Vor 100 und vor 50 Jahren

Chronik April 2021

Chronik April 2021

Chronik April 2021

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Nordschleswig
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Der Hafen von Willemstad auf Curacao war Heimathafen der „Mommark“. Zu Beginn ihres Daseins war sie in nordschleswigschen Gewässern unterwegs, wie am 3. April 1971 berichtet wurde Foto: Wikipedia.com

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Chronik April 2021 – Vor 100 und vor 50 Jahren

Foto: DN

Freitag, 1. April 1921
Aufruf !

Jeder kennt die Not der deutschen Kinder in den Städten und in den ärmeren Wald- und Gebirgsgegenden Deutschlands. Wir sind die ersten, da zu helfen und die staatliche Trennung von Deutschland hindert nicht, es zu tun. Das dänische Kinder-Hilfswerk, das helfend einzugreifen sich zum Ziel gesetzt, ist bereit, die kostenfreie Hin- und Herreise und bei Erkrankung der Kinder die daraus entstehenden Kosten zu tragen und alles nötige zu vermitteln. Was nötig ist, ist nur so schnell wie möglich sich zu melden, dass man bereit ist, ein Kind aufzunehmen, ev. auch Wünsche zu äußern, dass man bestimmte Kinder, die man bereits gehabt, wieder wünscht. Um die Angelegenheit zu beschleunigen, erbitte ich Anmeldungen direkt an mich.

J. Schmidt, Tondern, Carstenstr. 5.

Dieser Aufruf diente als Aufmacher der Seite 1 und zeigt damit, welch hohe Bedeutung man der Aufnahme deutscher Kinder aus dem Süden beimaß. Er stammt von der Hand Johannes Schmidt-Wodders, der seit einiger Zeit als Abgeordneter im Folketing saß.

Etwa zwanzig Jahre zuvor war Ellen Keys bald weltbekanntes Werk „Das Jahrhundert des Kindes“ erschienen (schwedisch 1900, deutsch 1901). Kaum eine größere Differenz lässt sich denken zwischen der optimistischen Schau der schwedischen Pädagogin und Frauenrechtlerin und der Lage von Millionen von Kindern im Deutschland der damaligen Nachkriegszeit. Das Alte Europa war untergegangen und unwiederbringlich verloren.

Der Krieg und besonders der Hunger während der Versorgungskrise 1916/17 führten zur Gründung der Berliner Reichszentrale für die Entsendung von Kindern zum Erholungsaufenthalt und dem Verein Landaufenthalt für Stadtkinder e. V. Hunderttausende deutscher Kinder erlebten einen mehrmonatigen Aufenthalt auf dem Lande.

Die sog. „Kinderlandverschickung“ späterer Jahre war somit keine Erfindung der Nationalsozialisten, wie oft immer noch angenommen, sondern schreibt sich letztlich von den sozialreformerischen Gedanken des 19. Jahrhunderts her. Wie erfolgreich der Aufruf in Nordschleswig war, kann der Chronist leider nicht sagen. Vielleicht gibt es irgendwo Erinnerungen der Urgroßeltern-Generation?

 

Sonnabend, 2. April 1921
Kabale und Liebe. Zur Aufführung am Freitag

Mit Spannung hatte man dieser Aufführung eines klassischen Werkes durch einheimische Kräfte entgegengesehen. Vermessenheit schien es vielen zu sein. Und ein mitleidiges Lächeln sah man. (…)

Es war fürwahr eine Leistung, die weit hinausragte über alles, was wir bisher in Sonderburg von Einheimischen sahen. Mancher wird bei dieser Gelegenheit so recht empfunden haben, was für ein seichter Kitsch im allgemeinen heutzutage über die Bühnen geht. (…)

Nicht nur das Stück war wertvoll. Auch die Aufführung. Sie hätte denselben starken Eindruck selbst in einer verwöhnten Großstadt hinterlassen.

Das deutsche kulturelle Leben in Sonderburg war in den Jahren unmittelbar nach der Abstimmung recht rege. Vielfach noch in der Hand der Lehrer der Abbauklassen der Sonderburger ehemals deutschen Oberrealschule, gab es Kunstausstellungen, Theateraufführungen, Vorträge, Exkursionen usw. Leider ist über diese Tätigkeit allzuwenig bekannt.

