden der Astronomischen Gesellschaft gewählt worden war, hatte sein Wort noch größeres Gewicht.

Gleichwohl stimmt unsere Meldung nicht. Der Friedensnobelpreis 1921 wurde dem schwedischen (auch Strömgren  war von Geburt Schwede) Völkerbund-Delegierten Hjalmar Branting (1860-1925) zugesprochen.

Da wir im Zeitalter der Fake News leben, muss hier hinzugefügt werden: Unsere Zeitungsnotiz gehört nicht in die Gattung der Fake News, denn hinter diesen eigens lancierten Meldungen steht immer ein politisches Interesse. Hier ist es einfach eine Ente, eine Zeitungsente.

 

Sonnabend, 19. November 1921

Flensburg. Die Gedächtnishalle in der Marienkirche, die für die 550 Gefallenen der Mariengemeinde bereitet ist, steht nunmehr fertig da. An die Nordwand der Kapelle lehnt sich ein wuchtiger, steinerner Sarkophag, auf dem in ergreifender Schlichtheit ein gefallener Kämpfer ruht, in Stahlhelm und Soldatenmantel, das kurze Seitengewehr auf der Brust. Es ist ein Werk des Hamburger Bildhauers Albrecht, eines Sohnes der in unserer Stadt wohnenden Frau Landrichter Albrecht. Von der Westwand her, die ein besonderes Fenster erhalten hat, fällt buntgedämpftes Licht auf die ruhende Kriegergestalt und gibt dem wundervoll proportionierten Raume eine ganz besondere Stimmung und Beleuchtung. Das Fenster stammt aus der Glasmalereiwerkstätte von Heinersdorff in Berlin. Zu beiden Seiten des Sarkophages erheben sich künstlerisch gearbeitete schmiedeeiserne Kandelaber nach einem Entwurf von Baurat Eggeling ausgeführt vom hiesigen Schlossermeister Hummel. In die Seitenwände der Ehrenkapelle sind dann die gewaltigen Steintafeln eingelassen, die in besonderer Zierschrift die mehr als 550 Namen der gefallenen Helden tragen.

Im Jahre 1967 führte ein bundesweit beachteter Streit um das Gedenken an gefallene Soldaten die schleswig-holsteinische Landeskirche in eine Zerreißprobe. Drei junge Pastoren standen gegen eine Phalanx von konservativen bis reaktionären Landeskirchenvertretern bis hin zu schlichten Alt-Nazis im Kirchendienst. Es ging um die Entfernung des 1921 errichteten Denkmals in Flensburg. Leider ist hier nicht der Platz, um auf die Vorgänge einzugehen. Die 86-seitige Broschüre „Bruchlinien. Der Flensburger Kirchen-Streit um das Krieger-Gedenken zu St. Marien 1967“ von 2017 ist aber schnell über unsere Bibliotheken zu besorgen.

 

Montag, 21. November 1921

Ein neues Schulfach

In Bayern soll in den Schulen auch Heizunterricht erteilt werden, um die Jugend zur Ökonomie und zur richtigen Ausnutzung der Brennstoffe zu erziehen.

Heinrich Hansen im Jahre 1865 Foto: Kongelige Bibliotek, Kopenhagen

Sonnabend, 26. November 1921

Häusliche Arbeit als Schönheitsmittel

„Die Hand, die wochenlang den Besen führt, wird Sonntags sich am besten karessieren“ – dieser Vers aus dem Osterspaziergang des Faust erhält eine überraschende Bestätigung, von der Goethe gewiss nichts ahnte, durch die Beobachtung einer englischen Schönheitsdoktorin Margaret Hallam, die soeben ein Buch „Gesundheit und Schönheit der Frauen und Mädchen“ veröffentlicht hat. Sie behauptet, dass die Dienstmädchen die schönsten Arme hätten, und zwar leitet sie diese Auszeichnung der dienstbaren Geister von ihrer Berufstätigkeit her. Das Klopfen von Teppichen, das Bettenmachen, das Bürsten und Putzen sollen den Armmuskeln die beste Übung und damit der Form des Armes eine hohe Vollendung verleihen. Miss Hallam hält überhaupt körperliche Übungen für das wichtigste Mittel zur Erlangung einer schönen Figur und ebenmäßiger Formen, und sie meint, dass die häuslichen Arbeiten „eine sehr gesunde Beschäftigung“ seien, die in den vergangenen Jahrhunderten sehr viel zur Schönheit der Frauen beigetragen hätte. „Das Umwenden der Matratzen und das Schütteln der Betten bringt die Muskeln der Taille in Tätigkeit“, schreibt sie, „und das Klopfen von Kissen und Teppichen verschönert die Armform. Alle die Bewegungen, die dem Auflegen von Tischtüchern, beim Legen der Wäsche usw. notwendig sind, bringen eine große Anzahl der wichtigsten Muskeln in Tätigkeit. Außerdem wirkt die häusliche Arbeit anregend auf die Leber und vertreibt schwermütige Stimmungen schneller als irgend etwas anderes. Wenn aber eine Frau plötzlich in Zorn gerät – und wo ist eine von uns, die so sanftmütig wäre, dass sie nicht einmal einen Wutabfall bekäme? – dann sind zehn Minuten Arbeit mit dem Teppichbesen das beste Mittel, um sich „abzuregen“ und in eine gleichmütige Stimmung zu kommen.“

