Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik Dezember 2021

Chronik Dezember 2021

Chronik Dezember 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Im Kopenhagener Fønix-Theater wurde am 11. März 1933 Zuckmayers bekanntes Schauspiel „Der Hauptmann von Köpenick“ aufgeführt, das in Deutschland jeder (zumindest als Verfilmung) kennt. In Dänemark stand man dieser preußischen Militärkomödie eher fremd gegenüber. Vor 50 Jahren wurde Zuckmayer 75 Jahre, am 9. Dezember 1971 wurde darüber berichtet. Foto: Frederiksberg stadsarkiv, Kopenhagen

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Chronik Dezember 2021 – Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN

Montag, 5. Dezember 1921

Dänische Hilfe für deutsche Kinder

Die Hilfsaktion Dänemarks für deutsche Kinder setzte sofort nach dem Schluss des Krieges ein und zwar waren es die Arbeiterorganisationen, welche die Initiative ergriffen. Im Ganzen haben dieselben 400.000 Kronen aufgebracht, deren wesentlicher Teil zur Bekämpfung der Kindertuberkulose verwandt worden ist. 15.000 deutsche Kinder haben Erholungsaufenthalt in Dänemark gehabt. In Berlin, Sachsen und Thüringen sind dänische Hilfsstationen ins Leben gerufen, wo warmes Essen, Kleider und Fußzeug verteilt werden. Im Winter sind außerdem Speiseanstalten eröffnet für tuberkulöse Kinder, wo 1.000 verpflegt werden.

Wir haben in den vergangenen Jahren immer mal wieder auf die Aufenthalte deutscher Kinder in Dänemark hingewiesen. Initiator dieser erfolgreichen Unternehmung war der bekannte Linkssozialist und sozialdemokratische Folketingabgeordnete J. P. Nielsen, den als „I. P.“ noch heute jeder kennt. Und zwar wegen der Gründung und Tätigkeit des „Sønderjysk Hjælpefond“, der notleidende Familien im Grenzland unterstützte. Die spätere Königin Ingrid begegnete Nielsen zuerst 1936, als sie mit ihrem Gemahl erstmals ihre später so geliebte Sommerresidenz in Gravenstein besuchte. Sie engagierte sich sofort und über Jahre für Nielsens Unternehmen. Durch ein Buch von Henrik Becker Christensen sind wir darüber gut unterrichtet (Kronprinsesse Ingrids Feriehjem for sønderjyske Børn 1939-1970. Aabenraa 1995). Für uns aber steht Nielsens Wirken für die Jahre nach 1916 obenan. Seit dem Steckrübenwinter 1916/17 organisierte er den Ferien- und Erholungsaufenthalt deutscher Kinder in Dänemark. Schnell brachte es ihm in ganz Deutschland den Ehrentitel „Kindervater“ ein. Selbst der der Sozialdemokratie so ablehnend gegenüberstehende Johannes Schmidt-Wodder unterstützte seine Kampagnen mit Aufrufen zur Unterstützung von Nielsens Unternehmung. Vor 100 Jahren gab die Geschäftsstelle des Ausschusses für die Versendung deutscher Kinder nach Dänemark des Deutschen Roten Kreuzes die Broschüre „Dänische Hilfe für deutsche Kinder“ heraus.

 

Montag, 5. Dezember 1921

Herzog Ernst Günthers Erben erbschaftssteuerfrei

Der dänische Finanzausschuss entschied am Freitag über die Frage der Erbschaftsabgabe für den Verkauf der nordschleswigschen Schlösser Herzog Ernst Günthers. Beschlossen wurde, den Erben die Abgabe in Höhe von 256.000 Kronen zu erlassen.