Was das Theaterleben angeht, gab es in Sonderburg sogar neben den dänischen Vereinigungen  zwei (deutsche) Vereine, die sich allerdings manchmal gegenseitig im Wege standen, den Theaterverein „Excelsior“ und den Verein „Sonderburger Stadttheater“. Auch andernorts wird es bald Theater-Aktivitäten geben, nicht nur geförderte Reisen zum Flensburger Stadttheater. In Tondern wird sich der Theaterverein „Apollo“  um Theaterdarbietungen kümmern, in Apenrade die „Kommission für wissenschaftliche und künstlerische Darbietungen“ innerhalb des Bürgervereins.

Auguste Victoria (1858-1921), die letzte deutsche Kaiserin von 1888 bis 1918. Tochter des Herzogs Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg Foto: Wikipedia.org

Montag, 4. April 1921
Verschlimmerung im Befinden der Kaiserin

Über das Befinden der Kaiserin wurde folgender ärztlicher Bericht ausgegeben: Der körperliche Verfall schreitet langsam und unter Schwankungen aber ersichtlich fort. In den letzten Tagen war das subjektive Befinden wieder schlechter. Nur die liebevolle und sachkundige Pflege durch die Familienmitglieder und die Pflegerinnen haben bisher die Kaiserin erhalten.

In der Zeit des Kaiserreichs war es üblich, über das Befinden des Herrschers und seiner Familie unterrichtet zu werden. Wie ein letzter Rest des jahrhundertealten Hofzeremoniells, nach der das Leben des Herrschers ein öffentliches Leben war, wurden ausführliche ins Einzelne gehende Bulletins über die körperlichen Beschwerden veröffentlicht.

Das Befinden der (ehemaligen) Kaiserin traf in Nordschleswig natürlich auf besonderes Interesse, stammte sie doch aus dem Augustenburger Herzogshaus. Sie war einstmals ein oft gesehener Gast. Sie besuchte ihre 1910 gestorbene schriftstellernde Schwester Feodora oder ihren im Februar 1921 verstorbenen Bruder Ernst-Günther. Oft besuchte sie ihre Söhne um 1900 auf der Plöner Kadettenakademie.

Auguste Victoria starb am 1. April 1921. Die „Sonderburger Zeitung“ meldete ihren Tod ganzseitig mit Trauerrand, wie es viele deutsche Zeitungen machten. Die Kaiserin -  mit diesem Titel wurde sie immer noch angesprochen - wurde im ehemaligen sog. „Antikentempel“ im Park des Neuen Palais in Potsdam beigesetzt. Unsere Zeitung erinnerte zum 50. Jahrestag an die Beisetzung: Am 11. April bewegte sich von der holländischen Grenze langsam ein Trauerzug der Eisenbahn durch die Städte und Dörfer bis Potsdam.

An jeder kleinen Station hielt der Zug. Es gab Kränze und Blumen in unübersehbarer Fülle an jedem Bahnhof, während die Glocken  aller Kirchen den Abschied läuteten.

Im Park von Sanssouci in Potsdam waren über zweihunderttausend Menschen versammelt. Hier hatte die letzte Kaiserin sich ihre Ruhestätte erbeten: Im Antikentempel, der vor 200 Jahren nach einer Skizze Friedrichs des Großen der Baumeister Gontard ursprünglich für die Sammlung der Antiken errichtet hatte.“Der Chronist hat den kleinen Bau voriges Jahr umschritten und kopfschüttelnd seinen maroden Zustand beobachten dürfen.

 

Pastor Beuck (1887-1985) Foto: Museum Sonderjylland Mediearkiv

Dienstag, 5. April 1921

Pastor Beuck wurde einstimmig zum deutschen Pastor in Tondern gewählt Die Wahl Pastor Beucks zum Pastor der deutschen Gemeinde in Tondern ist, so schreibt Pastor Schmidt in den „Neuen Tondernschen Zeitung“, besonders erfreulich durch die Einstimmigkeit, ihn als ihren Pastor zu wünschen. Der vorhergehende Gottesdienst zeigte Beuck ganz wie er ist, ein Mann und ein Christ. Die Entschiedenheit seiner Verkündigung war nicht um einen Grad gemildert, eher verstärkt, aber die Entschiedenheit heißt bei ihm nie etwas anderes, als dass der ganze Mann hinter jedem Wort steht und das warme Herz, das nicht um Gunst wirbt, wohl aber um den Menschen.“

