Blaulicht

Wie Mölln für einen Polizisten zum Wendepunkt seines Lebens wurde

Wie Mölln für einen Polizisten zum Wendepunkt seines Lebens wurde

Wie Mölln für einen Polizisten zum Wendepunkt wurde

Eckard Gehm/shz.de
Mölln
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Polizist Oliver Pohl mit einem Exemplar seines Lesetheaterstücks. Lehrer können für ihre Klassen bestellen. Foto: Privat

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Am Tag nach dem Brandanschlag von Mölln versammelten sich die Menschen, gingen schweigend durch die Straßen der kleinen Stadt, um der Toten zu gedenken. Einer von ihnen war Oliver Pohl, Polizist beim Bundesgrenzschutz. Die Tat markierte einen Wendepunkt seines Lebens.

Wie jeden Montag war Oliver Pohl, damals 21 Jahre alt, nach Mölln gefahren, um mit seiner Theatergruppe zu proben. „Wir sahen den Gedenkzug, die stillen und bedrückten Leute, haben uns angeschlossen“, sagt er.

Traumatische Erlebnisse drei Monate zuvor

Drei Monate zuvor war der junge Polizist um Mitternacht mit seiner Hundertschaft im Hubschrauber nach Rostock-Lichtenhagen geflogen worden. Das Sonnenblumenhaus, ein freistehender Plattenbau, in dem vietnamesische Vertragsarbeiter und ihre Familien lebten, war mit Molotowcocktails in Brand gesteckt worden. Drei Tage lang hatten Anwohner in einer von Fremdenhass aufgeheizten Stimmung da bereits gewütet. Am Montag nun hatten sich die Einsatzkräfte teilweise völlig zurückgezogen und die Bewohner im brennenden Haus zunächst schutzlos sich selbst überlassen.

„Eingeschlossene werden vermutlich verbrennen“

„Unser Staffelführer sagte am Hubschrauber, die Eingeschlossenen würden vermutlich verbrennen und ein Polizist sei auch schon tot“, erinnert sich Pohl.

Als die Bundespolizisten in Rostock-Lichtenhagen eintrafen hatte ein Wasserwerfer der Polizei Feuerwehrleuten den Weg freigemacht, Beamte bildeten ein Spalier, geleiteten die Vietnamesen zu zwei Bussen, während die Anwohner sie beschimpften. Die Bundesgrenzschutzbeamten reihten sich in die Polizeikette vor dem Sonnenblumenhaus ein.

Oliver Pohl sah entfesselten Fremdenhass in den Gesichtern Gleichaltriger

„Auf uns ging ein Steinregen nieder, ein Molotowcocktail entzündete die Uniformen von Kollegen“, sagt Pohl. „Und aus den geöffneten Fenstern grölten die Bewohner, feuerten die Angreifer an.“ Die seien meist in seinem Alter gewesen, hätten Hass in den Gesichtern gehabt. „Im Nahkampf drängten wir sie zurück, mein Schlagstock zerbrach.“

Die rassistischen Morde von Mölln stürzten den Beamten in eine Sinnkrise

Und nun Mölln, der erste rassistische Anschlag im vereinten Deutschland, bei dem es Tote gab. „Ich fing an, an den Menschen zu zweifeln, geriet in eine tiefe Sinnkrise“, sagt Pohl. „Mich erschreckte, wie dünn der Mantel der Zivilisation ist und was passiert, wenn er zerreißt.“ In ihm sei der Wunsch gewachsen, die Gesellschaft stabiler zu machen. „Weil mir die Augen geöffnet wurden, was geschieht, wenn Politik versagt und die Menschen nicht mehr erreicht.“

Ehrenamtliches Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit

Die Stimmung in Deutschland damals sei sehr fremdenfeindlich gewesen, sagt Pohl. „Mir war klar, wenn ich etwas verändern will, muss ich bei den Kindern beginnen und seit den Brandanschlägen engagiere ich mich ehrenamtlich gegen Fremdenfeindlichkeit.“

Polizist hat Lesetheaterstück für Grundschüler geschrieben

Das begann mit einer Theatergruppe für Kinder, Themen dabei: Wie mit dem Unbekannten und Fremden umgehen? Daraus erwuchs ein „Lesetheaterstück“ für Grundschüler, das in der Klasse mit verteilten Rollen gelesen werden kann. Eine erste Version hat Pohl überarbeitet und in der vergangenen Woche fertiggestellt. Die Geschichte spielt auf der „Sonnenblumenwiese“. Käfer, deren Heimat zerstört wurde, kommen dort an und stoßen auf Ablehnung, was in Streit und einen Angriff auf die Fremden gipfelt. Pohl: „Zwei Insekten, das Wasserkäfermädchen Ahn und das Marienkäfermädchen Marie, finden eine Lösung.“

Pohl bildet heute junge Beamte aus

Pohl verließ den Bundesgrenzschutz nach Mölln und arbeitete als Krankenpfleger. Jahre später ging er zur Kriminalpolizei und ist heute Dozent in Altenholz, bildet junge Beamte unter anderem in Rhetorik und Kommunikation aus. Er sagt: „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, für die Gleichzeitigkeit kein Problem ist. Die das Gute in Fremden sieht, es aber auch aushält, Probleme anzusprechen.“ Nicht fremdenfeindlich, aber eben auch nicht blauäugig.

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