Zwei berühmte Weihestatuetten aus einem Tempel von Eschnunna in der Nähe von Nippur: der Mann im Halbrock, die Frau im Wickelmantel. Um 2900 vor Christus. Heute in der Schausammlung des Irakischen Nationalmuseums, Bagdad. Hinweise finden sich unter dem 6. Dezember 1921. Foto: Loschek, Mode- und Kostümlexikon

Dienstag, 6. Dezember 1921

Die älteste Rechnung einer Schneiderin ist auf einer Steintafel, die vom Tempel zu Nippur in Chaldäa stammt, entziffert worden. Sie betrifft 82 Kleider und Oberkleider, wovon 14 mit Myrrhen, Aloe und Kassia parfümiert waren. Die Einzelheiten waren nicht zu entziffern, es handelt sich dabei um geschäftlich-gewerbliche Ausdrücke, die der heutigen Welt fremd sind. Nach der Form der Schrift und der sonstigen Angaben ist diese Kleidermacherrechnung etwa in das Jahr 2800 vor Christi Geburt zu setzen.

Nippur, zwischen Babylon und Uruk und Ur gelegen, wird seit dem Ende des 19. Jahrhunderts besonders von US-Archäologen ergraben und beherbergt eine Fülle von sumerischen Textüberlieferungen. Diese Keilschrifttafeln haben vielfach Kleidungs- und Textil-Angelegenheiten zum Inhalt. Textilreste kamen natürlich nicht mehr aus dem Boden. Aber von bildlichen Darstellungen kennen wir die Moden der Zeit. Die zu ihrer Zeit führende deutsche Textilhistorikerin Ingrid Loschek (sie starb 2010), die auch in Ägypten lehrte, schrieb, die „erhaltenen Statuetten zeigen an Männern einen um den Unterkörper gewickelten Halbrock, ,Kaunakes’ oder ,Zottenrock genannt, an Frauen einen die rechte Schulter freilassenden, gewickelten Mantel. Rock und Mantel bestanden entweder aus gebüschelten, in waagerechten Reihen verbundenen Schafwollzotten oder aus einem in losen Kettfäden endenden Wollgewebe. Fransenschmuck blieb für die assyrisch-babylonische Kleidung charakteristisch.“ Der  deutsche Altorientalist Eckhard Unger beschrieb 1916, als er im Archäologischen Museum Istanbul tätig war, die sog. Nippur-Elle, die aus einem Tempel Nippurs stammt. Die Nippur-Elle ist der älteste Maßstab, der uns bekannt ist. Und mit der Elle rechnet der Schneider noch heute. Über Nippur unterrichtet gut ein Aufsatz des Altorientalisten Walther Sallaberger, der an der Münchner Universität heute die Assyriologie vertritt. Er hat auch einige Arbeiten zu Textilien des 3. und 2. Jahrtausends  verfasst. Alle sind im Netz leicht zu erreichen.

 

Montag, 12. Dezember 1921

Die Not der deutschen Presse

Der Vorstand des Vereins Deutscher Zeitungsverleger (Herausgeber der deutschen Tageszeitungen) erlässt folgende Erklärung:

Die deutsche Presse wird plötzlich vor die befürchtete, mit allen Mitteln bisher verhinderte Katastrophe gestellt. Die deutschen Zeitungen haben von den bis auf das Hundertfünfzigfache gestiegenen Preisen der Materialien und Herstellungskosten nur einen Teil auf Leser und Inserenten überwälzen können. Nun war der Wagen Druckpapier, der im Frieden zweitausend Mark kostete, bereits Ende November wieder erheblich verteuert worden, so dass der Preis für Dezember auf 37.000 Mark gestiegen war. Plötzlich wird hierauf ein weiterer sofortiger Aufschlag nochmals um mehr als das Doppelte des Friedenspreises verlangt und hierzu kommen die allgemeinen sprunghaften Verteuerungen und die enormen Erhöhungen der Löhne. So wachsen plötzlich die gesamten Produktionslasten in Riesensummen zusammen. Zu denen auch eine Verdoppelung der bisherigen Bezugsprise in gar keinem Verhältnis stünde.

