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Wölfe in Schleswig-Holstein: „Sie werden sichtbarer werden“

Wölfe in Schleswig-Holstein: „Sie werden sichtbarer werden“

Wölfe in Schleswig-Holstein: „Sie werden sichtbarer werden“

Martin Schulte/shz.de
Kiel
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Ein Wolf tappt in eine Wildtierkamera. Foto: dpa/shz.de

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Die Zahl der Tiere nimmt in Deutschland zu. In Schleswig-Holstein soll der Wolf jetzt ins Jagdrecht aufgenommen werden.

GW 2093f ist nicht da. Natürlich nicht. „Die schläft um die Zeit. Und selbst wenn sie hier gewesen wäre, hätte sie sich längst davongemacht“, sagt Jochen Martens. Er steht auf einem sandigen Wirtschaftsweg im Kreis Lauenburg, der zwischen Wald und Straße verläuft. Hier ist GW 2093f öfter unterwegs. „Solche schönen geraden Wege sind spritsparender für sie“, sagt Martens. Links und rechts liegen abgeerntete Weizenfelder, ein paar Kraniche wandern im Hintergrund gemächlich in Richtung der nächsten Erhebung.

Martens ist hauptamtlicher Wolfsbetreuer, er lebt in einem kleinen Dorf nahe des Elbe-Lübeck-Kanals. Früher hat er sein Geld als Schäfer verdient, heute kümmert er sich um die Tiere, die viele seiner ehemaligen Kollegen als größte Gefahr für ihre Herden sehen:

Martens, das wird während seiner Ausführungen immer wieder deutlich, hält den Blick des Menschen auf die Natur oft genug für wenig rational. Das schließt den Umgang mit dem Wolf mit ein. Besonders dieser Tage, da er einen residenten Wolf in seinem Revier hat, was bedeutet, dass sich ein Tier für mindestens sechs Monate im selben Gebiet aufhält. Das zieht die öffentliche Aufmerksamkeit nach Lauenburg, denn seit 2007, als erstmals seit fast 200 Jahren wieder ein Wolf in Schleswig-Holstein nachgewiesen wurde, gab es erst drei Tiere, die länger geblieben sind.

In Schleswig-Holstein meist nur Durchzügler

Die Wolfsdame in Lauenburg könnte dauerhaft sesshaft werden. Das ist ungewöhnlich, denn die meisten Wölfe nutzen Schleswig-Holstein vor allem als Transitland – in Richtung Niedersachsen oder Dänemark etwa. Unabhängig davon, ob die Wölfin in Lauenburg bleibt oder nicht, die Tendenz ist eindeutig: Der Bestand nimmt zu und der Wolf tut dabei, was ein Wolf tun muss; er sucht sich Lebensräume und Nahrung. Und davon immer mehr, denn von 2018 bis 2021 ist die Zahl der Wolfsrudel in Deutschland von 73 auf 157 gewachsen. In Schleswig-Holstein ist es bislang allerdings nur bei Einzelnachweisen geblieben. Und mit diesen gingen oft Nutztierrisse einher.

Nach Angaben des Kieler Umweltministeriums gab es 2021 44 gemeldete Risse, 13 davon gelten als eindeutig nachgewiesen. Ein Jahr zuvor waren es deutlich mehr: 89 gemeldete Risse von Nutztieren wurden landesweit gezählt, 34 davon nachgewiesen. Der Wolf ist ein Raubtier und überdies eines, dass es bei der Jagd gern einfach und ökonomisch mag. „Er ist ein eher opportuner Jäger“, sagt Martens.

Der Lauenburger Wolfsbetreuer hat selbst seine Erfahrungen mit den Tieren gemacht. „2018, als ich noch viele Schafe hatte, war der Wolf vier Mal da – er hat mich immer mittwochs besucht.“ Einmal, sagt er, habe er elf tote Lämmer gefunden, die äußerlich unversehrt waren: „Sie waren totgeschüttelt worden, ein junger Wolf hatte an ihnen das Jagen geübt.“

Er erzählt das eher sachlich, auch wenn er zugibt, dass ihm das damals nahe gegangen sei. Nach diesen Vorfällen informierte sich Martens über die Raubtiere, ihren Lebensraum und ihre Gewohnheiten:

Wolfsbetreuer hat zahlreiche Aufgaben

Und Martens weiß seitdem auch, dass man auf die Tiere aufpassen muss, deshalb ist er Wolfsbetreuer geworden.

Das sogenannte Wolfsmanagement ist ein zentraler Baustein im Umgang mit dem neuen alten Wildtier: Rissbegutachtung, Herdenschutz, Aufklärung, Beratung und Monitoring. Mit diesen Maßnahmen soll die Akzeptanz für den Wolf gesteigert werden. Denn seine Anwesenheit gefällt nicht jedem, vielen Schäfern nicht, deren Schafe gefährdet sind. Aber auch einigen Menschen nicht, die sich vor dem Tier fürchten und finden, er gehöre nicht nach Schleswig-Holstein.

Wolf im Jagdrecht, aber unter Schutz?

Deshalb werden in dieser Woche auch viele Augen in Richtung des Kieler Landtags gerichtet sein, wenn dort am Freitag über einen Antrag der Fraktionen von CDU und den Grünen debattiert wird. Sie wollen den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen, ihn dann allerdings ganzjährig unter Schutz stellen.

