Plünderungen und Sauerstoff

Wracks in der Ostsee im schlechten Zustand

Wracks in der Ostsee im schlechten Zustand

Wracks in der Ostsee im schlechten Zustand

SHZ
Kiel
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Auf neueren Aufnahmen ist das Flackgeschütz der „Voitja“, die in der Kieler Förde liegt, nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich wurde es gestohlen. Foto: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Inst. für maritime Strukturen

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Viele Wracks in der Ostsee sind in schlechtem Zustand. Dafür gibt ex viele Gründe. Auch Plünderer beschäftigen die Experten.

Die Kolberger Heide am Eingang der Kieler Bucht besitzt für Taucher eine gewisse Faszination. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden hier etwa 50.000 Tonnen Munition in relativ flachem Gewässer versenkt. Das Seegebiet ist im Mittel nur zwölf Meter tief und somit auch für Hobby- und Sporttaucher erreichbar.

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Umso aufsehenerregender ist es, wenn in so einem Seegebiet ein bisher unbekanntes Wrack gefunden wird. Auf dem Boden der Ostsee werden bis zu 20.000 Wracks vermutet.

Neues Wrack gefunden

Dies ist nun dem Archäologen und geprüfter Forschungstaucher der Christian-Albrechts-Universität, Dr. Fritz Jürgens, gemeinsam mit einem Tauchkurs gelungen. „Das Wrack ist recht gut erhalten. Wahrscheinlich ist es ein Holzsegler aus dem 19. Jahrhundert“, sagt Jürgens.


Solch ein Fund sei in der westlichen Ostsee eher selten. „Viele Wracks hier sind in einem schlechten Zustand“, sagt der Archäologe. Dafür gibt es zwei große Gründe: Die Natur und Plünderer.

Ein Flieger rostet

Ein Zusammenspiel beider Faktoren ist in Bülk an der Kieler Förde zu beobachten. Hier liegen im Brandungsbereich die letzten Überbleibsel eines Bombers aus dem zweiten Weltkrieg. Davon sind nur noch die reifen und ein Teil des Motors zu sehen. „Viel wurde von der Brandung zerstört. Aber auch Taucher haben hier etwas weggenommen“, so der Archäologe.

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In der westlichen Ostsee ist das Wasser zumeist flacher als im Osten. Dadurch liegen auch Wracks näher an der Oberfläche. Das Wasser hat in geringeren Tiefen deutlich mehr Sauerstoff als in tieferen Bereichen: Dadurch werden Wracks auch stark angegriffen.

Netze an den Wracks

Hinzu kommen ungewollte Beschädigungen durch Fischerei und Netze. „Hier muss man sagen, dass wir teilweise auch nur dadurch auf ein Wrack aufmerksam werden, weil ein Fischer an diesem unbekannten Wrack hängen bleibt“, sagt Jürgens.

Für die Forschung kann dies also sogar ein Vorteil sein. Auf der anderen Seite der Ostsee haben die Wracks deutlich bessere Bedingungen. Hauptsächlich, weil es dort tiefer ist.


Der zweite große Grund dafür, dass viele Wracks nicht mehr im Ursprungszustand sind, sind Plünderungen oder Wrackbergungen.

Bergungen waen oft legal

Die meisten dieser Bergungen geschahen schon kurz nach dem zweiten Weltkrieg und waren legal. „Die Kieler Förde lag voller Wracks. Genaue Zahlen hat kein Mensch. Das musste geräumt werden“, sagt Ralf Ragwitz, Bildungsreferent bei der Deutschen Kriegsgräberfürsorge. Wrackplünderungen sind dagegen illegal.

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Es gibt eine moderne Form der Plünderung, die den Forschern, der Kriegsgräberfürsorge und auch dem Deutschen Marinebund Bauchschmerzen bereitet. „Es gibt seit Jahren einen Trend zum professionellen Tauchtourismus“, sagt Jürgens: Daran sei auch grundsätzlich nichts verwerflich. Zumindest dann, wenn diese Tauchgruppen sich die Wracks nur ansehen und nichts entwenden.

Plünderer in der Kieler Förde

Erst im letzten Jahr scheint es zu einem Diebstahl in der Kieler Förde gekommen zu sein. In der Nähe des Leuchtturms liegt die „Voitja“. Diese 1907 in Russland gebaute Bark wurde im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland überführt. Auf ihr wurde ein Flugabwehrgeschütz montiert und sie fungierte als Wache in der Kieler Förde. Aktuelle Tauchgänge sind der Landespolizei hingegen nicht bekannt.