Gegen Ende des Jahres 1921 stiegen die Preise in Deutschland im Gegensatz zu Dänemark dramatisch an. Pro Kilo zahlte man (in Mark):

 

Im Juli: / Im November:
Erbsen            4,70 / 10,25    
Kartoffeln       1,55 / 2,20
Brot                2,64 / 3,74
Margarine     20,40 / 56,50 
Zucker            8,00 / 11,00

Die Inflation nahm Fahrt auf.

 

Montag, 12. Dezember 1921

Tondern. Die staatlich unterstützte „Webstube“ (Vævestue) zur Erhaltung und Förderung der Heim-Industrie hat 50.000 Kronen bewilligt zur Wiederbelebung der Spitzenklöppelei. Man will versuchen, für Tonderner Spitzen Absatz in England Frankreich und in der Schweiz zu schaffen.

Die Spitzenklöppelei in Tondern war einstmals eines der führenden Handwerke. Der Spitzenhandel ernährte die Stadt. Das Tonderner Museum unterrichtet uns gut über die Kunst und den Handel. Seit langem spielt die Klöppelspitze in der Textilkunst kaum noch eine Rolle. So suchte man mit öffentlicher Förderung gegenzuhalten. Über diese Maßnahmen belehrt die kleine Schrift von Esther Jegind Winkel: Tønderkniplinger. Rids af Tønderkniplingens historie 1920-1995. Tondern 1996.

 

Donnerstag, 15. Dezember 1921

Reparation und Kreditfrage: Bericht Rathenaus im Kabinett

Das Reichskabinett (in Berlin) hat sich Donnerstag zum ersten Male mit dem ganzen Komplex der Reparationsfrage befasst. Rathenau, der zu der Sitzung zugezogen war, berichtete ausführlich über seine Londoner Besprechungen und Eindrücke. Dem Bericht Rathenaus ging ein politisches Exposé des Kanzlers voraus. Eine Beratung hat sich an die Ausführungen des Kanzlers und Rathenaus nicht angeschlossen. (…)

 

Donnerstag, 15. Dezember  1921

Reise Rathenaus nach Paris?

Paris. Drahtnachricht. In hiesigen politischen Kreisen verlautet, Dr. Rathenau werde demnächst zu Konferenzen nach Paris kommen.

Walther Rathenau (1867-1922), wohl eine der bemerkenswerten Gestalten der neueren deutschen Geschichte, Industrieller, Politiker und Autor, war der Erfinder und Organisator der Kriegsbewirtschaftung während des Weltkriegs. Nach dem Sturz der Monarchie bemühte er sich um Verständigung und Milderung der im Versailler Vertrag bestimmten Forderungen. Schon vor dem Krieg war er als Jude ins Kreuzfeuer der rechten Presse geraten, deren Angriffe Ende 1921 einen Höhepunkt erreichten. „Auch Rathenau, der Walther / Erreicht kein hohes Alter. / Knallt ab den Walther Rathenau / Die gottverdammte Judensau“ sangen damals auch nordschleswigsche Studenten. Die nordschleswigschen Zeitungen, auch die „Sonderburger Zeitung“, berichteten über Rathenau selten, im Gegensatz zu den hier gelesenen dänischen (Heimdal, Danevirke usw.), die oft über Rathenaus politisches Verhandlungsgeschick in Frankreich oder England schrieben. Die Hetze gegen Rathenau („Erfüllungspolitiker“) in Deutschland wird zunehmen und mit seiner Ermordung am 29. September 1922 kein Ende haben.

 

Mittwoch, 21. Dezember 1921

Atzerballig. In Helsingborg ist vor kurzem das Modell zu „Küsters Trine“ in Herman Bangs Roman „Das weiße Haus“ im Alter von 75 Jahren verstorben. Der Roman spielt bekanntlich in Atzerballig, dem Geburtsort Hermann Bangs.