Karessieren kennt heute kein Mensch mehr. Es bedeutet so viel wie liebkosen, herzen usw. Im gesamten Werk Goethes taucht es selten auf: einmal in der „Italienischen Reise“. Dann an eher versteckter Stelle in einem von ihm übersetzten und 1794 veröffentlichten Gedicht zu Cimarosas Oper „Die vereitelten Ränke“. Diese italienische Oper wurde damals nicht nur in Italien vielfach aufgeführt. Goethe hatte das Textbuch aus dem Süden mitgebracht. Und schließlich unsere Stelle aus dem „Faust“. Wobei hinzuzufügen ist, dass der Osterspaziergang heute meist das Gedicht (Vom Eise befreit …) meint und weniger die Sprechpartien der Spaziergänger aus dem Akt „Vor dem Tor“, wo einer der Spaziergänger die heute sprichwörtliche Redensart spricht.

Das Wort hat sich nicht durchgesetzt (im Gegensatz zum englischen „to carress“). Die deutschen historischen Wörterbücher von Adelung oder Campe haben es nicht. Im Deutschen Wörterbuch der Grimms fehlt das Lemma auch. Nach ca. 1805 kommt das Wort auch bei Goethe nicht mehr vor. Er bevorzugte dann stattdessen im Wortfeld  die Worte courtoisieren, herzen, schöntun, tändeln und besonders kosen. Möglicherweise hat  Goethe das bald aufgegebene Wort selbst aus Italien 1788 („carezzare“) mitgebracht und eingedeutscht.

Sowenig „karessieren“ heute bekannt ist, sowenig ist es auch die Autorin, um die es in unserer Meldung eigentlich geht. Margaret Hallam veröffentlichte 1921 ein Buch unter dem Titel „Health and beauty für women and girls. A course of physical culture on natural lines“. Es hatte 125 Seiten und verfügte über zahlreiche Abbildungen. Ein derartiges Buch konnte nur in der englischen Klassengesellschaft entstehen. Es wurde auch nicht ins Deutsche übertragen. 1924 gab es noch eins drauf, doppelt so lang: „Dear Daughter Eve. A compleat book of health and beauty“. Die Autorin und ihre Bücher sind längst vergessen. Die Gattung der Schönheitsbücher aber ist unsterblich.

 

Sonnabend, 26. November 1921

Hadersleben. Nach einer kleinen Feier im Rathaussaal wurde am Geburtshause des Architekturmalers Heinrich Hansen in der Badstubenstraße eine Gedenktafel angebracht. An der Feier nahm ein Sohn des gefeierten Sohnes der Stadt teil.

Heinrich Hansen (1821-1890) ist einer der berühmtesten Söhne der Stadt. Er war Architekturmaler, Kunstgewerbler und Direktor der Kopenhagener Kunstakademie. Er wurde am 23. November 1821 geboren.

Der britische Transatlantik-Passagierdampfer „Appam“ unter dem Kommando Bergs nach der Internierung in den USA 1916 mit der deutschen Prisenmannschaft auf dem Heck und der Flagge der Kaiserlichen Marine Foto: Library of Congress, Washington

Mittwoch, 30. November 1921

 

Hans Berg

Apenrade. Die Leiche des in Hamburg verstorbenen Kapitäns Hans Berg wurde Montag Nachmittag von Flensburg nach der Kirche in Loitkirkeby überführt, von wo aus die Beerdigung am Mittwoch Nachmittag zwei Uhr stattfinden wird. Bei „Bellevue“ wurde die Leiche von Abordnungen des Vereins ehemaliger deutscher Soldaten und des Pfadfinderkorps mit Fahnen in Empfang genommen und durch die Stadt geleitet. Als der Zug den Südermarkt erreichte, spielte die dänische Militärmusik, die dort konzertierte, einen Trauermarsch, und unter den Klängen dieses ging der Zug langsam vorüber, während der Kapellmeister der Leiche die militärischen Honneurs erwies. Diese taktvolle Ehrung des Verstorbenen wird allerseits dankbar anerkannt.

