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Wirtschaftskriminalität: Schleswig-Holstein liegt noch vor Berlin

Wirtschaftskriminalität: Schleswig-Holstein liegt noch vor Berlin

Wirtschaftskriminalität: SH liegt noch vor Berlin

Eckard Gehm, shz.de
Kiel
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In der Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) zur Wirtschaftskriminalität liegt Schleswig-Holstein an der Spitze. Foto: Bundeskriminalamt

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Schleswig-Holstein hat vergangenes Jahr einen unrühmlichen Boom erlebt: In keinen anderen Bundesland hatte die Polizei mehr Fälle von Wirtschaftskriminalität auf dem Tisch.

Mit 9712 Delikten lag der Norden in der Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) an der Spitze, noch vor Berlin mit 7849 Fällen. Hamburg verzeichnete 532 aufgedeckte Taten, weniger Wirtschaftskriminalität gab es nur noch im Saarland (485 Taten).

Enorme Steigerung beim Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen

Bundesweit ist im zweiten Jahr in Folge die Zahl der erfassten Wirtschaftsstraftaten gestiegen, lag 2021 bei über 51000 Fällen und einem Schaden von 2,4 Milliarden Euro. Grund für die deutliche Zunahme der Fallzahlen ist laut BKA Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen. Hier gab es ein Plus von 11.300 Fällen.

Und der Löwenanteil davon entfällt auf Schleswig-Holstein: Ein Labor in Nordfriesland bot den Nachweis von Krebsmarkern, Schwermetallen und anderen Umweltgiften an. Doch die als Privatleistungen eingesendeten Blutproben sollen gar nicht analysiert, sondern Werte per Zufallsgenerator erzeugt worden sein. Carola Jeschke, Sprecherin im Landeskriminalamt (LKA): „Es wurden 8717 Geschädigte ermittelt.“ 

Wirtschaftskriminalität verursachte in SH einen Schaden von 44 Millionen Euro

Die hohe Zahl der Fälle führte zum Spitzenplatz in der bundesweiten Statistik, der Schaden allerdings betrug mit vier Millionen Euro nur gut zehn Prozent der Summe, die Wirtschaftskriminelle 2021 im Norden ergaunert haben. Jeschke: „Vergangenes Jahr wurde in Schleswig-Holstein im Bereich Wirtschaftskriminalität eine Schadenshöhe von knapp 44 Millionen Euro erfasst.“

Diese Summe wiederum ist niedriger als in den Vorjahren. So lag der Schaden 2020 bei über 127 Millionen Euro. Zu solchen Schwankungen kommt es, weil einzelne Ermittlungskomplexe enorme Auswirkungen auf die jährlichen Schadenssummen haben.

Bundeskriminalamt warnt vor zwei neuen Trends

Im Trend liegt laut BKA weiter das betrügerische Cybertrading, das die Täter mittlerweile um Fake-Zeichnungen vorbörslicher Aktien ergänzen. Seit Sommer 2021 würden Privatpersonen per Telefonakquise vermehrt falsche Zeichnungsscheine für vorbörsliche Aktien angeboten.

Das Geld landet auf ausländischen Konten, die Aktien sehen die Käufer nie. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) listet erkannte Fälle auf, die Betrüger werben mit bekannten Namen, bieten etwa vorbörslich Thyssenkrupp, Porsche oder Aktien der Daimler Truck Holding an.

Den Anlegern den Teppich unter den Füßen wegzuziehen, nennt sich „Rug pull“

Der zweite Trend spielt im Bereich der Kryptowährungen. Die können an dezentrale Börsen (DEX) verliehen werden, wofür hohe Zinsen gezahlt werden. Durch die Einzahlung unterschiedlichster Token entstehen Liquiditätspools, die als Peer-to-Peer-Marktplatz fungieren und Benutzern gegen Gebühr einen Tausch ohne eine verwahrende Instanz ermöglichen. Es gibt Pools, in denen umgerechnet Millionen US-Dollar stecken. 

Die Anleger müssen ihre Kryptowährung an einen „Smart Contract“ auf Blockchains wie Ethereum senden. Haben die Betreiber den „Intelligenten Vertrag“ betrügerisch programmiert, können sie die gesamte Liquidität von der DEX abziehen. Dafür gibt es mittlerweile einen eigenen Begriff: „Rug pull“. Den gutgläubigen Anlegern wird der Teppich unter den Füßen weggezogen.

Die Experten der Analysefirma Chainalysis bezifferten die „Rug-Pull“-Schäden für 2021 auf 2,8 Milliarden US-Dollar.

Bleibt die Aufklärungsquote dauerhaft so hoch?

Die Aufklärungsquote bei Wirtschaftskriminalität betrug vergangenes Jahr 88,8 Prozent – was deutlich über der Gesamtaufklärungsquote aller Straftaten (58,7 Prozent) liegt. Doch das Bundeskriminalamt geht von einem „erheblichen Dunkelfeld“ aus, sowohl bei den Fallzahlen als auch den Schäden.

Die lagen zuletzt bei 2,4 Milliarden Euro. Und ob die Aufklärungsquote dauerhaft so gut bleibt, ist fraglich. Bislang fließen in die Statistik keine Straftaten ein, die vom Ausland aus begangen werden. Gerade Cybercrime ist aber ein Wachstumsmarkt, da dort laut BKA kriminelle Erträge wesentlich schneller erzielt werden. „Insbesondere das betrügerische Anbieten alternativer Anlagemöglichkeiten im Internet stellt ein wachsendes Betätigungsfeld krimineller Gruppierungen dar“, heißt es im aktuellen Lagebericht der Wiesbadener Behörde.

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