 

Donnerstag, 22. Dezember 1921

Gravenstein. Am Dienstag wurde durch den Deutschen Jugendbund eine schöne würdige Weihnachtfeier veranstaltet. Einleitend brachte Lehrer Sprenger auf der Geige mit Klavierbegleitung von Frl. Reuter das Largo von Händel ausgezeichnet zu Gehör. Auch die weiteren von ihm gespielten Stücke und die Leistungen des von ihm geleiteten Chores waren ausgezeichnet und erfreuten das Ohr der Gäste. Einem gut vorgetragenen Prolog folgte ein stimmungsvolles Weihnachtsgedicht von Storm.  „Eiserne Weihnacht“ von Wildenbruch war so recht zum Entzünden der Herzen angetan und die Lautenlieder wurden mehrmals verlangt. Alle diese Sachen waren auf einen ernsten Ton gestimmt. Nach einer kurzen Pause kam der unterhaltende Teil. Die vorgetragene „Wette“ nach einem Gedicht von Fritz Reuter wurde vorzüglich gespielt und setzte die Lachmuskeln gehörig in Bewegung. Nicht minder erheiternd war die plattdeutsche Vorlesung von Apotheker Carstens. Die Krone aber setzte dem ganzen  das Singspiel „Die beiden Witwen“ auf. Frl. Hansen mit ihrer schönen Stimme spielte tadellos und hatte in Frl. Vorbeck eine gute Partnerin. Beim folgenden gemeinsamen Kaffeetisch brachte Dr. Reuter dem Jugendbund den Dank der Gäste zum Ausdruck; er hob hervor, dass das innere Wesen des Gravensteiner Jugendbundes nicht in leichter Äußerlichkeit bestehe, sondern sein Streben sei auf ernste und würdige Zwecke zur Erhaltung des Deutschtums gerichtet, ohne dabei den Frohsinn einzubüßen. Er wünschte dem Verein mit seinen Veranstaltungen, dass er so bleiben möge. Frl. Nissen dankte im Namen des Jugendbundes. Apotheker Carstens trug noch etwas Plattdeutsches vor und bat dann Frl. Nissen, der Seele des Jugendbundes, für ihre Mühe zu danken.

So oder so ähnlich wurden in den deutschen Jugendbünden  in ganz Nordschleswig deutsche Weihnachtsfeiern durchgeführt. Der Gravensteiner Jugendbund war Mitglied im Deutschen Jugendbund Nordschleswig, der im Jahr zuvor gegründet worden war und später als Deutscher Jugendverband Nordschleswig firmieren wird. Die einzelnen lokalen Bünde waren damals relativ selbständig.  

Die Violine spielte Wilhelm Karl Sprenger (1868-1941), der in  Westfalen geboren wurde und in Mettmann im Rheinland das Lehrerseminar besucht hatte. Seit 1892 war er in seinem Heimatort bei Gelsenkirchen Lehrer. Im Oktober 1909 wurde er Lehrer und Organist in Augustenburg, später auch Lehrer am Augustenburger Lehrerinnenseminar. Nach der Abstimmung blieb er in Nordschleswig und starb 1942 in Sonderburg. Fräulein Reuter konnte sich damals also keinen Geeigneteren für ihre Klavierbearbeitung eines der beliebtesten Stücke Händels wünschen als Sprenger. „Frl. Reuter“ war höchstwahrscheinlich die älteste Tochter des Gravensteiner Arztes Waldemar Reuter (1873-1950), unserem späteren bekannten Volksgruppen-Politiker. Reuter hatte nach dem Medizinstudium am 31. Mai 1901 Mally Bremer (1979-1962) in der Kirche von Göddekerode (heute ein Ortsteil von Osterwieck im Harz/Sachsen-Anhalt)   geheiratet. Dann übernahm er die Gravensteiner Praxis von A. W. Brieger in seiner Heimat (Reuter stammte aus Broacker). Das Ehepaar hatte drei Töchter und zwei Söhne. Wir können wohl davon ausgehen, dass alle fünf an der Weihnachtfeier teilgenommen haben.