Was nach einem Schildbürgerstreich klingt, könnte ein Kompromiss sein. Das glaubt zumindest Hauke Göttsch, der seit 2009 für die CDU im Landtag sitzt und seit 1985 Jäger ist. Er hat den Antrag für seine Fraktion gestellt. „Es geht ja nicht darum, den Wolf zu bejagen, sondern schneller eingreifen zu können, wenn was passiert“, sagt Göttsch. Etwa, wenn ein Wolf angefahren werde. Derzeit dürfte kein Jäger das Tier mit einem Schuss erlösen, dafür müsste die Polizei gerufen werden.

Nicht geschossen, aber überfahren

Der Wolf, den Göttsch meint, wurde unter der Kennung GW924m bekannt. Er hielt 2018 und 2019 die Region um Pinneberg, Segeberg und Steinburg in Atem, weil er in knapp anderthalb Jahren 131 Nutztiere riss, trotz der Schutzzäune, trotz mehrerer Jäger, die dem Tier in der Region mit Sondergenehmigung nachstellten.

Der männliche Wolf zog schließlich weiter und wurde Ende des Jahres nahe der niedersächsischen Stadt Gifhorn überfahren. Schleswig-Holsteins erster Problemwolf, der es zu deutschlandweiter Bekanntheit gebracht hatte, starb qualvoll an seinen inneren Verletzungen.

Es sind Tiere wie dieses, die Marcus Börner, der Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Jagdverbandes meint, wenn er von Wölfen spricht, die „uns künftig Probleme machen werden, indem sie etwa die Schafe, die wir für den Küstenschutz brauchen, angreifen.“ Für Börner ist eines in der aktuellen Debatte um den Wolf wichtig:

Zumal er keine natürlichen Feinde habe und mit den Menschen kaum schlechte Erfahrungen mache: „Er wird sichtbarer werden.“ Das ist derzeit noch nicht der Fall, Wolfssichtungen sind äußert selten.

Jens Matzen, der zusammen mit Jochen Martens auf dem Feldweg nahe Kühsen unterwegs ist, hat vor neun Jahren mal ein Tier gesehen, auf der Grünbrücke, die beim lauenburgischen Ort Gudow über die A24 führt: „Ich war auf der einen Seite der Brücke und der Wolf auf der anderen. Wir haben uns kurz angeschaut, dann war er weg.“

Matzen ist der schleswig-holsteinische Wolfskoordinator, er ist viel unterwegs dieser Tage. „Es ist schwer zu sagen, wie viele Wölfe gerade im Land sind, denn wir sehen natürlich nicht alle“, sagt er, während er vor einer Wildkamera kniet, die an einem dicken Eichenstamm befestigt ist. An dieser Stelle ist schon öfter ein Wolf in die Fotofalle gelaufen. Zehn bis zwölf dieser Kameras seien in Lauenburg verteilt. „Es ist Bewegung im Land“, sagt Matzen: „Aber es gibt auch genug Raum für die Tiere.“ Er weiß, dass der Wolf längst ein Politikum ist:

Zäune umsetzen kostet viel Zeit

Ein paar Kilometer weiter südlich, an der Hauptstraße in Nusse steht jemand, der mit dem Wolf leben muss. Und will. Bernd Evers ist Nebenerwerbslandwirt, hauptberuflich arbeitet der Agraringenieur bei einer Bank in Hamburg. Evers steht an dem elektrischen Zaun, der den Wolf von seinen Schafen fernhalten soll. „Bis jetzt hat es funktioniert“, sagt Evers, die Wölfe werden durch das elektrische Feld abgeschreckt. Aber der Aufwand für diese Maßnahmen sei groß.

Die sogenannten Wolfszäune müssen mit den Weidebewegungen der Tiere versetzt werden, das kostet viel Zeit. Außerdem darf der Grünstreifen an den Zäunen nicht zu hoch sein, sonst wird der Strom abgeleitet. Evers kann jedes seiner rund 150 Schafe, die in seinem Rücken über die Weide ziehen, von den anderen unterscheiden. Die Tiere sind eine Herzensangelegenheit für ihn, wie die Landwirtschaft überhaupt. „Der Wolf ist gewollt, politisch und gesellschaftlich, also richten wir uns danach.“

Den Wolfsbetreuer Jochen Martens freuen solche Sätze, denn nicht jeder Schäfer denkt so. Es sei noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, sagt er. Aber gerade hat er ohnehin ein ganz anderes Problem. Seit bekannt ist, dass im lauenburgischen Sachsenwald ein Wolf sesshaft geworden ist, spazieren viel mehr Menschen durch den Wald als vorher – in der Hoffnung, ihn zu sehen oder hören.

„Völliger Quatsch“, murmelt Martens und schüttelt den Kopf: „Den bekommt niemand zu Gesicht. Ganz im Gegenteil: Die schrecken ihn nur auf. Und dann fühlt er sich gestört.“ Möglicherweise vertreiben die Menschen, die sich für diesen Wolf begeistern, ihn auch wieder. Im schlimmsten Fall erleidet er dabei das gleiche Schicksal wie der Problemwolf GW924m, der vor drei Jahren überfahren wurde. Die komplizierte Geschichte zwischen Mensch und Wolf wäre dann um ein trauriges Kapitel reicher.

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