Pastor Karl Beuck wurde 1887 in Holebüll geboren  und wurde nach dem Kriegsdienst 1919 Diakon in Sonderburg, was das große Interesse unserer Zeitung (Artikel hier gekürzt) erklärt. Pastor Schmidt, dessen Artikel zitiert wird, ist niemand anderes als Johannes Schmidt-Wodder, damals seit kurzer Zeit Abgeordneter im Folketing und unermüdlicher Mitarbeiter der Zeitung in Tondern. Anders als Schmidt-Wodder, der sich später willfährig der NS-Ideologie hingab, war Beuck zeitlebens ein unbeugsamer Gegner des Regimes, namentlich auch während der Besetzung. Diese Unbeugsamkeit, die er auch in gefährlichen Situationen bewies, macht ihn für uns zu einer der erinnerungswürdigsten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte in Nordschleswig.

 

Montag, 11. April 1921
Ein Gedenktag der Griechen

Die Jahrhundertfeier des griechischen Freiheitskrieges wurde am 7. April überall in griechischen Landen begangen, trotz des neuerlich fortgesetzten Krieges in Kleinasien. Und wahrlich, die Griechen haben allen Grund, stolz zu sein auf das, was sie seit 1821 erreicht haben. Wer sich klar machen will, welche Bedeutung der Griechenaufstand hatte, muss sich die Lage in Europa um 1820 ins Gedächtnis rufen. Auf der einen Seite die Heilige Allianz, auf der anderen der Imperialismus der Türkei bestimmten die Geschicke der Völker. Loyalität und Konservatismus regierten in Österreich, Preußen, England, Russland. Die Lage war denkbar ungünstig für eine aufrührerische Bewegung des Kleinsten der Kleinen, des David gegen den türkischen Goliath. Trotzdem taten die griechischen Ideen der Freiheit, von griechischen Studenten aus Paris und Leipzig nach Griechenland getragen endlich ihre Wirkung.

 

Mittwoch, 13. April 1921
An die deutschen Frauen Sonderburgs.

Es ist angeregt worden, dass deutsche Frauen Sonderburgs auf die Bahre unserer Kaiserin einen Kranz legen lassen sollten. Dazu bietet sich eine Gelegenheit. Die Kranzspende ist gedacht als letzter Gruß aus der Heimat, von den Stätten, wo die Kaiserin in glücklicheren Zeiten so gern Erholung suchte. Damit die Beteiligung an der Spende möglichst allgemein werde, ist in der Geschäftsstelle der „Sonderburger Zeitung“ ein Bogen ausgelegt, und es werden bis Sonnabend Scherflein erbeten, von 25 Öre bis 1 Krone. Eine Veröffentlichung der Spendenliste wird nicht erfolgen.

 

Freitag, 15. April 1921

Zum 1. April verzog Apotheker Padel von Christiansfeld nach Niesky in Schlesien an die dortige Apotheke. Die Brüdergemeine führt Unterhandlungen mit dem dänischen Staat zwecks Verkauf oder Verpachtung der Apotheke.

Die Apothekerfamilie Padel war in Christiansfeld seit dem Ende des 18. Jahrhunderts ansässig. Abraham Gottlieb Padel übernahm 1793 die wenige Jahre zuvor gegründete Apotheke. (In den ersten Jahren der Brüdergemeine gab es noch keine stationäre Apotheke.) Der Urenkel Wilfried Theodor Padel verkaufte das Unternehmen am 31. Mai 1921. Der heute noch bestehende Ursprungsbau in der Lindegade 21 steht natürlich unter Denkmalschutz. Bekanntlich ist die Brüdergemeine Christiansfeld UNESCO-Weltkulturerbe. Bis auf den heutigen Tag findet sich dort seit bald 230 Jahren die Apotheke.