Auch der Apotheker R. Carstens, der sehr auf Homöopathie setzte, und „Frl. Vorbeck“ aus einer Gravensteiner Seefahrerfamilie waren noch Jahre im Jugendbund tätig. Interessant zu wissen wäre, ob die Gravensteiner Lehrerin Margarethe Nielsen (geb. Leopold) auch an der Weihnachtsfeier teilgenommen hat. Sie war mit dem dänischen Landarzt Nis Peter Nissen verheiratet, der wie Reuter auch in Tübingen studiert hatte. Noch interessanter wäre es zu wissen, ob sie ihre vier Jahre alte gleichnamige Tochter Margarethe mitgebracht hatte. Denn  diese ist niemand anderes als die spätere Psychoanalytikerin und Autorin Margarethe Mitscherlich.

Das Kanonenboot „Panther“, das 1911 kurze Zeit Weltgeschichte schrieb („Panthersprung nach Agadir), lag zehn Jahre später während einer Vermessungs-Reise vor Skagen. Die Mannschaft besuchte die deutschen Seemannsgräber. Das Photo entstand wiederum zehn Jahre vor dem Panthersprung und stammt von dem Kieler Marine-Photographen Renard (1858-1934), das er für die Zeitschrift „Reclams Universum“ fertigte. Foto: Renard, Kiel

Freitag, 30. Dezember 1921

Deutsche Seemannsgräber in Skagen

Wie dänische Zeitungen berichten, war das Vermessungsschiff „Panther“ (bekannt aus der Agadir-Affäre) kürzlich auf Besuch in Skagen, wo die Offiziere und Mannschaften Kränze auf den deutschen Kriegergräbern niederlegten. Auf dem neuen Friedhof erhebt sich ein hohes Monument aus poliertem schwarzen Granit. Es ist ein deutsches Seemannsgrab, von einem einfachen Holzgitter umgeben. Zu Füßen des gegen zwei Meter hohen Denksteines, in dem der deutsche Reichsadler eingehauen, liegen die Symbole der Schifffahrt: Anker, Schiffsschraube, Glocke usw. Die Inschrift des Denkmals vermeldet: „In treuem Gedenken der beim Untergang des deutschen Torpedobootes „S. 41“ am 28. August 1895 westlich von Hirtshals verunglückten Kameraden (folgen 13 Namen). Gewidmet von den Offizieren und Mannschaften der deutschen Flotte.“ Darunter lesen wir: „Hier ruhen in Gott Torpedo-Obermatrose Allerkamp, Torpedomatrose Hannemann, Torpedo-Oberheizer Baetzel.“ Alle drei sind später an Land getrieben und ruhen in Skagens weißem Dünensand, kein deutsches Kriegsschiff ankerte einst vor Skagen, ohne dass nicht das Grab der Kameraden aufgesucht und geschmückt wurde. Während des Weltkrieges sind dann weitere Angehörige der deutschen Marine, Opfer der Skagerrakschlacht, auf Skagens armselig-kleinem Friedhof zur letzten Ruhe gebettet und auch auf ihrem Grabe erhebt sich ein Monument, das damals durch eine ergreifende Gedenkfeier geweiht wurde.

Die Agadir-Affäre, die eingangs erwähnt wird, musste 1921 den Lesern nicht eigens erläutert werden. Jeder erinnerte sich. Der damals schon so genannte „Panthersprung nach Agadir“ war die größte diplomatische und politische Krise vor dem Ersten Weltkrieg. Wilhelm II. hatte in offener Zurschaustellung der militärischen Macht  das Kanonenboot nach Agadir in Marokko geschickt und Frankreich wie England heftig brüskiert. Diese sog. Zweite Marokkokrise konnte zwar mit Mühe beigelegt werden, doch das Deutsche Reich geriet durch die unkluge Machtpolitik Wilhelms auf diplomatischem Terrain weiter in die Isolation.

