Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik Mai 2021

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Chronik Mai 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Das Museum Holmen
Das Museum Holmen gibt es seit 50 Jahren, mehr darüber unter dem 22. Mai 1971. Foto: Monika Thomsen

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Chronik Mai 2021 – Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN

Montag, 2. Mai 1921
Das Ende der „König Wilhelm“
Das Kasernenschiff „König Wilhelm“ wurde unter Hilfeleistung von drei Hamburger Hochseeschleppdampfern durch den Kanal von Kiel nach Vegesack überführt.

„König Wilhelm“ war um 1870 das mächtigste Panzerschiff der Welt. Es wurde in England für Rechnung der Türken erbaut. Da diese aber kein Geld hatten, kaufte Preußen das Schiff. Lange Zeit war es der Stolz der Marine. Bei der Flottenparade auf der Rhede bei Spithead stieß es mit dem Panzerschiff „Großer Kurfürst“ zusammen. Das letzte Schiff sank  und viele Menschen kamen ums Leben. Die Technik überholte schnell die Bauart des „König Wilhelm“. Es wurde schließlich Kasernenschiff für die Schiffsjungen in Mürwik.Das erwähnte Unglück geschah während einer beginnenden Hochseeübung am 31. Mai 1878 im Ärmelkanal. Das Panzerschiff „Großer Kurfürst“, erst 1875 gebaut, wurde vom „König Wilhelm“ unglücklich gerammt. Da die Schotten nicht dicht waren, sank das Schiff innerhalb kürzester Zeit und riss fast 300 Mann in den Tod. Auf dem Alten Friedhof von Folkestone westlich von Dover, wo die Ertrunkenen bestattet wurden, erinnert noch heute ein Denkmal an das Unglück.

Ein Veteran der deutschen Marine Foto: Illustrierte Zeitung 1907

Sonnabend, 7. Mai 1921
Das frühere Artillerieschulschiff „Mars“, allen Sonderburgern wohlbekannt von seinem mehrjährigen Aufenthalt in Sonderburg, wo es Exerzierschiff der Marineartillerie war, hat nun ausgedient. Das 1877 erbaute, 3316 Tonnen große Schulschiff, auf dem der größte Teil der deutschen Marineartilleristen seine Ausbildung bekommen hat, wird nächstens Kiel verlassen und nach Lübeck geschleppt, wo es abgewrackt werden soll.Unsere Zeitung berichtete wiederholt über den Abbau auch der letzten Spuren der Kaiserlichen Marine im Osten wie im Westen Schleswig-Holsteins und Nordschleswigs.

Artillerieschulschiff „Mars“ vor dem Weltkrieg Foto: Bundesarchiv, Bild 146-2008-0170 / Renard, Arthur / CC-BY-SA 3.0

Montag, 9. Mai 1921
Die Prinzeninsel (im Großen Plöner See), der Lieblingsaufenthalt der verstorbenen Kaiserin, soll allmählich der Erholung für die Allgemeinheit dienstbar gemacht werden. Die Stadt Plön hat zunächst das „Bauernhaus“, das der ehemalige Kronprinz oft als Sommerfrische benutzte, vom Fiskus gepachtet und beabsichtigt es unter möglichster verständnisvoller Schonung des alten, feinen Charakters umzubauen als Raststätte für Sommerfrischler.

Die Kaiserin besuchte während der Kadettenzeiten ihrer Söhne in der Kadettenanstalt Plön oft die Prinzeninsel, bevor sie nach Nordschleswig weiterzog, um dort ihre Familie zu besuchen. Die Prinzeninsel wurde in der Anfangszeit der Weimarer Republik der Hohenzollern-Familie zugesprochen, in deren Besitz sie sich noch heute befindet. Dass die Familie sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts dort dem Ziel der „Erholung der Allgemeinheit“ genähert oder überhaupt bewegt hat, lässt sich nicht sagen. Das erhellt schon daraus, dass sich in dem noch bestehenden „Bauernhaus“ bis vor Kurzem eine Frittenbude unter dem Namen „Happy Happy“ befand.

 

Donnerstag, 12. Mai 1921
Für die durch den Tod des Pastors Jessen hier (in Deezbüll bei Husum) freigewordene Predigerstelle sind präsentiert die Pastoren Weiland in Nustrup, Bachmann in Nübel und Arnold in Oesby, als Ersatzmann Andresen in Ballum.