 

Montag, 25. April 1921
Ein neues Werk von Georg Brandes

Der bekannte dänische Literaturhistoriker Georg Brandes hat immer wieder seine große Bewunderung für Michelangelos mächtigen Geist und geistigen Kampf hervorgehoben. Schon früh hat Georg Brandes behauptet, dass dieser Gigant der Renaissance von Bedeutung für seine Entwicklung gewesen sei, und 1900 begann er ernsthaft mit dem Studium seiner Werke. 1818 vertiefte er sich ganz in das Wesen seiner Arbeiten, und nun hat Georg Brandes sein Buch über Michelangelo beschlossen. Nach einem Monat wird es bei Gyldendal erscheinen, wo es eine besonders schöne Ausstattung erhält. Es wird mit über 100 Illustrationsbeilagen versehen, die auf englischem, gestrichenen Kunstdruckpapier gedruckt sind. Das Werk wird in zwei Bänden vorliegen.

Der Chefredakteur der „Sonderburger Zeitung“, kam in den Jahrzehnten seines Sonderburger Zeitungs-Daseins immer wieder auf Brandes zu sprechen, dessen Wirken er sich offenkundig sehr verbunden fühlte. Brandes befasste sich seit langem mit Michelangelo. Seine Monografie reiht sich ein in die Reihe seiner großen Biografien zu Voltaire und Goethe. Mit dem Franzosen und dem Deutschen behandelt Brandes nun einen Italiener in seinem Konzert der Europäer. In der Atmosphäre des Vitalismus und Darwinismus um 1900 ist das Werk entstanden. Es sind die großen Männer, die die Weltgeschichte machen. Michelangelo als Großkünstler und Inbegriff der Renaissance gehört dazu. Er ist das unauslotbare Ingenium. Als Schlüssel für das damalige Verständnis von Michelangelo können wir Rilkes Anfangsverse eines Gedichts von 1899 setzen „Das waren Tage

Michelangelo´s, / von denen ich in fremden Büchern las. / Das war der  Mann, der über einem Maß, /  gigantengroß, / die Unermesslichkeit vergaß.“

Das große Interesse an Michelangelo wurde damals - das Bildungsbürgertum war noch nicht zerstört – auch durch andere Biografien befriedigt. Als Longseller kann die Monografie von Herman Grimm (1828-1901) gelten. Der Sohn von Wilhelm Grimm veröffentlichte 1860 erstmals seine zweibändige und fast tausendseitige Biografie des Künstlers, die 1921dann bereits in 17. Auflage erschien! Andere konnten auf die Monografie des Fachwissenschaftlers Hans Mackowsky zurückgreifen, der damals Kustors an der Berliner Nationalgalerie war. Seine Monografie erschien 1921 in dritter Auflage (erstmals 1908).

In die Tradition der Brandes-Monografie gehört „Das Leben Michelangelos“ von Romain Rolland, das 1922 das 80. Tausend (es erschien erstmals 1905 auf Deutsch)  erreichte! Die innere Verwandtschaft der beiden „Europäer“ Brandes und Rolland ist auf vielen Gebieten nachweisbar.

Als Dauerbrenner erwies sich „Michelangelo“, die Monografie der „Blauen Bücher“ des Langewiesche-Verlages – ein Volksbuch „mit 100 Abbildungen“, das in fast keinem gebildeten Bürgerhaushalt fehlte. Es erschien erstmals 1911 und erreichte 1922 schon eine Auflage von weit über hunderttausend Exemplaren. Es stammt von der Hand des Museumsmannes Max Sauerlandt, dem Förderer Emil Noldes. Das Interesse an Michelangelo hat nie wieder eine solche Intensität erreicht wie damals.

 

Dienstag, 26. April 1921
Die Ålandinseln

Die Nachricht, dass die Åland-Kommission des Völkerbundes entschieden habe, dass die Åland-Inseln Finnland zufallen sollen, wird von dem Pariser Korrespondenten der Stockholmer Tidning bestätigt. Er meldet, Åland soll unter finnischer Souveränität bleiben, aber diese Souveränität soll sehr stark eingeschränkt werden. Nicht bloß die Åländer, sondern auch die schwedische Bevölkerung in Finnland soll weitgehende internationale Bürgschaften zur Sicherung ihrer Kultur und ihrer Interessen erhalten. In militärischer Hinsicht soll Åland unter internationaler Kontrolle neutralisiert werden.