Das Denkmal für jene gefallenen Seeleute der Skagerrak-Schlacht, die vor Skagen 1916 angespült und bestattet wurden. Die Besatzung des Vermessungsschiffs „Panther“, des ehemaligen bekannten Kanonenboots besuchte die Grabstätte, wie am 30. Dezember 1921 berichtet wird. Foto: Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge
 
Foto: DN

Mittwoch, 1. Dezember 1971

Unterzeichnungstermin ernstlich in Frage gestellt

Brüssel. Drei Wochen vor der geplanten Unterzeichnung der Beitrittsverträge der EWG (Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft)  und den vier Bewerberstaaten England, Dänemark, Norwegen und Irland und nach der bisher längsten Verhandlungsnacht der Beitrittsgespräche trennten sich die ermüdeten Außenminister gestern Mittag in Brüssel, ohne das noch offene Fischerei-Problem gelöst zu haben. Die Verhandlungen sollen am 11. Dezember fortgeführt werden.

Die Verhandlungen werden sich weiter hinziehen. Erst zwei Jahre später, am 1. Januar 1973, werden Großbritannien, Dänemark und Irland der EWG beitreten. Eines dieser Länder ist bekanntlich Anfang 2020 wieder ausgetreten. In Norwegen wird es 1972 eine Volksabstimmung geben, dann werden im September bei einer großen Wahlbeteiligung von 79,2 Prozent  53,4 Prozent gegen einen Beitritt des Landes stimmen.

Die Alvar Aaltos Finlandia-Halle in Helsinki, eine moderne Mehrzweckhalle für Konferenzen und Konzerte, ist seit ihrer Errichtung vor 50 Jahren eines der architektonischen Wahrzeichen der finnischen Hauptstadt. Foto: Wikipedia

Freitag, 3. Dezember 1971

Gestern eingeweiht: Alvar Aaltos Konzert- und Kongresshalle in Helsinki

Am 2. Dezember wurde Alvar Aaltos jüngstes Bauwerk in Helsinki, das Konzert- und  Kongresshaus Finlandia, eingeweiht. Finlandia ist die größte Konzerthalle im Norden und dürfte eine Art Musikzentrum für diesen Teil von Europa werden. (…)

Als Helsinki im Jahre 1962 sein 150jähriges Bestehen als Hauptstadt feierte, beschlossen die Stadtverordneten in einer Festgeneralversammlung den Bau eines neuen Konzert- und Kongresshauses. Ein solches Haus befand sich bereits in dem Plan für ein neues Zentrum der Stadt Helsinki, der von Professor Aalto entworfen worden war; folgerichtig wurde Aalto zum Architekten des Konzerthauses ausgewählt. Die Stadt hatte jedoch andere, frühere Bauprojekte, u. a. ein großes modernes Stadttheater, die zuerst verwirklicht werden sollten. Deshalb konnte Aaltos Bauwerk nicht früher als im Herbst 1969 begonnen werden. Jetzt steht das Haus also fertig – im weißesten Marmor und schwärzesten Granit.

Das bekannteste Gebäude  Alvar Aaltos (1898-1976) in Dänemark ist das Nordjütland Kunstmusuem „Kunsten“, das etwa zur selben Zeit wie das oben beschriebene finnische errichtet wurde. In der damaligen Bundesrepublik, wo Aalto mehr als anderswo baute, war gerade die Stephanuskirche in Wolfsburg, wo er mehrere Gebäude errichtete, eingeweiht worden. Am imposantesten aber ist der Bau in Helsinki.