Eine selten beachtete Folge der Ereignisse der Nachkriegszeit war der Verlust der Pastorenstellen in Nordschleswig. Dutzende Vikare und Pastoren mussten Nordschleswig verlassen und sich andernorts um eine neue Wirkungsstätte bemühen.  Die Kirche in Deezbüll geriet wegen Vakanz in den Blick der noch von nördlich der Grenze sondierenden Theologen.

Friedrich Carl Weiland war Pastor in Nustrup bei Gramm und war um 1900 eine kurze Weile in Hadersleben tätig bis er nach Nustrup ging und 1921 Nordschleswig verlassen musste.

Christian Caspersen Bachmann, 1868 in Sommerstedt geboren, wurde – er hatte sich wie viele seiner Kollegen damals auf zahlreiche Predigerstellen beworben – im Sommer 1921 Pastor in Bergstedt im damaligen Kreis Stormarn. Bergstedt wurde durch das Groß-Hamburg-Gesetz wie Altona und Wandsbek 1937 Teil der Hansestadt Hamburg. Bachmann starb lange nach seiner Pensionierung 1947 in Wedel.

Paul Arnold stammte aus der Altmark und wurde 1866 in Wollenhagen bei Stendal geboren. Seit 1910 vertrat er die Predigerstelle in Øsby. Am 18. September hielt er dort seine Abschiedspredigt und wurde bis 1928 Pastor auf Amrum. Er starb im Harz zehn Jahre darauf.

In Ballum nördlich von Tondern war Pastor Andresen tätig. Die Abstimmung brachte damals dort 708 dänische und 30 deutsche Stimmen. Auch er verließ 1921 Nordschleswig.

Der Maler und Grafiker Felix Vallotton (1865-1925) war in Deutschland um die Jahrhundertwende von 1900 eine bekannte Größe und ist es bis heute geblieben. Der Autor Louis Dumur (1863-1933) allerdings, der wie Vallotton aus der französischsprachigen Schweiz stammte, war in Deutschland so gut wie unbekannt. Foto: Wikipedia

Freitag, 13. Mai 1921
Ein literarischer Skandalprozess, in dem der Name des früheren deutschen Kronprinzen vorkommt, wird, wie dem „Berliner Tageblatt“ aus Paris gemeldet wird, angekündigt. Der Schriftsteller Dumur hat einem Roman, der den angenehmen Titel trägt „Der Schlächter von Verdun“ einiges über das Leben im Hauptquartier des Kronprinzen erzählt und dabei erwähnt, dass die Maitresse des Kronprinzen das hübscheste Mädchen von Stenay, Frl. Blanche Dessirey gewesen ist. Durch diese Angabe, die mit vielen Einzelheiten ausgeschmückt wird, hat sich Frl. Dessirey beleidigt gefühlt. Sie hat gegen den Autor und gegen den Verfasser Klage eingereicht, und als Entschädigung will ihre verletzte Ehre die Summe von 25.000 Francs haben. Eine Zeitung schlägt vor, den deutschen Kronprinzen selbst als Zeugen zu vernehmen. Wenn er wirklich den guten Ruf des jungen Mädchens in Schutz nehmen wollte, dann müsste er viel Sympathie gewinnen.

In einem Herrenhaus der Familie Verdier nahe der lothringischen Stadt Stenay, die zum Arrondissement Verdun gehört, richtete Kronprinz Wilhelm (1882-1941) als Befehlshaber des Armee-Oberkommandos 5 vom September 1914 bis zum Februar 1918 seinen Kommandostab ein. 1922 erschien das Buch (es war schon im Herbst 1921 auf dem Markt) „Erinnerungen des Kronprinzen Wilhelm. Aus den Aufzeichnungen, Dokumenten, Tagebüchern und Gesprächen“, herausgegeben von Karl Rosner, einem Autor, der 1915 bis 1918 als Kriegsberichterstatter im Sternayer Hauptquartier des Kronprinzen war. Über die Affären des Kronprinzen findet sich natürlich keinerlei  Andeutung oder gar ein Hinweis, obwohl die Zeitungen über Monate über den Pariser Prozess berichteten.

Der Autor Louis Dumur (1863-1933) war um die Jahrhundertwende Mitbegründer der renommierten Zeitschrift „Mercure de France“, die bis 1965 erschienen ist und an die große gleichnamige Zeitschrift der Aufklärung anzuschließen suchte, was ihr in Teilen auch gelang. In Deutschland bleibt Dumur allerdings ein Unbekannter, keiner seiner Romane wurde ins Deutsche übersetzt. Sein Roman „Le boucher de Verdun“ wurde in Frankreich jedoch über 100.000 verkauft und wurde 2015 neu aufgelegt.