Finnland hatte sich bereits im Dezember 1917 für unabhängig erklärt. Zuvor war es als teilweise selbständiges Fürstentum Teil des russischen reiches. Die Bewohner der zwischen Finnland und Schweden gelegenen  Ålandinseln – mehrheitlich Schwedisch sprechend -  entschieden sich für die Vereinigung mit Schweden. Nach der Gründung des Völkerbundes 1919 begannen bald die Unterhandlungen über die Zukunft der Inseln.  Die endgültige Entscheidung über den Verbleib bei Finnland fiel jedoch erst am 24. Juni 1921, zuvor waren Meldungen durchgesickert, die die Presse natürlich aufnahm. Die Inseln wurden als entmilitarisiertes und neutralisiertes  Gebiet mit weitgehender Autonomie Finnland zugesprochen. Die Selbständigkeit besteht – 1951 noch erweitert – bis heute.

 
Foto: DN

Sonnabend, 3. April 1971
Union-Reeder Riis will „Mommark“ verkaufen

Union-Reeder N. Th. Riis will sein Flaggschiff „Mommark“ verkaufen. Gesundheitliche Gründe, so erklärte er gestern, zwängen ihn zu diesem Schritt. Sein Arzt habe ihm geraten, täglich höchstens vier Stunden zu arbeiten. Augenblicklich sei er aber achtzehn Stunden am Werk. Die „Mommark“, 1968 in Husum gebaut und nach dem kleinen Hafen auf Alsen benannt, fuhr für die Sonderburger Union-Reederei Riis die Strecke Flensburg -Ærø, auch  nachdem sie 1971 an die Flensburger Förde-Reederei verkauft worden war. Seit 1976 bediente sie von Kiel aus die deutsch-dänischen Gewässer (vgl. unsere Abbildung), später von Heiligenhafen aus (sog. Butterfahrten). Nach der Jahrtausendwende wurde sie nach Curacao verkauft. Die Insel, 60 km nördlich der Küste von Venezuela gelegen, gehörte damals und gehört noch heute zu den Niederlanden, und zwar seit 1634, und war und ist ein beliebtes Urlaubsziel zahlungskräftiger Reisender. Das Schiff wurde nun unter dem Namen „Seamaster“ für touristische Tagesfahrten eingesetzt. Ihr Heimathafen war nunmehr Willemstad, die damalige Hauptstadt von Curacao. 2013 lief sie auf ein Riff und havarierte. Im Mai dieses Jahres wurde sie abgewrackt.

Die „Mommark“ im Kieler Hafen in den 1970er Jahren Foto: Stadtarchiv Kiel

Donnerstag, 8. April 1971
Der Chefredakteur von „Politiken“, Harald Engberg, ist im Alter von 61 Jahren gestorben. Mit seiner Persönlichkeit prägte er mehr als 25 Jahre lang das große Kopenhagener Blatt.

 

Mit dem überraschenden Tod Harald Engbergs (1910-1971) verlor die dänische Publizistik einen ihrer bedeutendsten Köpfe. Er begann als Theaterkritiker, der er eigentlich immer blieb. Es ist selten, dass ein Kulturjournalist  Chefredakteur einer führenden Zeitung wird. Zahlreiche seiner Arbeiten wurden als selbständige Publikationen herausgegeben. Das deutsche Publikum kennt ihn als Verfasser von „Brecht auf Fünen. Exil in Dänemark 1933-1939“, das auf Deutsch erst nach seinem Tod 1974 erschienen ist, auf Dänisch bereits 1966 vorlag.

 

Sonnabend, 17. April 1971

Die Schriftstellerin Tove Ditlevsen wurde gestern Nachmittag mit dem Gyldendal-Preis ausgezeichnet. Der mit 10.000 Kronen dotierte Preis wurde damit zum 14. Male vom Verlag Gyldendal vergeben.

Auf Tove Ditlevsen, die bedeutendste Autorin Dänemarks ihrer Generation, muss nicht eigens hingewiesen werden. Wir nehmen die damalige Nachricht gleichwohl zum Anlass, auf drei Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt hinzuweisen: „Kindheit“, „Jugend“ und „Abhängigkeit“, die drei Bände der sog. „Kopenhagen-Trilogie“ Tove Ditlevsens. Sie sind in einer Neuübersetzung von Ursel Allenstein vor wenigen Wochen im Berliner Aufbau Verlag erschienen.