 

Freitag, 3. Dezember 1971

16 Jahre für Deutschen in Südtirol-Prozess

In einem Berufungsverfahren hat ein Florenzer Gericht den aus Osnabrück stammenden Hans Christian Genck zu 18 Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Das Gericht befand Genck schuldig, an dem blutigen Sprengstoffattentat vom 27. Juli 1967 an der Südtiroler Porzescharte beteiligt gewesen zu sein. Das Verfahren, das in Abwesenheit aller Angeklagten stattfand, bestätigte die lebenslänglichen Freiheitsstrafen gegen die vier Hauptangeklagten aus Österreich.

Bei dem sog. Anschlag an der Portescharte in Südtirol starben am 25. Juni 1967 vier italienische Soldaten durch Minenexplosionen. Man hatte auf italienischer Seite schnell die Schuldigen benannt: den Südtiroler Befreiungsausschuss, der seit Mitte der 50er Jahre terroristische Bombenattentate (Überlandleitungsmasten usw.) verübte. Die öffentliche Reaktion war erhitzt. Der Ausschuss bestritt jedoch die Aktion. Prozesse fanden dennoch gegen zahlreiche Personen statt und wurden mit Strafen bis zu lebenslänglich geahndet. Es scheint aber heute – die Akten können immer noch nicht als geschlossen gelten – übereinstimmend die Meinung zu herrschen, dass es sich um ein Unglück der italienischen Armee handelte. Interessierte Kräfte wussten die Vorkommnisse in die gewünschte Richtung zu lenken.

 

Sonnabend, 4. Dezember 1971

Ein Riesen-Dorsch, der größte, der jemals in Dänemark gefangen wurde, gelangte Donnerstag auf dem Fischmarkt zu Thyborön. Der Fisch war 1,52 Meter lang und wog 35 Kilo. Der Dorsch ist nur 17 cm kürzer als der Weltrekord-Dorsch, der 1940 im Barentsmeer gefangen wurde  und 1,62 Meter lang war.

 

Dienstag, 7. Dezember 1971

Krankenhaus Hadersleben wieder acht Millionen Kronen teurer

Seit dem vergangenen Jahr sind die Ausgaben für das neue Haderslebener Krankenhaus um acht Millionen Kronen gestiegen. Sie belaufen sich jetzt auf 173 249 000 Kronen gegenüber 165 Millionen am 30. September 1970. Das erklärte der Vorsitzende des Krankenhaus-Ausschusses, Eugene Ibsen (Tondern), der gestern dem Amtsrat einen ausführlichen Bericht über den gegenwärtigen Stand des Haderslebener Millionen-Projekts gab.

Kritische Berichte über das Krankenhaus erschienen von Zeit zu Zeit in unserer Zeitung, kürzere und längere. Immer war der Autor übrigens der spätere Chefredakteur Siegfried Matlok. Heute ist das Krankenhaus auch wieder Gegenstand des redaktionellen Interesses. Es ist bekanntlich gebaut worden, tat aber nur wenige Jahrzehnte seinen Dienst und harrt heute einer neuen Nutzung, aber das auch schon einige Jahre.

„Der Köpenicker Handstreich“ des arbeitslosen Schusters Voigt im Jahre 1906 wurde sogleich überall im Deutschen Reich bekannt, wie diese Postkarte beweist. Noch bekannter wurde er aber erst durch Carl Zuckmayers Komödie von 1931. - Jedoch nicht in Dänemark, wie unter dem 9. Dezember 1971 zu lesen. Foto: Deutsches Historisches Museum, Berlin

Donnerstag, 9. Dezember 1971

Bundespräsident Dr. Gustav Heinemann wird in einer Feier zum 75. Geburtstag (27. Dezember) des Schweizer Dramatikers Carl Zuckmayer in Amriswil (Kanton Thurgau) am 9. Januar eine Ansprache halten, teilte der Leiter des Freundeskreises für Literatur in Amriswil, Dino Larese, mit. Carl Zuckmayer lebt in Saas Fee (Kanton Wallis).