Rabindranath Tagore (1861-1941) Foto: Wikipedia

Dienstag, 17. Mai 1921
Rabindranath Tagore
Der indische Dichter und Nobelpreisdichter Rabindranath Tagore begeht seinen 60. Geburtstag in Europa, in Luzern am Vierwaldstättersee. Seine indischen Landsleute hatten geplant, eine Festschrift auf diesen Tag erscheinen zu lassen, zu der auch europäische Schriftsteller Beiträge zu geben aufgefordert werden sollten und aufgefordert worden sind. Französische Autoren haben darauf den indischen Landsleuten Tagores erklärt, sie machten eine Mitwirkung von dem Ausschluss der Deutschen abhängig (!). Die Inder weigerten sich, laut „Berliner Tageblatt“, auf die Zumutung einzugehen, und haben den Gedanken der Herausgabe einer Festschrift fallen lassen.

Die Bedeutung des indischen Lyrikers, Romanautors, Musikers, Malers, Regisseurs, Pädagogen und Philosophen Rabindranath Tagore (1861-1941) im deutschen Geistesleben der Zwanziger Jahre kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Jeder Literaturinteressierte heutzutage, der ja auch ein Leser Hermann Hesses ist (oder in seiner Jugendzeit war), kann das einschätzen. Um 1921 allerdings war die  Popularität Tagores am höchsten. Zahlreiche Neuerscheinungen und Neuauflagen seiner Schriften erschienen. Die deutsche Gesamtausgabe erschien 1921 in München bei Kurt Wolff in acht umfangreichen Bänden. Zwei Biografien erschienen zu den bereits publizierten. Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Hermann Graf Keyserling, der Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken (Tagore erhielt den Preis 1913), der Sinologe Richard Wilhelm und viele andere setzten sich für ihn ein. Immer noch kann man heute im deutschen und dänischen Buchhandel zahlreiche Schriften von Tagore erwerben. Das liegt daran, dass seine soziale Humanität und sein Einsatz für Frieden und Völkerverständigung immer aktuell bleiben.

 

Freitag, 20. Mai 1921
Hoyer
Von Flensburg aus ist angeregt, zur Hebung des Verkehrs in ihrem neuen Freihafen einen Kanal von der Flensburger Förde über Hoyer nach dem Lister Tief zu bauen. Dieser Plan ist laut der „Neuen Tondernschen Zeitung“ nicht neu. Im 18. Jahrhundert kam nach der Vereinigung des herzoglichen Teils von Schleswig mit dem königlichen Anteil der Wunsch nach einer unmittelbaren Schifffahrtsstrasse zwischen der Nord- und Ostsee auf, der in den Jahren von 1777 bis 1784 durch den Bau des Schleswig-Holsteinischen Kanals (Eiderkanal) zwischen Rendsburg und Holtenau erfüllt wurde. Um diese Zeit hatte ein dänischer Kapitän Justi den Plan einer Kanalanlage von Flensburg nach dem Dorfe Ruttebüll, wo der Kanal in die Wiedau einmünden sollte, um von hier dem Laufe des Flusses zu folgen, ausgearbeitet und 1761 eingereicht. Auch waren die Krümmungen des Flusses weniger bedeutend als die der Eider und dazu leichter zu beseitigen. Man fürchtete aber die Kosten der Schleusen und Hafenbauten an der Flussmündung beim Hafdeich des Ruttebüllerkoogs und vor allem die Ausgaben die die Fahrbarhaltung der Einseglung durch das mit vielen Sandbänken angefüllte Wattenmeer.

Nach der Einverleibung Nordschleswigs kam es gelegentlich zu groß gedachten Plänen zur Entwicklung des südlichen Jütland, wie wir an dieser Stelle gelegentlich referiert haben. Einzig die Anlage der Stadt Esbjerg wurde verwirklicht.

 

Freitag, 27. Mai 1921
Auf seiner Fahrt durch Nordschleswig hat der König am Mittwoch Vormittag Rödding besucht. In der Hochschule hielt Vorsteher Appel eine Begrüßungsrede und führte die königl. Hoheiten in der Hochschule umher. Um 12 Uhr fuhr das Königspaar nach Hadersleben weiter, wo der König einige Begrüßungsworte an die versammelte Menge richtete. Nach einem Frühstück auf der Jacht „Dannebrog“ ging die Fahrt um 2 ½ Uhr nach Aarösund und Aarö. Um 7 Uhr war festliche Tafel auf dem Königsschiff. Donnerstag morgen um 6 Uhr wurde die Reise über Bevtoft, Toftlund, Scherrebek nach Ballum und der Insel Röm fortgesetzt.