Die kunstvoll ausgemalten Initialen des Buchs von Flatey sind kunstvoll ausgeführt und haben oftmals blutrünstige Szenen zum Inhalt. Foto: Universität Reykjavik

Donnerstag, 22. April 1971

„Ihr habt allen Völkern der Erde ein Vorbild gegeben“

Die gesamte Bevölkerung der isländischen Hauptstadt Reykjavik war gestern am Hafenkai versammelt, als drei dänische Marinesoldaten drei Pakete mit alt-isländischen Handschriften an Land trugen. Die Rückkehr des Flatö-Buchs und des Codex Regius, zwei der wichtigsten Quellen der isländischen Geschichte, zu der sagenumwobenen Insel  wurde mit lautem und anhaltendem Beifall begrüßt. Unmittelbar nachdem die Handschriften an Land getragen waren, brachte Staatsminister Johan Hafstein ein dreifaches Hurra auf Dänemark und das dänische Volk aus.

Die Stadt hatte überall Fahnenstangen aufstellen lassen, von denen die isländischen und dänischen Farben im kühlen Wind flatterten. Aus Anlass des Tages hatte die isländische Post einen Sonderstempel mit der Aufschrift „Handritin komin heim“ (die Handschriften sind wieder heimgekehrt)  herausgegeben.

Der Codex Regius ist die Haupthandschrift der sog. Lieder-Edda. Als Edda werden sowohl das von Snorri Sturluson verfasste Handbuch der Skaldendichtung (Snorra Edda) als auch eine Sammlung von Götter- und Heldenlieder genannt, die im Codex Regius überliefert sind. Der Codex aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist eine Handschrift, die lange in isländischem Privatbesitz war. 1643 bemächtigte sich der isländische Bischof Sveinsson, der von einem Hof im äußersten Nordwesten der Insel stammte und in Kopenhagen studiert hatte, der Handschrift, um sie 1662 König Friedrich III. zu schenken. (Daher ihr Name.) Man nahm damals noch an, dass es sich um Handschriften des 11. Jahrhunderts handle. Das als Flatö-Buch bezeichnete Manuskript (Flateyjarbok/Buch von Flatey) ist ebenfalls eine Sammelhandschrift, ursprünglich entstanden Ende des 14. Jahrhunderts, geschrieben von zwei isländischen Geistlichen für einen Großbauern im Nordosten der Insel. Sie enthält nordische Sagas und eddische Gedichte. Ihre besondere Bedeutung erhält sie auch durch die kunstvollen Initialen. Beide Bände gehörten bis 1971 zum Bestand der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen. Es lässt sich denken, dass die Rückgabe der Handschriften Stürme der Begeisterung bei den schon damals literaturbesessenen Isländern auslöste.

Olof Palme Foto: Wikipedia.org

Freitag, 30. April 1971
Drohbriefe an Olof Palme

 

Schwedische Mittagszeitungen veröffentlichten gestern in großer Aufmachung anonyme Drohbriefe, die an Staatsminister Oluf Palme gerichtet waren. Palme war in letzter Zeit wiederholt schriftlichen und telefonischen Drohungen ausgesetzt, in denen ihm die Entführung und Ermordung seiner drei Kinder angekündigt wurde.

Sowohl das Reihenhaus in Vällingby, wo der Staatsminister zur Miete wohnt, als auch die Schule, die der zwölfjährige Joachim und der achtjährige Morten Palme besuchen, werden seit einigen Tagen streng bewacht. Die Kinder werden auf dem Wege zur und von der Schule von Kriminalbeamten in Zivil begleitet.

Olof Palme, 1927 in Stockholm geboren, wurde 1969 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Schwedens und Ministerpräsident seines Landes. Seine Bemühungen um eine internationale Abrüstung, seine scharfe Kritik am Vietnamkrieg usw. befeuerten jene, die ihm Jahr für Jahr Todesdrohungen ins Haus schickten. Am 28. Februar 1986 wurde Olof Palme auf offener Straße in Stockholm ermordet. Die Täter wurden nie gefasst. Nach jahrzehntelangen Untersuchungen scheint Gewissheit zu herrschen, dass die Täter aus rechtsgerichteten Kreisen der Stockholmer Polizei stammen.

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