Carl Zuckmayer (1896-1977)  war vor wie nach seiner Emigration in Deutschland ein gelesener und als Dramatiker besonders viel gespielter Autor. Noch heute sind viele Dutzend Bücher von und über ihn im deutschen Buchhandel zu haben. In Dänemark ist das anders, er wurde nicht oft vorgestellt.

„Der Hauptmann von Köpenick“, wohl die bekannteste und zugleich populärste und mehrfach verfilmte Arbeit Zuckmayers wurde am 5. März 1931 am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt.

Immerhin schon zwei Jahre später, am 11. 3. 1933, ging das Stück als dänische Erstaufführung im Fønix Teatret über die Bretter. Das Fønix (heute unter einem anderen Namen) liegt gegenüber vom Frederiksberg Have an der Frederiksberg Allé.

Die Übersetzung des Stücks (Kaptajnen fra Köpenick. Et tysk Æventyr) stammte von dem Autor Axel Beidahl (1876-1948). Da er als Texter für das dänische Revue-Theater Erfolg hatte, meinte man wohl, er sei der richtige Mann für das deutsche Erfolgsstück. Sein Biograph und Freund Carl Dumreicher sagte von ihm, er sei „en typisk representant for de lyse, elskværdige københavner humør“. Dennoch gefiel Zuckmayers Stück in Kopenhagen nicht. Vielleicht war es zu preußisch, zu preußisch-militärisch, so dass die Dänen es nicht verstanden. Erst 1971/72 (Gladsaxe Teater) und dann nochmals 1973 (Det danske Teater) wurde es wieder (abermals nicht erfolgreich) ins Programm genommen. An Büchern erschien in Dänemark von Zuckmayer nur „Die Fastnachtsbeichte“ im Jahre 1961 (Skriftemålet).

 

Mittwoch, 22. Dezember 1971

Autobahn-Hochbrücke Rade jetzt endgültig geschlossen

Die neue Hochbrücke Rade bei Rendsburg über den Nord-Ostsee-Kanal wurde gestern endgültig zusammengefügt. Aus diesem Anlass besichtigte der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Narjes die Baustelle und feierte mit den Bauarbeiten das Schließen der von beiden Ufern vorgebauten Stahlträger der Fahrbahnkonstruktion.

Sieht man einmal von dem See- und dem Luftweg ab, so ist die Autobahn die mit der Rader Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal führt, die einzige ernst zu nehmende Verbindung Dänemarks in den Süden. Täglich benutzen ca. 55.000 Fahrzeuge die Brücke, also durchschnittlich (Tag und Nacht) 40 pro Minute, also knapp jede Sekunde eines.

 

Freitag, 31. Dezember 1971

Beefsteaks in Senfsauce

Zutaten: 1 Pfund zartes Rindfleisch, 1 Brötchen, Salz, Pfeffer, 1 Zwiebel, Fett, Margarine, 1 Teelöffel Senf, Mehl.

Rindfleisch durch die Fleischmaschine drehen, mit dem eingeweichten und ausgedrückten, zerrupften Brötchen, sowie feingehackten Zwiebel, Salz und Pfeffer vermischen. Aus diesem Fleischteig Beefsteaks formen, in reichlich Fett kurz auf beiden Seiten backen, aus der Pfanne nehmen und warmstellen. In die Pfanne etwas Margarine geben, Senf, wenig Mehl dazu, alles zusammen gut verrühren und ablöschen. Sauce durchsieben, über das Fleisch geben und letzteres noch einige Zeit auf kleinem Feuer darin ziehen lassen.

Mit diesem letzten Gericht endet das letzte Kapitel („Fleischgerichte“) auf der letzten Seite der letzten Ausgabe des „Nordschleswigers“ am letzten Tag des letzten Monats des Jahres 1971: „ ... letzteres noch einige Zeit auf kleinem Feuer darin ziehen lassen.“

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