Hans Berg war damals jedermann in Nordschleswig bekannt. Als Offizier war er auf dem Hilfskreuzer „Möve“ tätig und wurde Kommandant des großen aufgebrachten Transatlantik-Passagierdampfers „Appam“, der nicht versenkt wurde, sondern mit Prisenmannschaft und Passagieren sicher in den Hafen von Hampton Roads/Virginia gelangte. Die Nachrichten über die Tat Bergs von 1916, die als tollkühn galt, fanden bis in die Spalten der „New York Times“ und ungezählter anderer Zeitungen weltweit Eingang. In unserer „Chronik – Vor 100 und vor 50 Jahren“ berichteten wir damals ausführlich.

 
Foto: DN

Donnerstag, 4. November 1971

Schnaps und Tabak letzte EWG-Hürden für Dänemark

Vor dem 13. Dezember möchte Dänemark eine Klärung aller Fragen in Verbindung mit einer Aufnahme Dänemarks in die EWG erreicht haben. An diesem Tage beginnt die Markt-Debatte des Folketings, die zur Beschlussfassung über den Eintritt in die EWG und über die Unterzeichnung des EWG-Vertrages führen soll. Bei den Verhandlungen in Brüssel sind noch einige wenige Fragen übrig. Bei den Beratungen am Mittwoch bereiten die milden Bestimmungen der EWG-Länder hinsichtlich des Rechts der Reisenden, alkoholische Getränke, Wein, Zigaretten, Tabak usw. einzuführen, Schwierigkeiten. Dänemark wünscht, noch fünf Jahre lang an der Bedingung eines 72stündigen Aufenthalts im Ausland für die zollfreie Einfuhr abgabenpflichtiger Waren festzuhalten. In Brüssel meint man, Dänemark müsse gleiches Recht für alle einführen.

Ernst Ludwig Kirchner: Totentanz mit Mary Wigman. Gemälde 1928. Einige Jahre zuvor war Hans Holtorf mit seiner Theater-Truppe in Schleswig-Holstein und Nordschleswig mit dem Lübecker Totentanz unterwegs. Foto: Galerie Hentze & Ketterer

Donnerstag, 11. November 1971

Mary Wigman 85 Jahre alt

Die Altmeisterin des deutschen Ausdruckstanzes, Prof. Mary Wigman, wird am kommenden Sonnabend in Berlin 85 Jahre alt. Bis vor zwei Jahren, als sie ihre Schule aufgab, fehlte die Tänzerin und Tanzpädagogin auf keiner wesentlichen Veranstaltung des Tanzes oder des Balletts, aus deren Entwicklung in der Gegenwart sie auch heute noch regen Anteil nimmt. Vor allem nach dem Kriege hat Mary Wigmans Ausdruckstanz befruchtend auf das moderne Ballett und stilbildend auf die Tanzrichtungen in den USA gewirkt, wo sie auch mehrfach Lehrveranstaltungen leitete.

Der Einfluss Mary Wigmans auf die Tanzkultur kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seit ihren Anfängen in Hellerau bei Dresden wurde ihr neuer Tanzstil auch in Dänemark gewürdigt und hatte großen Einfluss. Auch in Nordschleswig verfolgten einige junge Enthusiasten den neuen Tanzstil. Lisa Tränckner wäre hier zu nennen. Damit aber war bald Schluss. Denn auch in der Kulturpolitik der deutschen Minderheit setzten sich andere Interessen durch.