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Kurz vor Ende des Kriegs wurde sie von einem Bomber getroffen und sank. Heute liegt das Schiff in etwa 20 Metern Tiefe. Um sie zu besuchen, bedarf es einer Genehmigung, da sie in einer Gegend liegt, die stark befahren wird. Neueste Aufnahmen aus 2020 zeigen, dass das markante Flakgeschütz verschwunden ist. „Es ist unwahrscheinlich, dass das die Strömung war“, sagt der CAU-Forschungstaucher. Er vermutet, dass das Geschütz gestohlen wurde.

Professionelles Vorgehen

Hier muss professionell vorgegangen worden sein. Bekannt für derartige Diebstähle wurde vor ein paar Jahren die niederländische Gruppe „Duikteam Zeester“. Diese hatten das Wrack des nahe Helgoland liegenden Kleinen Kreuzers Mainz geplündert, der im August 1914 während eines Gefechts mit britischen Krieggschiffen versenkt wurde.

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Bekannt ist auch, dass von gesunkenen U-Booten die Türme abmontiert wurden. Das sind die Fälle, die die Deutsche Kriegsgräberfürsorge und den Deutschen Marinebund schockieren. „Laut Genfer Konvention ist ein versenktes militärisches Schiff ein geschütztes Kriegsgrab“, betont Ragwitz. Auch die Landespolizei verweist auf mögliche Verstöße durch derartige Tauchgänge.

Wracks haben Eigentümer

„Bei derlei Tauchgängen kommen, je nach Einzelfall, zum Beispiel Störung der Totenruhe und Fundunterschlagung oder auch Verstöße gegen das Denkmalschutzgesetz in Betracht“, so ein Sprecher. Dieser Schutz besteht, sobald auf einem Schiff, dass einen militärischen Auftrag hatte, jemand zu Tode kam. Hinzu kommt, dass gesunkene Schiffe keine herrenlosen Objekte sind.

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„Sie bleiben in Eigentum des Staates, unter dessen Flagge sie stehen“, sagt der Bildungsreferent. Dies gelte auch für Nachfolgestaaten. Unter diesen Schutz fallen allerdings keine Schiffe, die keinen militärischen Nutzen hatten.

Angucken ist okay

„Alle Wracks sind Zeugnisse der Vergangenheit“, betont Dr. Jann Witt vom Deutschen Marinebund. „Sich diese Wracks anzugucken ist okay, aber etwas davon zu entfernen nicht“, sagt er. Man könne damit die Wissenschaft behindern. „Jeder Fund gibt Erkenntnisse über Handel und Schiffbau aus der jeweiligen Zeit“, sagt er.

Eine besondere Brisanz haben diese Wracks, wenn Menschen auf ihnen zu Tode kamen, und Taucher sich an den Funden zu schaffen machen. „Das ist Grabschändung. Das macht man einfach nicht“, betont Witt.

Konvention nicht ratifiziert

Es gibt seit 2001 eine Konvention zum Schutz des Unterwasser-Kulturerbes. Unter diese Würden auch alle Wracks fallen, die heute noch keinen Schutzstatus haben. Das Problem: Die Bundesrepublik hat diese Konvention bis heute nicht ratifiziert.

Die Experten sind sich jedoch auch in einem Punkt einig. Große Plünderungen in der Ostsee sind heute die Seltenheit. „Viele Wracks liegen in einer Tiefe, in die Hobbytaucher gar nicht vorstoßen können“, sagt Fritz Jürgens.

Plünderer sind die Ausnahme

Zudem seien Plünderer unter Hobby- und Sporttauchern eine absolute Minderheit. Dem stimmen auch die Kriegsgräberfürsorge und der Marinebund zu. „Wir müssen auch Folgendes bedenken: Über viele Wracks wissen wir nur Bescheid, weil sich Hobby- und Sporttaucher nach einer Entdeckung bei uns gemeldet haben“, betont der Kieler Forscher.

Jann Witt findet es lobenswert, dass Taucher, die an einem Wrack etwas finden, was zur Identifikation beiträgt, sich melden. So könne man das Schicksal von Seeleuten nachvollziehen. Es gebe aber auch die andere Seite. „Im Marine-Ehrenmal in Laboe hängt ein Bullauge des im Januar 1945 mit mehr als 10.000 Menschen an Bord versenkten Flüchtlingsschiffs Wilhelm Gustloff. Das war von einer illegalen Tauchexpedition geraubt worden“, sagt er.

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