Nicht nur in den ersten Jahren nach der Einverleibung Nordschleswigs weilte das dänische Königspaar öfter in der Region. Christian X. war seit 1912 König und seit 1898 mit Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin verheiratet. Bis zu seinem Tod 1947 wird er noch viele Male Nordschleswig besuchen und sich zu Familientreffen auf Glücksburg einfinden.

 
Foto: DN

Dienstag, 11. Mai 1971
Der Turm von Babel soll wieder aufgebaut werden
Die irakische Regierung hat die Restaurierung Babylons, der alten Hauptstadt Mesopotamiens, aus eigenen Geldmitteln beschlossen, nachdem alle Appelle an einige internationale Einrichtungen um finanzielle und technische Unterstützung des Projekts ergebnislos geblieben sind. Über einen noch unbestimmten Zeitraum hinweg sollen mit einem Gesamtkostenaufwand von umgerechnet rund 100 Millionen Mark der Turm von Babel und die Hängenden Gärten neu aufgebaut werden.

Der Turm zu Babel gehört zwar nicht zu den Sieben Weltwundern, wohl aber die Hängenden Gärten der Semiramis. Beide gibt es als Neubauten bis heute nicht. Von den anderen sieben stehen nur unzerstörbar die Pyramiden von Gizeh. Das Zeusbild zu Olympia, der Koloss von Rhodos, der Leuchtturm von Alexandria sind unwiederbringlich verloren. Auch das ehemals turmartige Mausoleum von Halikarnassos, ein weiteres Weltwunder, gibt es nicht mehr. Immerhin wird es aber seit Langem intensiv erforscht. Von 1966 bis 1977 untersuchte der dänische Klassische Archäologe der Universität Aarhus, Kristian Jeppesen (1924-2014), die Reste des ehemaligen großen Grabmals in der Nähe der Stadt Bodrum an der Südwestküste der Türkei. Die Forschungsergebnisse begann Jeppesen ab 1981 zu publizieren. Seither liegen sechs große Bände mit den Untersuchungen und Rekonstruktionen von ihm und seinen Mitarbeitern als „Reports of the Danish Archaeological Expedition to Bodrum“ vor.

 

Freitag, 14. Mai 1971
5,2 Millionen Autos zwischen Krusau und Hadersleben
Zahlen dokumentieren die Notwendigkeit der Autobahn durch Nordschleswig: Seit 1965 nimmt der Verkehr auf der A 10 zwischen Krusau und Haderleben stetig zu. Im Juli 1970 zählten die Statistiker zwischen Apenrade und Hadersleben durchschnittlich 14.800 Fahrzeuge pro Tag. Zwischen Krusau und Apenrade fuhren im Juli rund 11.000 Autos täglich auf der A 10. Das geht aus der Statistik des Straßendirektorats über die Verkehrsfrequenz auf den dänischen Hauptstraßen hervor.

 

Mittwoch, 19. Mai 1971
Der schwedische Schriftsteller Peer Fabian Lagerkvist wird am Sonntag, 23. Mai, 80 Jahre alt. Im Jahre 1951 bekam er den Nobelpreis für Literatur. Das von Edzard Schaper übertragene und 1950 in Deutschland erschienene bedeutende Romanepos „Barrabas“ schuf er ein Jahr vor der Zuerkennung des Nobelpreises. Gegen die Ideologie Hitlers gerichtet war Lagerkvists Roman „Der Henker“ von 1933.

Barrabas wird bekanntlich im Markusevangelium benannt und eingeführt. Das Volk erbat im Prozess Jesu von Pilatus seine Freilassung anstelle von Jesus. Damit ist Lagerqvist die Figur gegeben, dessen Leben er in seinem Roman, für den er den Nobelpreis erhielt, ausbreitete. Das Erlebnis der Kreuzigung erschüttert Barrabas zutiefst. Vom Schicksal umhergeworfen, sucht er, zum Glauben zu gelangen, was ihm nicht gelingt. In Rom trifft er auf Christen, die sich von ihm abwenden und ihn verurteilen. Allein Petrus spricht zu ihnen, die wie Barrabas auf ihre Kreuzigung warten: „Wir haben kein Recht, einen Menschen zu verurteilen, weil er keinen Gott hat.“ Der Roman kam in Deutschland gewissermaßen zur rechten Zeit. Lagerkvist war in Schweden seit Anfang an ein Gegner Hitlers und des Nationalsozialismus. So wurde sein Roman in Deutschland im Lichte der NS-Bewältigung und der Exkulpation gelesen. Auch Edzard Schaper, ein in Westdeutschland damals vielgelesener christlicher Autor zahlreicher Romane trug dazu bei. Lagerkvist wird heute in Schweden als bedeutender Autor der Humanität geachtet. Die Lagerkvist-Gesellschaft kümmert sich um sein Erbe. In Deutschland ist er vergessen. Ebenso wie sein Prophet Edzard Schaper.