 

Sonnabend, 13. November  1971

Dr. Tilse 85

Nimmt man die Lehrer, die nach der Volksabstimmung des Jahres 1920 in Tondern am Aufbau des deutschen Schulwesens beteiligt waren, so fällt immer wieder der Name Dr. Tilse, der nicht nur ein begnadeter Pädagoge, sondern auch ein einsatzfreudiger Jugendführer war. (…) 1920 übernahm er in Tondern die Leitung der neugegründeten deutschen Privatschule. Kein anderer hat wie Dr. Tilse in den 18 Jahren seines Wirkens die Jugend Tonderns geprägt, gehörte er doch zu den „Ur-Wandervögeln“, die den Geist dieser gesunden Jugendbewegung nach Tondern trugen und ihn dort durch zahlreiche Fahrten und die Gründung der „Haidburg“ bei Süderlügum praktizierten. Mit großen finanziellen Opfern und in freiwilligem Arbeitseinsatz wurde dieses Heim geschaffen. In all diesem Wirken stand ihm seine Frau, geb. Kiggelsen, treu zur Seite. Von Tondern kam Dr. Tilse 1938 nach Lübeck, wo er bis zu seinem 76. Lebensjahr an der „Schule am Dom“ wirkte (…)

Der Geburtstagsgruß stammt aus der Feder von Harboe Kardel. Über das Wirken des 1975 verstorbenen  Tilse unterrichtet profund der Aufsatz von Peter Blume: „Die Geschichte des Wandervogels in Tondern und die Bedeutung für die deutsche Volksgruppe in Nordschleswig“ in den Schriften der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft 1993 und der kleine Beitrag des Sohnes Harro Tilse: „Verdient um Tonderns Jugend – genannt „Onkel Ben“ im Heimatkalender von 1993.

 

Mittwoch, 17. November 1971

Chinesen geben sich hart

Mit einer im Ton harten Rede hat die Volksrepublik China jetzt in den Vereinten Nationen ihren ersten Auftritt gegeben. Der chinesische Chefdelegierte, Vize-
Außenminister Tschiao Kuan Hua, wiederholte im UNO-Plenarsaal die unnachgiebigen Forderungen Pekings an die USA, distanzierte sich von der Abrüstungspolitik der beiden Supermächte und warb offenkundig um die Länder der „Dritten Welt“.

Qiao Guanhua, um die internationl gültige Schreibung zu benutzen, lebte von 1913 bis 1983. Wie viele andere chinesische Kommunisten der ersten Stunde (Tschou En Lai/Zhou Enlai) hatte auch er in Deutschland (Tübingen) studiert und arbeitete als Journalist. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Generation zur deutschen Kultur eine große Affinität hatte. Maos Lieblingsbuch des Westens war Theodor Stroms „Schimmelreiter“! Qiao Guanhua hat verschiedene Bücher, die thematisch seine europäischen Studien berühren, verfasst.

 

Montag, 22. November 1971

Kräftiger Wintereinbruch mit heftigem Schneesturm – Fast ganz Dänemark versank Sonntag im Schnee

Ein heftiger Schneesturm mit kräftigen Schneewehen suchte am Sonntag Dänemark heim. In Süd- und Mitteljütland, auf Fünen und Lolland/Falster machte er die Straßen dicht. In Nordschleswig, wo der Sturm den Schnee in dichten Wolken über die Felder trieb, nahmen die Verkehrshindernisse am Sonntag Abend erheblich zu. Sonntag Nachmittag erreichte der Schnee Seeland, von wo kräftiger Schneefall südlich der Linie Roskilde und Köge gemeldet wurde.

 

Mittwoch, 24. November 1971

In der Tschechoslowakei sei die deutsche Minderheit, die ca. 72.000 Seelen zähle, erst seit 1968 anerkannt. Fast 25 Jahre hindurch war jede höhere deutsche Schulbildung unmöglich. Das Hauptorgan ist die Wochenzeitung „Prager Volkszeitung“.

Die „Prager Volkszeitung. Wochenblatt der deutschen Bürger in der Tschechischen Republik“ erschien von 1968 bis zum 8. Dezember 2005. An diesem Tage erschien die letzte Nummer der Zeitung, die  vom Kulturverband der Bürger der CSR deutscher Nationalität herausgegeben wurde. Ihr Vorgänger war die „Volkszeitung. Das Wochenblatt der Deutschen in der CSSR“, das von 1966-1968 erschien. Diese wiederum hatte einen Vorgänger in „Aufbau und Frieden. Das Blatt der deutschen Werktätigen in der CSSR“, herausgegeben vom Zentralrat der Gewerkschaften, das von 1951 an erschien. Heute bedient die Online-Zeitung „Prager Zeitung“ die Interessen der Leserschaft. Sie sieht sich ehrgeizig in der Tradition des legendären „Prager Tagblatts“, einer der bedeutendsten Zeitungen des Alten Europa.

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