 

Freitag, 21. Mai 1971
Lenins Stammtisch muss verschwinden
In diesen Wochen beginnen in der Spiegelgasse in Zürich die Abbrucharbeiten an einem Haus, dessen Verschwinden von manchem bedauert wird. Spiegelgasse 14 war die Wohnadresse von Lenin vom 21. Februar 1916 bis zum 2. April 1917. Im Erdgeschoss dieses Hauses, im Restaurant „Jakobsbrunnen“ hatte der Revolutionär Wladimir Iljitsch Uljanow seinen Stammtisch.

Auch der runde Tisch, der heute noch zum Inventar des Restaurants gehört, wird verschwinden. Ob der Tisch einen Liebhaber revolutionärer Souvenirs finden mag? Das klobige runde Möbel ist das letzte Überbleibsel aus Lenins Züricher Zeit – wenn er nicht irgendwann in der Zwischenzeit ausgetauscht worden ist.

Die Weltgeschichte macht gelegentlich sonderbare Volten. Diese sind zwar zufällig, geben jedoch Anlass zum Nachdenken. Am 21. Februar bezog Lenin seine Wohnung in der Spiegelgasse in der Zürcher Altstadt. Aber schon am 5. April eröffnete nur wenige Schritte weiter das  „Cabaret Voltaire“ in der Spiegelgasse 1, die Künstlerkneipe, in der die Dada-Bewegung ihren Anfang nahm. Was mag Lenin  von der Neugründung zu Ohren gekommen sein? Eröffnet wurde das „Cabaret Voltaire“ von Hugo Ball und seiner späteren Ehefrau Emmy Hennings, die dort oft auftrat. Emmy Ball-Hennings wurde 1885 in einem kleinen noch bestehenden Haus in der Steinstraße Ecke Apenrader Straße in der Flensburger Nordstadt geboren.

 

Sonnabend, 22. Mai 1971
Kunstmuseum „Holmen“ eingeweiht
Gestern Nachmittag eröffnete Kultusminister K. Helveg Petersen im Rahmen eines Empfangs mit zahlreichen geladenen Gästen aus dem ganzen Landesteil und aus Kopenhagen das Kunstmuseum „Holmen“ in Lügumkloster. Das Museum wurde vom Kulturverein in Lügumkloster errichtet, um der dem Ort von der Künstlerin Olivia Holm-Møller geschenkten Sammlung ihrer Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen einen würdigen Platz zu geben.

Das Museum „Holmen“ in Lügumkloster war schon immer in schwierigem Fahrwasser. Umso bemerkenswerter der Einsatz der Mitarbeiter und Ehrenamtlichen in den vergangenen Jahrzehnten. Schon die Anfänge waren schwierig. Die Künstlerin (Jahrgang 1875), die dem Haus ihre Sammlung stiftete, starb wenige Monate vor Eröffnung ihres Hauses. Ein seit langen Jahren beabsichtigter Neubau war wegen mangelnder Staatszuschüsse nicht verwirklicht worden. Die Gemälde der Künstlerin, mit denen das Museum begonnen hat, sind längst dem Museum in Holstebro übereignet. Die Tätigkeit des Hauses liegt in einem Aufmerksamkeitsschatten, denn sie wird weiter erschwert durch das schier übergroße „Museum Sønderjylland“, das zahlreiche Häuser vereint und nach dem Kopenhagener Nationalmuseum das zweitgrößte Museum Dänemarks ist! Über die aktuellen Schwierigkeiten berichtete die Redakteurin Monika Thomsen in unserer Zeitung bereits am 19. August vergangenen Jahres („Museum Holmen auf der Suche nach einem neuen Namen“).

Derzeit ist noch bis zum 15. August eine Ausstellung mit Werken des bekannten und hier nicht eigens vorzustellenden aus Sonderburg stammenden Malers Ken Denning zu sehen.

Der damalige Kultusminister Helveg Petersen – auch dessen Sohn und Enkel wurden Minister – gab mit Villy Sørensen 1978 die politische Essaysammlung „Oprør fra midten“ heraus, das in Dänemark lang anhaltende Diskussionen über die technokratische Moderne auslöste. Der Widerhall war so stark, dass das Buch ein Jahr später auch auf deutsch erschien: „Aufruhr der Mitte. Modell einer künftigen Gesellschaftsordnung“.

 

Dienstag, 25. Mai 1971
Das einzige Machtmittel der Volksgruppen ist das Recht
In der Hauptstadt der schwedischen Provinz Värmland ging am Wochenende der 21. Kongress der Föderalistischen Union der Europäischen Volksgruppen zu Ende. An zwei Tagen beschäftigten sich rund 60 Vertreter europäischer Minderheiten mit aktuellen Fragen  der Grenzgebiete und der Volksgruppen. Sie kamen aus Italien, aus Österreich, aus Deutschland, aus Dänemark, aus Belgien und aus den USA. Der Senator der Südtiroler Volkspartei in Rom, Dr. Friedel Volgger, wurde im Verlauf der Tagung für weitere zwei Jahre zum Präsidenten der Union gewählt. Dasselbe gilt für den Generalsekretär Poul Skadegaard, Kopenhagen, und für die Vizepräsidenten Jes Schmidt, Apenrade, Prof. Dr. Reginald Vospernek von den Kärntner Slowenen und Dr. Friedrich Paulsen von der Vereinigung nationaler Friesen.

 

Donnerstag, 27. Mai 1971
Dürer prägte das Wort „Gesichtspunkt“
Auf wie vielen Wohnzimmerwänden auch der Ritter an Tod und Teufel vorbeiblicken mag, Dürers volkstümlichste, am weitesten verbreitete Hinterlassenschaft ist weder ein Gemälde noch ein Kupferstich. Sondern – ein Wort.

In der „Vnderweysung der Messung mit dem Zircker vnd richtscheyt“ von 1525 heißt es: Alsdann far aus des gesichts puncten c mit geraden linien...“ Damit war Gesichtspunkt geprägt, ein Wort, ohne das die Hochsprache vonn heute nicht mehr auskommen könnte. Als Vorbild diente lateinisch „punctum visus“, Punkt des Sehens beim Zeichnen. Entsprechend ist bei Dürer „Gesicht“ noch in der ursprünglichen Bedeutung „das Sehen“ oder „die Augen“ verwendet, er meint allein den Blickwinkel, den Ort des Beobachters. Die heute fast ausschließlich anzutreffende übertragene, geistige Bedeutung von „Gesichtspunkt“ hat Leibniz hinzugefügt.

Dass man sich damals an Dürer erinnerte, lag an seinem Geburtstag am 21. Mai 1471 und den Ausstellungen von 1971. Es war namentlich jene des Germanischen Nationalmuseums. Man kann mit Recht behaupten, dass sie zu den bedeutendsten und bis heute nachwirkenden  Ausstellungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland zählt. Dürers „Unterweisung der Messung“ war – wie sein Werk überhaupt – ein epochemachendes Buch.

 

Donnerstag, 27. Mai 1971
Helgoland gewinnt Trinkwasser aus dem Meer
Die „Süßwasserfabrik“ dürfte gegenwärtig das wichtigste Bauprojekt auf der Nordsee-Insel Helgoland sein. Erstmalig in der Bundesrepublik entsteht auf Helgoland eine Anlage, die im Vakuumverfahren aus Meerwasser Trinkwasser herstellt. Die Versorgung mit Trinkwasser ist seit vielen Jahren für Helgoland, das steigende Gästezahlen aufweist, ein schwieriges Problem. Die auf der Insel vorhandene Süßwasserlinse reicht in besonders langen Trockenperioden nicht aus, um den Bedarf an Trinkwasser zu decken. Das Wasser wird dann mit gereinigtem Meerwasser „verschnitten“. Trinkwasser vom Festland kostet wegen des langen Transportweges etwa 25 Mark pro Kubikmeter. Die neue Meerwasserveredelungsanlage, die zur Saison 1972 in Betrieb genommen werden soll, wird täglich 800 Kubikmeter Trinkwasser liefern; dieses Wasser wird in etwa aus der doppelten Menge Meerwasser gewonnen. Zu den Baukosten von fünf Millionen Mark zahlt das Land einen Zuschuss von 1,5 Millionen Mark.

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